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Nun glättete er den Umschlag zum erstenmal. Er hatte ihn vor-dem einfach so, wie er war, in den Karton gelegt, wo er seine Marken aufbewahrte.

»Fräulein Eva-Lotte Lisander« stand in Maschinenschrift auf dem Umschlag. Ja, sie hatte sehr viel Post gehabt in letzter Zeit, die Eva-Lotte. Er sah in den Umschlag hinein. Natürlich leer!

Als er die Marke noch einmal sah, freute er sich. Sie war wirklich sehr schön. Wo der Brief abgesandt war, konnte man nicht sehen. »B. P.« stand auf dem Stempel. Das bedeutete »Bahn-post«. Das Datum aber konnte man deutlich erkennen.

Und plötzlich kam ihm wie der Blitz ein Gedanke. Wenn das nun der Umschlag war, nach dem die Polizei so sehr gesucht hatte? Mal sehen … Der Tag, als die Weißen in der Laube gesessen hatten und Sixtus ihn ausgeschickt hatte, die Weißen zu reizen, – war das nicht der Tag, an dem Eva-Lotte die Schokolade bekommen hatte? Ja, klar, das war der Tag! Und an dem Tag hatte er auch den Umschlag gefunden. Was für eine Nuß er doch war, nicht schon früher den Umschlag etwas genauer anzusehen!

In zwei Minuten war er bei Sixtus, der auch zu Hause saß. Er spielte Schach mit Jonte. Und in zwei Minuten waren sie alle bei Eva-Lotte, die auch zu Hause saß. Oben auf dem Bäckereiboden mit Anders und Kalle. Sie hörten sich an, wie der Regen auf das Dach tropfte, und lasen Witzblätter. Und in zwei Minuten waren die sechs auf dem Polizeirevier. Aber es kostete die Durchnäßten beinahe eine Viertelstunde, hineinzugelangen, um Onkel Björk und dem Kriminalkommissar klarzumachen, weshalb sie gekommen waren.

Der Kommissar betrachtete den Umschlag durch die Lupe.

Der Buchstabe t war deutlich sichtbar auf der Schreibmaschine, die man zur Beschriftung benutzt hatte, fehlerhaft. Jedes t hatte eine winzige Scharte.

»Kinder sind wie Hunde«, schmunzelte der Kommissar, als die sechs gegangen waren. »Sie schnüffeln überall umher und wühlen in einer Menge Plunder rum, aber dann, hast du nicht gesehen, kommen sie doch mit etwas Genießbarem nach Haus!«

Der Umschlag erwies sich als in hohem Maße genießbar. Der große Klaus hatte tatsächlich eine Schreibmaschine, und als festgestellt wurde, daß der Buchstabe t auf seiner Maschine den-selben Fehler aufwies wie die entsprechenden Buchstaben auf dem Umschlag, hielt der Kommissar die Zeit für reif, ihn unter Mordanklage zu stellen. Aber nach wie vor weigerte sich der Verhaftete, zu gestehen. Man war gezwungen, ihn auf Indizien hin anzuklagen.

Sixtus hatte eine neue Karte mit einem neuen »Grabt hier« angefertigt. Und eines schönen Abends kam er und übergab sie den Rittern der Weißen Rose, die vollzählig im Garten des Bäk-kermeisters versammelt waren.

»Grabt hier«, sagte Anders, als Sixtus ihm die Karte in die Hand steckte. »Ja, das sagst du. Aber was wird dein Vater sagen, wenn wir seinen Rasen umpflügen?«

»Wer hat gesagt, daß es Rasen ist? Folgt ihr nur der Karte, und ich garantiere dafür, daß kein Vater schimpfen wird. Benka und Jonte und ich, wir sausen jetzt. Wir werden inzwischen baden gehen.«

Die Weißen zogen zum Garten des Postdirektors. Sie rechneten die Abstände aus und verglichen mit der Skizze auf der Karte und kamen schließlich dahinter, daß die Kassette in einem alten, fast völlig zugewachsenen Erdbeerbeet eingegraben sein mußte. Munter begannen sie zu graben, und bei jedem Stein, an den sie stießen, jubelten sie laut auf in dem Glauben, es sei die Kassette, die von einem Spaten getroffen war. Aber jedesmal wurden sie enttäuscht und gruben von neuem, so daß der Schweiß nur so rann. Als sie schließlich fast das ganze Erdbeerbeet durchgeackert hatten, sagte Kalle plötzlich mit einem Seufzer:

»Na endlich, hier haben wir sie.« Und er grub die Finger in den Sand und holte die erdige Kassette hervor, die so heimtük-kisch in die äußerste Ecke verlagert worden war.

Anders und Eva-Lotte warfen ihre Spaten beiseite und eilten hinzu. Vorsichtig säuberte Eva-Lotte mit dem Taschentuch ihren kostbaren Reliquienschrein, und Anders nahm den Schlüssel, den er an seinem Hals trug, heraus. Die Kassette war so unheimlich leicht. War es denkbar, daß die Roten einen falschen Schlüssel benutzt und einige der Kostbarkeiten einfach gestohlen hatten? Um sich zu überzeugen, öffneten sie schnell ihre Kassette.

