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Hinter den Büschen herrschte Verzweiflung. Was konnte man schon für Rasmus tun, solange die Figur dort umherlief?

Eva-Lotte weinte. Kalle mußte ihr einen kräftigen Puff geben, um sie zum Schweigen zu bringen, und schließlich nahm er sich mit dem Puff auch etwas von seiner eigenen Angst.

»Jammer und Elend«, sagte Anders. »Was sollen wir denn bloß tun?«

Da schluckte Eva-Lotte energisch einen Schluchzer hinunter und sagte: »Ich, auf jeden Fall – ich muß zu Rasmus in das Auto.

Wird er geraubt, so werde ich auch geraubt! Er soll nicht ganz allein mit einem Haufen Räuber sein, wenn er aufwacht.«

»Ja aber …« wollte Kalle einwenden.

»Ruhig! Red nicht!« wehrte Eva-Lotte ab. »Geht und macht verdächtige Geräusche in den Büschen – etwas weiter weg natürlich –, damit der Kerl das Auto eine Weile vergißt.«

Anders und Kalle sahen sie erschrocken an, aber sie merkten, Eva-Lotte war entschlossen. Und wenn Eva-Lotte entschlossen war, konnte man nichts dagegen tun. Das wußten sie aus Erfahrung.

»Laß mich das für dich machen«, schlug Kalle vor, obwohl er genau wußte, daß es zwecklos war.

»Los, los, lauft schon!« sagte Eva-Lotte. »Beeilt euch! Beeilt euch!« Sie gehorchten ihr. Bevor sie verschwanden, hörten sie hinter sich noch Eva-Lottes flüsternde Stimme:

»Wie eine Mutter werde ich zu Rasmus sein. Und dann werde ich, wenn ich kann, Spuren zurücklassen. Ihr wißt doch: so wie in ›Hänsel und Gretel‹.«

»Fein«, sagte Kalle. »Wir werden dir wie zwei Bluthunde folgen.«

Sie winkten ihr noch einmal zu und liefen dann lautlos zwischen den Büschen fort.

Wie gut, wenn man bei solchen Gelegenheiten leise schleichen kann! Also ist er doch nicht nutzlos gewesen, der Krieg der Rosen. Man hat sich eine gewisse Übung darin erworben, Wacht-posten zu täuschen. Diesen Idioten auf der Straße zum Beispiel.

Er hat den Auftrag bekommen, Rasmus zu bewachen. Und treu und brav schlendert er nun auf der Straße um das Auto herum.

Hin und her. Hin und her. Dann aber hört er plötzlich weiter entfernt in den Büschen ein verdächtiges Geknacke. Und dann muß er natürlich dorthin und sehen, was das wohl sein kann.

Springt also resolut über den Graben und taucht hinein in die Haselnußsträucher. Sehr aufmerksam, sehr wachsam, klar, klar, er ist ja so wachsam! Aber es ist doch das Auto, auf das er achtgeben soll, der Dumme! Was kann nicht alles am Auto passieren, während er zwischen den Haselnußsträuchern sucht! Völlig sinnlos sucht. Denn er findet dort nichts, einfach gar nichts.

Freilich liegen da zusammengekauert hinter einem Gebüsch zwei Jungen versteckt, aber die sieht er natürlich nicht. Und in seiner Einfalt glaubt er, falsch gehört zu haben, oder er glaubt, daß da ein Tier zwischen den Büschen geraschelt hat. Er ist schon ein wachsamer Bursche! Er hat es jedenfalls bewiesen.

Und als er zum Auto zurückgeht, ist er richtig zufrieden mit sich selbst.

Und nun kommen auch endlich seine Kumpane. Die beiden Jungen, die vorsichtig aus dem Haselnußbusch hervorlugen, sehen sie auch.

»Guck, der Professor«, flüsterte Kalle. »Sieh bloß, die rauben auch den Professor!«

Ist das überhaupt wahr? Ist das alles nur ein Traum? Ist das wirklich der Professor, der da zum Auto gezerrt wird? Ein wilder, wütender, sich wehrender, widerspenstiger Professor mit auf dem Rücken gebundenen Händen und einem Knebel im Mund.

Es ist wie im Traum und unheimlich. Aber ist es denn ein Traum? Jetzt, da es anfängt hell zu werden, sieht man alles so entsetzlich klar. Der Staub, den der Professor mit seinen widerstrebenden Füßen aufwirbelt, der ist kein Traum. Der Knall, als die Autotür hinter ihm zugeworfen wird, ist auch Wirklichkeit.

Nun rast der Wagen die abschüssige Straße hinunter und verschwindet. In dem klaren Dämmerlicht liegt die Straße jetzt einsam und leer da. Es könnte alles ein Traum gewesen sein, wenn nicht noch ein schwacher Dunst von Benzin in der Luft hängen würde. Und wenn nicht dort am Straßenrand ein kleines feuchtes Taschentuch liegen würde. Eva-Lottes Taschentuch.

