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»Oder sollen etwa die ganzen Sommerferien draufgehen, ehe ihr euch entscheiden könnt?« brummte Jonte. »Habt ihr ihn nun versteckt oder nicht?«

Anders rutschte am Seil hinab, dem Seil, das die Weißen Rosen stets benutzten, um schnell von ihrem Boden-Hauptquartier auf die Erde zu kommen.

»Klar, daß wir den Großmummrich versteckt haben«, sagte er. Er ging auf den Chef der Roten Rosen zu, sah ihm ruhig ins Gesicht und sprach, jedes Wort betonend:

»Schwarz und weiß der Vogel, baut ein Nest, nicht weit von öder Burg. Sucht heute nacht!«

»Läusepudel!« war das einzige, was der Rote Chef auf diese nachdrückliche Mahnung erwiderte. Aber er nahm sofort seine Getreuen mit an einen geschützten Platz hinter den Johannis-beerstäuchern, um sich mit ihnen zu beraten.

»Bah, das ist natürlich ’ne Elster«, rief Jonte. »Der Großmummrich liegt in einem Elsternnest! Das kann sich doch ein Säugling an den zehn Fingern ausrechnen.«

»Ja, ja, kleiner Jonte, das kann sich ein Säugling ausrechnen«, rief Eva-Lotte vom Bäckereiboden herunter. »Sogar ein so kleiner, winziger Säugling wie du kann sich das ausrechnen.«

»Kann ich nicht schnell einmal Urlaub haben, um sie zu verprügeln, Chef?« fragte Jonte.

Aber Sixtus hielt den Großmummrich für das Wichtigste auf der Welt, und Jonte mußte auf seine Strafexpedition verzichten.

»… nicht weit von öder Burg. Damit kann nur die Schloßruine gemeint sein«, flüsterte Benka leise und vorsichtig, damit Eva-Lotte diesmal nichts hören konnte.

»In einem Elsternnest nahe bei der Schloßruine«, sagte Sixtus, denkbar zufrieden. »Kommt, wir hauen ab, und zwar sofort.«

Hinter den drei Rittern der Roten Rose flog die Tür im Zaun des Bäckermeisters mit einem Knall zu. Eva-Lottes Katze auf der Veranda fuhr erschrocken aus ihrem Vormittagsschlaf hoch.

Bäckermeister Lisander steckte sein gutmütiges Gesicht aus dem Fenster und rief seiner Tochter zu: »Na, Eva-Lotte, wie lange, glaubst du, wird es noch dauern, bis ihr die Bäckerei zerstört habt?«

»Ihr?« Eva-Lotte war sehr erstaunt. »Können wir dafür, wenn die Roten das Grundstück wie eine Herde Bisonochsen verlassen? Wir knallen nicht so mit der Tür.«

»Glaube ich«, sagte der Bäckermeister und hielt den Weißen Rosen aufreizend ein Backblech mit zuckerbegossenen Schnek-ken vor die Nasen: »Ihr knallt keine Gartentüren zu.«

Wenige Augenblicke später rasten auch die Weißen Rosen aus dem Garten, und die Zauntür flog mit einem Knall zu, daß die Blumen auf den Rabatten mit einem wehmütigen Seufzer ein paar welke Blätter zu Boden fallen ließen. Der Bäckermeister seufzte auch wehmütig. »Bisonochsen« hatte Eva-Lotte doch wohl gesagt. »Ja, ja …«

An einem friedlichen Sommerabend vor Jahren war der Krieg zwischen den Weißen und den Roten Rosen ausgebrochen.

Lange währte er nun, und keine der kriegführenden Parteien zeigte Ermüdungserscheinungen. Im Gegenteil! Anders sprach in letzter Zeit sehr oft vom Dreißigjährigen Krieg als einem nachahmenswerten Beispiel.

»Wenn die früher so lange durchhalten konnten«, beteuerte er voller Enthusiasmus, »so können wir noch viel länger.«

Eva-Lotte sah die Sache nüchterner. »Stell dir vor, wenn du als dicker Brocken von vierzig durch die Gräben kriechst, um den Großmummrich zu suchen! Die Gören der ganzen Stadt werden aus dem Kichern nicht herauskommen.«

Der Gedanke war nicht angenehm. Ausgelacht und – schlimmer noch – vierzig Jahre alt zu werden, während es gleichzeitig Glückliche gab, die nicht mehr als dreizehn, vierzehn waren!

Anders empfand einen ausgesprochenen Widerwillen gegen diese Kleinen, die einmal die Spielplätze, die Verstecke und den Krieg der Rosen übernehmen würden und außerdem so unverschämt sein durften, über ihn zu lachen. Über ihn, den Chef der Weißen Rosen aus vergangenen großen, stolzen Tagen, als diese Rotznasen noch nicht einmal geboren waren.