Tatsächlich, da lagen keine Geheimdokumente und Kostbarkeiten mehr. Da lag nur ein Zettel, beschrieben mit der verab-scheuungswürdigen Handschrift von Sixtus. Und der Zettel enthielt folgende Aufforderung:

»Grabt hier mehr! Macht weiter, wie Ihr angefangen habt!

Ihr braucht nur noch ein paar tausend Meilen zu graben, dann kommt Ihr in Neuseeland raus. Dort könnt Ihr dann bleiben!«

Die Weißen stießen einen Ruf der Verbitterung aus. Und hinter der Hecke hörte man ein entzückt gluckerndes Lachen.

Sixtus, Benka und Jonte kamen hervor.

»Ihr Lümmel, wo habt ihr unsere Urkunden gelassen?«

schrie Anders sie an.

Sixtus schlug sich auf die Knie und lachte erst ausgiebig, bevor er antwortete.

»Maulwürfe!« sagte er. »Glaubt ihr, wir haben irgendein Interesse an euren schmierigen Urkunden? Die liegen unter all dem anderen Plunder in eurer Kommodenschublade. Aber ihr hört ja weder noch seht ihr.«

»Nein, sie graben nur und graben und graben«, sagte Jonte.

»Ja, graben könnt ihr großartig«, lobte Sixtus. »Wie wird Vater zufrieden sein, wenn er mich nicht mehr mit dem Umgraben dieses alten Erdbeerbeetes zu quälen braucht! Ich hatte nämlich in der Sommerwärme keine rechte Lust dazu.«

»Na, du hast ja wahrscheinlich auch Blasen an den Händen, seit du so tüchtig nach dem Großmummrich gegraben hast«, vermutete Kalle.

»Das wird euch teuer zu stehen kommen, meine Herren«, sagte Anders.

»Ja, darauf könnt ihr die Kurve nehmen«, sagte Eva-Lotte.

Sie schüttelte das erdige Taschentuch aus und stopfte es wieder in ihre Tasche. Da steckte schon etwas, ganz unten in der Tiefe der Tasche. Es war ein Stück Papier. Sie nahm es heraus und sah es an. »Revers« stand ganz oben. Eva-Lotte lachte auf.

»Nee, kann man sich so etwas vorstellen!« sagte sie. »Hier steckt doch dieser olle Revers! Die ganze Zeit über muß er schon hier gesteckt haben, während alle möglichen Leute drau-

ßen auf der Prärie zwischen den Büschen rumkrochen und danach suchten. Habe ich es nicht immer gesagt – es ist irgendwie blödsinnig mit Reversen!«

Sie sah sich das Papier genauer an. »Klaus«, sagte sie. »Ja, stimmt. Übrigens hat er eine ganz nette Handschrift.«

Dabei knitterte sie das Papier wieder zu einem Ball zusammen und warf es ins Gras, wo der Sommerwind damit zu spielen begann. »Nun ist er ja verhaftet«, sagte sie. »Jetzt ist es ja gleich, was für eine Handschrift er hat.«

Kalle schrie auf und warf sich über das kostbare Papier. Er sah Eva-Lotte vorwurfsvoll an: »Ich will dir mal etwas sagen, Eva-Lotte. Es wird einmal sehr unglücklich mit dir enden, wenn du nicht endlich damit aufhörst, so mit wichtigen Papieren umherzuwerfen.«

SIEBZEHNTES KAPITEL

»Ei non Hoh o choch dod e non Ror o tot e non Ror o sos e non«, sagte Sixtus mit einiger Anstrengung. »Eigentlich eine verflixt einfache Sprache, wenn man darüber nachdenkt.«

»Ja, das kannst du jetzt sagen, wo du den Trick kennst«, sagte Anders lachend.

»Und außerdem müßt ihr noch lernen, sie viel, viel schneller zu sprechen« sagte Kalle.

»Ja, nicht einen Buchstaben heute und einen morgen«, stichelte Eva-Lotte. »Die Rors müssen nur so knattern!«

Wieder saßen sie alle auf dem Bäckereiboden, die Ritter der Weißen und die der Roten Rose. Die Roten hatten soeben ihre erste Lektion in der Räubersprache bekommen. Bei näherer Überlegung hatten nämlich die Weißen eingesehen, daß es ein Gebot der Nächstenliebe war, die Roten in das Geheimnis ihrer Sprache einzuweihen. Der Nutzen durch die Kenntnisse in fremden Sprachen kann nicht hoch genug gewertet werden, pflegte ja auch der Lehrer in der Schule stets zu sagen. Oh, wie hatte er recht! Denn wie wären wohl Anders, Kalle und Eva-Lotte im Herrenhof klargekommen, wenn sie nicht die Räubersprache beherrscht hätten! Kalle hatte einige Tage darüber nachgedacht und schließlich zu Eva-Lotte und Anders gesagt: