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Dann schilderte Anders die beinahe noch schlimmere Begeg-nung mit dem Postdirektor.

»Hättest du ihm nicht auch etwas Schokolade geben können?« fragte Kalle.

»Nein, Beppo hatte alles bekommen«, sagte Anders.

»Und wie ging es weiter?« Eva-Lotte war ganz aufgeregt vor Neugier.

Anders erzählte, wie es weitergegangen war. Er erzählte alles, von Sixtus’ Tür, die nicht mehr quietschte, und von Sixtus’ Tante, die um so mehr quietschte, und wie ihm das Blut eingefroren war, als er es hörte, und wie er Hals über Kopf hatte fliehen müssen. Das einzige, wovon er nicht sprach, waren die tantli-chen Locken, die er in den Fluß versenkt hatte. Kalle und Eva-Lotte fanden alles spannender als eine Abenteuergeschichte, und sie wurden nicht müde, winzige Einzelheiten immer wieder hören zu wollen.

»Was für eine Nacht!« schwärmte Eva-Lotte, als Anders endlich fertig war.

»Ja, es ist gar kein Wunder, wenn man vorzeitig altert«, sagte Anders. »Aber die Hauptsache ist doch, daß der Großmummrich dort liegt, wo er liegen soll.«

Kalle planschte wild mit den Füßen im Wasser. »Ja, der Großmummrich liegt bei Sixtus im Globus«, triumphierte er.

»Könntet ihr euch etwas ausdenken, was so raffiniert ist wie gerade das?«

Nein, das konnten weder Anders noch Eva-Lotte. Und ihr Entzücken wurde noch größer, als sie sahen, wie Sixtus, Benka und Jonte am Fluß auf sie zutrabten.

»Sieh mal einer an, was sitzen denn da für niedliche Weiße Rosen auf dem Ast?« sagte Sixtus, als sie den Steg erreicht hatten.

Benka versuchte sofort, die Weißen Rosen in den Fluß zu wälzen, aber Sixtus hinderte ihn daran. Die Roten waren nicht gekommen, um zu streiten, sondern um zu klagen. Nach den Gesetzen, die im Krieg der Rosen herrschten, war doch der, der im Augenblick den Großmummrich besaß, verpflichtet, zumindest einen Fingerzeig darüber zu geben, wo das Heiligtum eventuell zu finden sei. Hatten die Weißen das getan? Gewiß hatte der Chef der Weißen, als er gekitzelt wurde, etwas von dem kleinen Pfad hinter dem Herrenhof hervorgestoßen, und der Sicherheit wegen hatten die Roten gestern die ganze Nachbarschaft dort draußen noch einmal durchsucht. Jetzt aber waren sie überzeugt davon, daß die Weißen den Großmummrich an einen neuen Platz gebracht hatten, und verlangten nun höflich, aber bestimmt den schuldigen Hinweis.

Anders kletterte ins Wasser. Es reichte ihm nicht weiter als bis an die Knie. Breitbeinig stand er dort, die Hände in die Seiten gestemmt, und seine dunklen Augen glänzten munter und voller Freude.

»Gut, ihr sollt einen Fingerzeig haben«, sagte er. »Sucht im Innern der Erde!«

»Danke, das ist ja sehr freundlich«, meinte Sixtus sarkastisch.

»Sollen wir hier anfangen oder auf der Königstraße in Stockholm?«

»Wirklich ein feiner Fingerzeig«, sagte Jonte. »Ihr sollt sehen, sicher finden unsere Kindeskinder den Großmummrich, bevor sie ins Grab steigen.«

»Ja, aber dann haben sie schon Schwielen an den Händen«, meinte Benka.

»Benutzt euren Verstand, rote Zwerge, falls ihr so etwas überhaupt besitzt«, sagte Anders lachend. Und dramatisch setzte er hinzu: »Wenn der Rote Chef zu sich nach Hause geht und im Innern der Erde sucht, wird alles offenbar werden.«

Kalle und Eva-Lotte zappelten übermütig mit den Füßen im Wasser herum und kicherten heftig. »Sehr wahr! Sucht im Innern der Erde«, sagten sie und sahen sehr geheimnisvoll aus.

»Läusepudel!« sagte Sixtus.

Dann gingen die Roten zu Sixtus und begannen umfangrei-che Ausgrabungen im Garten des Postdirektors. Den ganzen Vormittag gruben und wühlten sie an allen Stellen, die nur im geringsten verdächtig aussahen.

Endlich kam der Postdirektor und fragte, ob es notwendig sei, seinen Rasen völlig zu zerstören, oder ob sie freundlicherweise auch mal einen anderen Garten heimsuchen wollten.

»Übrigens finde ich, Sixtus, du solltest lieber Beppo suchen«, sagte er.

