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Aber da stand kein Beppo. Sixtus’ großzügiges Versprechen der Ohrenwaschung hatte auf die Mächte, die das Leben und die Schritte der Hunde lenkten, keinen Einfluß gehabt. Und die Hoffnung war bereits in Sixtus’ Brust gestorben, als er seiner Mutter, die auf der Veranda saß, zurief: »Ist Beppo zurückgekommen?«

Sie schüttelte den Kopf. Sixtus sagte nichts. Er ging in den Garten und setzte sich ins Gras. Die anderen folgten ihm. Sie lagerten sich stumm um ihn. Es gab ja keine Worte, so eifrig sie auch danach suchten.

»Ich hatte ihn, seit er ein kleiner Welpe war«, erklärte Sixtus mit undeutlicher Stimme. Sie mußten doch verstehen: Wenn man einen Hund gehabt hatte, seit er ein kleiner Welpe war, dann war man schon berechtigt, rote Augen zu haben, wenn er verschwand. »Und wißt ihr, was er mal tat?« fuhr Sixtus fort, wie um sich selbst zu quälen. »Damals, als ich nach der Blind-darmoperation aus dem Krankenhaus kam? Da kam mir Beppo am Zaun entgegen, und da war er so froh, mich zu sehen, daß er mich doch umschmiß, und die ganze Wunde sprang wieder auf!«

Alle waren davon tief gerührt. Einen größeren Beweis von Liebe konnte ein Hund gewiß nicht erbringen, als seinen Herrn umzuschmeißen, so daß die Blinddarmnaht wieder aufriß. »Ja, Hunde sind feine Tiere«, bestätigte Jonte noch einmal.

»Besonders Beppo«, sagte Sixtus und putzte sich die Nase.

Kalle wußte nachher nicht mehr, woher ihm der Einfall gekommen war, in den Holzschuppen des Postdirektors zu sehen.

Eigentlich war es richtig närrisch, das fand er selbst. Denn wenn Beppo dort eingeschlossen worden wäre, dann hätte er sicher so lange gebellt, bis man ihn wieder herausgelassen hätte. Aber auch wenn es keinen vernünftigen Grund dafür gab, in den Holzschuppen zu sehen, – Kalle tat es trotzdem. Er öffnete die Türen ganz weit, so daß das Tageslicht den ganzen Schuppen erfüllte. Und weit hinten in einer Ecke lag Beppo. Ganz still lag er dort, und eine verzweifelte Sekunde lang war Kalle sicher, daß er tot war. Aber als Kalle näher kam, hob der Hund mühsam den Kopf und winselte schwach. Da stürzte Kalle ins Freie und schrie mit der ganzen Kraft seiner Lungen:

»Sixtus! Sixtus! Er ist hier! Er liegt im Holzschuppen!«

»Mein Beppo! Mein armer kleiner Beppo«, sagte Sixtus mit zitternder Stimme. Er lag auf den Knien neben dem Hund, und Beppo sah ihn an, als wollte er ihn fragen, warum Herrchen nicht früher gekommen sei. Er hatte doch hier schon so unendlich lange gelegen und war so krank, so krank, daß er nicht einmal bellen konnte. Ach, wie krank war er die ganze Zeit gewesen! All dies versuchte er Herrchen zu erzählen, und es klang ganz erbärmlich.

»Hört doch, er weint ja«, sagte Eva-Lotte und begann auch zu weinen.

Ja, Beppo war krank, das konnte man sehen. Er lag in einem See von Auswurf und Exkrementen und war so schwach, daß er sich nicht rühren konnte. Stumm leckte er Sixtus die Hand. Er wollte wohl dafür danken, daß er in seinem Elend nicht mehr allein zu sein brauchte.

»Ich muß zum Tierarzt laufen, und das sofort!« rief Sixtus.

Aber als er aufsprang, heulte Beppo verzweifelt auf.

»Er hat Angst, daß du ihn allein läßt«, sagte Kalle. »Ich laufe für dich!«

»Sag ihm, daß er sich beeilen möchte«, bat Sixtus. »Und sag ihm, daß Beppo Rattengift gefressen hat.«

»Woher weißt du das?« fragte Benka.

»Das weiß ich«, sagte Sixtus. »Das sehe ich doch. Das ist die verdammte Schlachterei gewesen. Die legen, um die Ratten loszuwerden, überall Meerzwiebeln aus. Beppo ging manchmal hin und holte sich einen Knochen.«

»Kann Beppo … kann ein Hund davon sterben?« fragte Anders mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen.

»Schweig!« sagte Sixtus böse. »Beppo nicht! Ein Beppo stirbt nicht. Ich habe ihn, seit er ein kleiner Welpe war. O Beppo, warum mußtest du nur hingehen und am Rattengift schnüffeln?«

Beppo leckte ergeben seine Hand und antwortete darauf nichts.