Anders war bekümmert. Eva-Lottes Worte hatten ihn erkennen lassen, daß das Leben kurz war und daß es darauf ankam, zu spielen, solange man das konnte – ohne ausgelacht zu werden.

»Auf jeden Fall wird niemand so viel Spaß haben wie wir«, tröstete Kalle seinen Chef. »Den echten Krieg zwischen den Weißen und Roten Rosen wird es nie mehr geben! Das können die kleinen Kleckerchen sich merken.«

Eva-Lotte war derselben Meinung. Nichts konnte sich mit dem Krieg der Rosen messen. Selbst wenn sie einmal so beklagenswerte Vierziger wurden, wie sie eben geschildert hatte, blieb ihnen eines: die unauslöschliche Erinnerung an ihre herrlichen Sommerspiele. Das wundervolle Gefühl, wie man mit nackten Füßen über das weiche Gras der Prärie lief, wie das Wasser beim Baden einem warm und freundlich zwischen den Zehen perlte oder wie die Sonne durch die offenen Luken so lange in den Bäckereiboden schien, bis sogar die Holzbalken nach Sommer rochen, – das alles konnte nie aus ihrer Erinnerung getilgt werden. Ja, der Krieg der Rosen war für ewige Zeiten mit Sommerferien, milden Winden und hellem Sonnenschein verknüpft. Herbstdunkel und Winterkälte brachten unwillkürlich Waffenruhe in den Kampf um den Großmummrich.

Wenn die Schule begann, wurden die Feindseligkeiten einge-stellt, und der Krieg flackerte nicht eher wieder auf, als bis die Kastanien in der Hauptstraße wieder in voller Blüte standen und die Frühjahrszeugnisse an den kritischen Elternaugen vorbeige-rutscht waren.

Jetzt aber war Sommer, und der Rosenkrieg blühte mit den echten Rosen im Garten des Bäckermeisters um die Wette.

Schutzmann Björk, der die Kleine Straße entlangschlenderte, wußte, was im Gange war, als er zuerst die Roten den Weg zur Schloßruine galoppieren sah und einige Minuten später die Weißen in sausender Fahrt an ihm vorbeistürmten.

Eva-Lotte konnte gerade noch »Hej, Onkel Björk!« rufen, bevor ihr heller Haarschopf hinter der nächsten Ecke verschwand. Schutzmann Björk lächelte vor sich hin. Dieser Großmummrich – mit wie wenig die Kleinen doch zufrieden waren! Der Großmummrich war ja nur ein Stein, nichts anderes als ein seltsam geformter kleiner Stein, und doch reichte er aus, den Krieg der Rosen in Gang zu halten. Ja, ja, es war oft sehr wenig nötig, um einen Krieg zu entfesseln. Schutzmann Björk seufzte, als er daran dachte, wie wenig tatsächlich dazu nötig war. Dann ging er mit bedachtsamen Schritten weiter, um sich ein Auto anzusehen, das auf der anderen Seite des Flusses falsch parkte. Auf halbem Weg blieb er stehen und starrte philoso-phierend in das Wasser, das langsam unter dem Brückenbogen hervorglitt. Da kam eine alte Zeitung mit dem Strom angese-gelt. Sie schaukelte sacht auf den Wellen. Die großen Buchstaben ihrer Schlagzeile verkündeten, was gestern oder vorgestern oder vor einer Woche neu gewesen war. Björk las sie zerstreut.

UNZERSTÖRBARES LEICHTMETALL

REVOLUTION IN DER KRIEGSINDUSTRIE

Schwedischer Wissenschaftler löst das Problem, das die Wissenschaft der ganzen Welt beschäftigt hat.

Wieder seufzte Schutzmann Björk: »Wie schön wäre es, wenn die Menschheit sich auf den Kampf um Großmummriche beschränken würde. Dann hätte man eine Kriegsindustrie gar nicht nötig …« Jetzt aber mußte er sich um das falsch parkende Auto kümmern.

»Hinter der Schloßruine werden sie bestimmt zuerst suchen«, versicherte Kalle und machte bei diesem Gedanken einen munteren Luftsprung.

»Deshalb habe ich auch dort eine kleine Mitteilung für die Rötlichen hingelegt«, grinste Anders. »Wenn sie die gelesen haben, werden sie schön wild werden. Ich glaube, wir können in der Nähe warten und uns ihren Anfall ansehen.«

Auf einer Anhöhe vor ihnen reckte die alte Schloßruine ihre geborstenen Mauern in den blaßblauen Sommerhimmel. Einsam lag sie dort, eine häßliche alte Burg, seit Jahrzehnten der Verlassenheit und dem Verfall anheimgegeben. Tief unter sich hatte sie die anderen Bauten der Stadt gelassen. Nur das eine oder andere Haus war vorwitzig ein wenig den Berg hinaufge-klettert, um sich der Großen, Gewaltigen oben auf der Höhe zu nähern.