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»Moment mal«, sagte er. »So eilig habt ihr es doch nicht!«

Er fühlte mit der Hand in seine Gesäßtasche. Ja, er war dort.

Seit dem Mittwoch im Juli trug er ihn immer bei sich – für alle Fälle. Die Gedanken jagten sich in seinem Kopf. Es gab kein Zurück mehr. Er hatte ein hohes Spiel begonnen und mußte es zu Ende spielen, auch wenn es noch ein paar Menschenleben kosten sollte.

Als er die drei Kinder vor sich ansah, haßte er sie für das, was zu tun er gezwungen war. Aber er konnte keine drei Zeugen brauchen, die hingingen, um auszusagen, wie der Mann aussah, der ihnen den Schuldschein weggenommen hatte. Nein, sie sollten niemals Gelegenheit bekommen, etwas darüber zu erzählen.

Dafür wollte er sorgen, wenn es ihm auch fast übel war vor Schreck. Zuerst mußte er jetzt wissen, wer von ihnen das Papier hatte, damit er nicht noch lange in ihren Taschen herumzusu-chen brauchte – nachher.

»Hört mal«, sagte er, und seine Stimme war heiser und unklar, »gebt das Papier her, das ihr da vorhin gefunden habt. Ich will es haben – aber schnell.«

Die drei vor ihm gafften vor Erstaunen. Sie hätten nicht erstaunter sein können, wenn er gesagt hätte: »Los, singt: ›Bäh, bäh, weißes Lamm‹!« Man hatte ja schon von wahnsinnigen Mördern gehört; aber nicht einmal ein Wahnsinniger konnte doch Spaß an der Landkarte der Roten Rosen mit dem Hinweis »Grabt hier«

haben.

Natürlich, eigentlich konnte er die Landkarte getrost bekommen, wenn er so wild danach war, dachte Anders, der die Karte in seiner Hosentasche fühlte. Man konnte sie ihm ja geben.

In wirklich kritischen Situationen aber war es trotz allem der Meisterdetektiv Blomquist, der am schnellsten dachte. Im Laufe einer kurzen Sekunde ging ihm auf, was für ein Papier es war, von dem der Mann dachte, daß sie es hätten. Und noch mehr stand im selben Moment ganz klar vor Kalle. Dieser Mann hatte kaltblütig einen Menschen niedergeschossen, und gewiß war er auch jetzt bewaffnet. Die Zeugin Eva-Lotte hatte er durch vergiftete Schokolade aus dem Weg räumen wollen. Kalle begriff, wie gering ihre Chancen waren, lebend von hier wegzukommen.

Wenn Anders jetzt die Karte aus der Tasche nehmen würde und wenn es ihnen auch glücken würde, den Mörder davon zu überzeugen, daß sie nie im Leben seinen Revers gesehen hatten, so waren sie doch verloren. Der Mörder wußte sicher, daß er sich durch seine heftigen Fragen verraten hatte, und Kalle begriff, daß, wenn er damals versucht hatte, einen Zeugen loszuwerden, er noch weniger zulassen würde, daß es drei gab, die lebend umherliefen und ihn identifizieren konnten. Darüber dachte Kalle nicht in klaren, deutlichen Worten; aber es befand sich als Bewußtsein innen in seinem Gehirn. Und diese Bewußtheit machte ihn ohnmachtsreif vor Angst. Aber er sagte wütend zu sich selbst: Du hast nachher Zeit, Angst zu haben – wenn es ein Nachher noch gibt!

Es galt, Zeit zu gewinnen, oh, nur Zeit mußte gewonnen werden!

Anders wollte gerade die Karte aus seiner Taschen ziehen, als er plötzlich einen Puff von Kalle bekam.

»Non ei non«, zischte Kalle. »Lol a ßoß sos ei non!«

»Hört ihr nicht, was ich sage?« fragte der große Klaus böse.

»Wer von euch hat das Papier?«

»Wir haben es nicht hier«, sagte Kalle ruhig.

Anders fand wohl, es wäre besser gewesen, dem Mann das Papier zu geben. Dann hätten sie vielleicht gehen dürfen. Aber er wußte auch, daß Kalle es besser gewohnt war, mit kriminellen Personen umzugehen, und deshalb schwieg er.

Der Mann an der Tür wurde vollkommen wild über Kalles Worte. »Wo habt ihr es?« schrie er. »Her damit! Schnell! Sofort!«

Kalle überlegte, so schnell er konnte. Wenn er jetzt sagte, das Papier sei auf dem Polizeirevier oder zu Hause bei Eva-Lotte oder weit draußen irgendwo auf der Prärie, so war wahrscheinlich sofort alles aus. Er begriff, daß sie sich so lange sicher fühlen konnten, wie der Mörder noch Hoffnung hatte, das Papier rechtzeitig zu bekommen.