DREIZEHNTES KAPITEL

Kalle schlief in der Nacht unruhig. Er träumte, er sei draußen und suche wieder nach Beppo. Einsam wanderte er auf dunklen, öden Wegen, die sich vor ihm in schauerlicher Endlosigkeit ausdehnten und in einer erschreckenden Düsternis weit, weit vorn verschwanden. Er hoffte, einen Menschen zu treffen, den er nach Beppo fragen konnte, aber niemand kam. Die ganze Welt war menschenleer und dunkel und vollkommen öde.

Und plötzlich war es nicht mehr Beppo, den er suchte. Es war etwas anderes, etwas viel Wichtigeres. Aber er konnte sich nicht erinnern, was es war. Er fühlte, daß er sich dessen erinnern mußte, es war ihm, als hinge das Leben davon ab. Es befand sich irgendwo dort in dem Dunkel vor ihm, aber er konnte es nicht finden. Und es kam deswegen eine so große Angst über ihn, daß er davon erwachte.

Gott sei Dank, daß es nur ein Traum war! Er sah auf die Uhr.

Es war erst fünf. Es war besser zu versuchen, wieder einzuschlafen. Er wühlte den Kopf tiefer in das Kissen und versuchte es.

Aber das war doch eigentümlich – dieser Traum wollte ihn nicht loslassen. Auch jetzt, wo er wach lag, spürte er, daß da etwas war, auf das er sich besinnen mußte. Es lag irgendwo tief innen in seinem Gehirn und wartete darauf, herauskommen zu dürfen. Ein kleines, kleines Stückchen dort drinnen wußte, was es war, worauf er sich besinnen mußte. Nachdenklich rieb er sich den Schädel und brummte böse vor sich hin:

»Na los, komm doch schon raus!« Aber es kam nicht, und Kalle wurde müde. Er wollte wieder schlafen. Und langsam be-schlich ihn diese behagliche Benommenheit, die anzeigte, daß der Schlaf in der Nähe war.

Aber da, gerade als er schon zur Hälfte schlief, ließ sein Gehirn das kleine Stückchen, das es so lange festgehalten hatte, los. Es war nur ein Satz, und es war die Stimme von Anders, die ihn sprach:

»Hätte ich Beppo nicht die Schokolade gegeben – ich wäre verloren gewesen.«

Kalle war hellwach, als er sich jetzt kerzengerade im Bett auf-richtete. »Hätte ich Beppo nicht die Schokolade gegeben – ich wäre verloren gewesen«, wiederholte er langsam. Was war daran so merkwürdig? Warum mußte er sich so notwendig darauf besinnen? Ja, darum, weil … Darum, weil … Es gab eine entsetzliche Möglichkeit …

Als er so weit gekommen war, legte er sich wieder hin und zog nachdrücklich die Decke über den Kopf.

»Kalle Blomquist«, sagte er warnend zu sich selbst, »fang nun nicht wieder so an! Komm nicht noch einmal mit diesen de-tektivischen Grillen! Mit dieser Sorte von Dummheiten sind wir fertig. Darüber waren wir uns doch wohl einig.«

Nun wollte er aber schlafen. Das wollte er!

»Ich bin ein Opfer von gekochtem Schellfisch.«

Wieder war es die Stimme von Anders, die er hörte. Zum Teufel, daß man ihn nicht in Ruhe lassen konnte! Was hatte Anders hier nur immer herumzukrabbeln? Konnte er nicht zu Hause liegen und mit sich selber reden, wenn er so verzweifelt redelustig war?

Aber jetzt half nichts mehr. Die unheimlichen Gedanken wollten heraus. Er konnte sie nicht länger zurückhalten. Zu denken, daß es vielleicht nicht der Fisch war, weswegen sich Anders übergeben hatte! Gekochter Schellfisch war ekelhaft, das fand Kalle auch. Aber sich davon eine Nacht lang zu übergeben, das war nicht üblich. Und – wenn es nun nicht Meerzwiebeln gewesen waren, die Beppo gefressen hatte? Wenn es nun …

wenn es nun … etwas anderes war … Wenn es nun … vergiftete Schokolade war?

Er versuchte wieder, sich selbst zu mäßigen.

»Der Meisterdetektiv hat Zeitungen gelesen, ich merke es«, höhnte er. »Es scheint, er hat die Kriminalfälle der letzten Jahre zu gut verfolgt. Und wenn es auch schon vorgekommen ist, daß jemand durch vergiftete Schokolade getötet wurde, so bedeutet das nicht, daß jede verdammte Schokoladentafel nur noch aus Arsenik besteht.«