»Ob sie Eva-Lotte rauswerfen, wenn sie sie entdecken?« fragt Anders.

»Die werden sich hüten«, murmelt Kalle, »den einzigen Augenzeugen, den es ihrer Meinung nach gibt, in Freiheit zu setzen.«

Unten schläft die Stadt. Sie wird bald erwachen. Die ersten Sonnenstrahlen blitzen bereits auf den vergoldeten Turmspitzen des Rathauses.

»Guter Moses!« sagt Kalle und schüttelt sich.

»Ja, du guter Moses!« sagt Anders. »Worauf wartest du noch, Kalle? Bist du nun Meisterdetektiv Blomquist oder nicht?«

VIERTES KAPITEL

In Windungen und Bogen tastet sich die Straße weich durch die grüne Sommerlandschaft. Zwischen weißen Birkenstämmen läuft sie vorbei an kleinen, runden Hügeln, an kleinen, blitzen-den Seen, an kleinen Kieferngehölzen, an blühenden Waldlich-tungen, an grünen Wiesen und an sich wiegenden Kornfeldern.

Auf vielen krummen Wegen kommt sie so langsam an die Küste zum Meer. Diese Straße entlang rast an diesem herrlichen Sommermorgen ein großes schwarzes Auto, das mit wilder Geschwindigkeit um die Kurven schleift und Steinchen und Staub über die gelben Blumen an den Straßenkanten wirft. Es ist ein ganz gewöhnliches Auto. Aber ein aufmerksamer Beobachter könnte doch eine Besonderheit an dem Wagen finden. Er hinterläßt nämlich so merkwürdige Spuren – und nicht von den Reifen.

Durch das offene Seitenfenster reckt sich dann und wann eine Mädchenhand, und später kann man auf dem kiesigen Straßen-grund kleine rote Papierstückchen oder auch manchmal weiße Milchbrötchenkrümel entdecken. Ja, haargenau: Milchbrötchenkrümel! Denn Eva-Lotte ist ja nicht für nichts und wieder nichts die Tochter eines Bäckers. Sie hat sich, bevor sie wegging, ein paar Milchbrötchen in die Kleidertaschen gesteckt. Die roten kleinen Papierstückchen sind Teile eines Plakates. Sie hat es von einem Telegraphenmast heruntergerissen, bevor sie zu dem schlafenden Rasmus in das Auto schlüpfte. GROSSES SOM-MERFEST stand in schwarzen Buchstaben auf dem Plakat.

TOMBOLA TANZ KAFFEEPAUSE. Gott segne Kleinköpings Sportverein für dieses Plakat!

Die Fahrt wird lang werden, und wie lange reichen denn einige Milchbrötchen? Bald muß Eva-Lotte anfangen, sie und die Plakatstückchen zu rationieren. Bei jeder Weggabelung muß ein leuchtendroter Zettel liegen. Wie können wohl sonst die Retter wissen, welchen Weg sie nehmen sollen?

Werden übrigens Retter kommen? Wenn nicht, wie wird dann dieses Abenteuer enden? O Anders! O Kalle …

Eva-Lotte sieht sich im Auto um und macht sich innere No-tizen. Dort neben ihr im hinteren Sitz hockt immer noch gebunden und mit einem Knebel im Mund der Professor, und seine Augen sind voller Verzweiflung. Neben ihm sitzt der, der das Auto so treu und brav bewacht hat. Im Vordersitz sieht sie den sogenannten Nicke mit dem schlafenden Rasmus im Arm. Am Steuerrad neben ihm sitzt der andere Fassaden-kletterer – Blom heißt er, Eva-Lotte hat es schon gehört. Sie nimmt alles mit ihren Augen auf und läßt die Blicke dann durch die Fensterscheibe weiterwandern. Sie rasen durch eine schwedische Sommerlandschaft, da gibt es keinen Zweifel.

Die reifen Roggenfelder mit den Kornblumen und dem Mohn darin, das ist ja wohl schwedisch. Und die weißen Birkenstämme auch. Nur dieses Auto und seine wunderlichen Passa-giere gehören nicht hierher. Die gehören in einen amerikani-schen Gangsterfilm.

Eva-Lottes Herz klopft tatsächlich etwas schneller, wenn sie daran denkt, daß die drei fremden Männer im Auto wirklich und wahrhaftig Kidnapper[1] sind – es wirkt direkt lächerlich in dieser sonnigen schwedischen Landschaft! Kidnapper, die fahren ja doch wohl ausschließlich in strömendem Regen und an dunklen Herbstabenden in Chicago herum!

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1

Amerikanische Bezeichnung für Kinderräuber.