»Wir haben es im oberen Stockwerk«, sagte er zögernd.

Der große Klaus zitterte vor Erregung am ganzen Körper. Er zog den Revolver aus der Tasche. Eva-Lotte schloß die Augen.

»Beeilt euch!« schrie er. »Vielleicht hilft euch dies hier, ein wenig Tempo in die Beine zu legen!«

Und er trieb sie vor sich her aus dem Zimmer.

»Gog e hoh tot lol a non gog sos a mom«, sagte Kalle leise.

»Pop o lol i zoz ei kok o mom mom tot bob a lol dod!«

Anders und Eva-Lotte sahen ihn verwundert an. Wie sollte die Polizei bald kommen? Glaubte er, sie durch Gedankenüber-tragung hierher zu lenken? Aber sie gehorchten und gingen langsam. Sie zogen die Beine nach, stolperten über Türschwel-len, und Anders rutschte aus und sauste rückwärts die Treppe hinunter wie vor tausend Jahren, als sie gerade an derselben Stelle mit den Roten gekämpft hatten.

Ihre Langsamkeit brachte den großen Klaus außer Rand und Band. Er war so nahe an der Grenze, die Nerven zu verlieren, daß er fürchtete, es jetzt schon zu tun – das, was er tun wollte. Aber er mußte zuerst den Schuldschein haben. Oh, wie er diese Kinder haßte! Die wußten anscheinend nicht einmal mehr, in welcher Ek-ke sie das Papier versteckt hatten. Langsam, ganz langsam trödel-ten sie sich von dem einen Zimmer in das andere und sahen sich um und sagten dann nachdenklich: »Nein, hier war es nicht.«

Eine verwilderte Viehherde wäre leichter vor sich her zu treiben gewesen. Die verdammten Satanskinder blieben stehen, um sich die Nasen zu putzen oder um sich zu kratzen oder um zu weinen – ja, es war natürlich das Mädchen, das weinte.

Dann kamen sie in ein kleines Zimmer mit herunterhängen-der Tapete. Und Eva-Lotte schluchzte auf, als ihr einfiel, wie sie und Kalle hier eingeschlossen gewesen waren vor langer Zeit, damals, als sie noch jung und glücklich waren.

Kalle sah prüfend an den Wänden entlang.

»Nee, hier war es doch wohl nicht«, sagte er.

»Nee, hier war es sicher nicht«, sagte Anders.

Dieses Zimmer war aber das letzte im ganzen oberen Stockwerk, und der große Klaus stieß einen unartikulierten Schrei aus.

»Glaubt ihr, ihr könnt mich zum Narren halten?« schrie er los. »Glaubt ihr, daß ich nicht merke, wie ihr mich an der Nase herumführt? Aber jetzt sollt ihr mal auf mich hören, sage ich euch! Ihr holt sofort das Papier raus. Jetzt sofort. Und wenn ihr vergessen habt, wo es ist, wird es für euch am schlimmsten. Bekomme ich es nicht in genau fünf Sekunden, schieße ich euch alle drei nieder.«

Er stand mit dem Rücken zum Fenster und zielte auf sie. Kalle verstand, daß er es ernst meinte und daß seine Taktik nun nicht mehr taugte. Er nickte Anders zu. Anders ging hinüber zu der Wand, an der die Tapete in Fetzen herunterhing. Die Hand, die er in der Tasche hielt, zog er heraus und steckte sie hinter die Tapete. Als er sie nach einem Augenblick wieder hervornahm, hatte er ein Papier zwischen den Fingern.

»Hier ist es ja«, sagte er.

»Das ist gut«, sagte der große Klaus. »Bleibt dort dicht beieinander stehen. Und du streckst deine Hand aus und gibst mir das Papier.«

»Wow e ror fof tot eu choch zoz u Bob o dod e non, wow e non non i choch non ie sos e«, sagte Kalle zungenzerbrechend.

Anders und Eva-Lotte faßten sich an die Ohrläppchen zum Zeichen, daß sie verstanden hatten.

Der große Klaus hörte zwar, daß eines der Kinder eine Art Kauderwelsch redete; was es aber war, interessierte ihn nicht. Er wußte, daß er nun bald damit fertig war. Wenn er erst das Papier hatte, sollte es geschehen. Er streckte seine Hand nach dem Papier aus, das Anders ihm entgegenhielt, und hatte die ganze Zeit seinen Revolver in Bereitschaft. Aber seine Finger zitterten, als er mit nur einer Hand versuchte, den zusammengeknüllten Schuldschein zu glätten.