»Ist Beppo noch immer nicht da?« fragte Sixtus und ließ den Spaten fallen. »Wo kann er denn nur sein?«

»Das, glaubte ich ja, solltest du herausbekommen«, meinte sein Vater.

Sixtus sprang auf. »Kommt ihr mit?« fragte er Benka und Jonte.

Ohne Frage wollten Benka und Jonte mit. Und es gab noch andere, die helfen wollten, Beppo zu suchen. Kalle, Eva-Lotte und Anders, die die letzte Stunde über hinter der Hecke gelegen und die beharrliche Graberei der Roten bewundert hatten, kamen hervor und boten ihre Hilfe an. Sixtus nahm das Angebot dankbar an. In der Stunde der Not gab es keine Feinde. Voll inneren Einverständnisses zog die Gemeinde von dannen.

»Er geht sonst nie weg«, sagte Sixtus bekümmert, »jedenfalls niemals mehr als ein paar Stunden. Aber jetzt ist er ja seit gestern abend elf Uhr weg!«

»Nein, seit zwölf ungefähr«, sagte Anders, »denn …«

Er unterbrach sich und wurde knallrot.

»Na ja, meinetwegen seit zwölf dann«, sprach Sixtus gedankenlos nach. Dann aber sah er plötzlich Anders mißtrauisch an:

»Na, bei allen Katzen, woher weißt du das übrigens?«

»Ich bin so ein Hellseher, weißt du«, sagte Anders hastig.

Er hoffte, daß Sixtus nicht näher auf das Thema eingehen würde. Denn er konnte doch unmöglich erzählen, daß er Beppo ungefähr um zwölf Uhr, als er mit dem Großmummrich unterwegs war, in der Küche gesehen hatte, daß er aber fort war, als er ungefähr eine Stunde später aus dem Fenster entfloh.

»Ist ja reizend, daß man so bei kleinem die Hellseher zusam-menbekommt«, sagte Sixtus. »Sei so gut und sieh mal hell, wo Beppo jetzt gerade steckt.«

Anders aber erklärte, daß er nur Hellseher für Zeit, aber nicht für Orte sei.

»Und wie spät wird es sein, wenn wir Beppo finden?«

»Wir finden ihn in ungefähr einer Stunde«, sagte Anders überzeugt. Hierin aber irrte sich der Hellseher. Ganz so schnell ging es nun doch nicht.

Sie suchten überall. Sie suchten in der ganzen Stadt. Sie fragten an allen Stellen, wo es Hunde gab, die Beppo zu begrüßen pflegte. Sie fragten jeden, den sie trafen. Niemand hatte Beppo gesehen. Er war verschwunden. Sixtus war nun völlig still geworden. Die Tränen kamen ihm vor Unruhe. Aber zeigen konnte er das auf keinen Fall. Er putzte sich nur auffallend oft die Nase.

»Es muß ihm etwas passiert sein«, sagte er immer wieder.

»Niemals war er so lange weg.«

Die anderen versuchten, ihn zu trösten. »Ach, ihm ist schon nichts passiert«, sagten sie. Aber sie waren selbst weit entfernt davon, so überzeugt zu sein, wie sie vortäuschten. Stumm gingen sie eine Weile nebeneinanderher.

»Er war so ein feiner Hund«, sagte Sixtus schließlich mit zitternder Stimme. »Er verstand alles, was man zu ihm sagte.«

Dann mußte er sich wieder die Nase putzen.

»Laß das sein, so zu reden«, sagte Eva-Lotte. »Du redest, als ob er tot wäre.«

Sixtus antwortete darauf nicht.

»Er hatte so treue Augen«, fand Kalle. »Ich meine: Er hat so treue Augen«, beeilte er sich zu verbessern.

Dann war wieder eine lange Zeit alles still. Als es zu drückend wurde, sagte Jonte: »Ja, Hunde sind feine Tiere.«

Sie waren jetzt auf dem Heimweg. Es lohnte sich nicht mehr zu suchen. Sixtus ging einen halben Meter vor den anderen und stieß einen Stein vor sich her. Und sie verstanden genau, wie traurig er war.

»Denk nur, Sixtus, wenn Beppo nach Hause gekommen ist, während wir unterwegs waren und so lange suchten«, sagte Eva-Lotte hoffnungsvoll.

Sixtus blieb mitten auf der Straße stehen. »Wenn das wahr ist, wenn Beppo nach Hause gekommen ist, dann werde ich ein guter Mensch. Oh, welch ein guter Mensch will ich werden! Ich will mir jeden Tag die Ohren waschen, und immer, wenn Mutter etwas von mir will …«

Voll neuer Hoffnung begann er zu laufen. Die anderen folgten ihm, und sie wünschten alle brennend, daß Beppo am Zaun stehen und bellen möge, wenn sie zur Postdirektorsvilla kamen.