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über in das kristallklare Wasser tauchen, auf der Brücke liegen und sich sonnen, die Augen schließen und nur noch das gleichmäßige, leise Schwabben hören, wenn die Boote an ihrer Vertäuung zerren!

Ja, die Boote, die Boote der Kinderräuber! Sie hatten mehrere. Eva-Lotte konnte das Motorboot sehen, in dem man sie über den Sund gebracht hatte. Ganz nahe schaukelten in der schwachen Dünung drei Ruderboote. Auf der Brücke lag außerdem ein großes kanadisches Kanu.

Die Insel muß für Kinderräuber höchst bequem sein, dachte Eva-Lotte. Und Platz war hier, wenn es nötig sein sollte, für eine ganze Schwadron. Zu drängen brauchte sich hier niemand.

Viele kleine Häuschen lagen wie spielerisch hingeworfen im Gelände. Alle hatten den rechten Abstand zu dem großen, feinen, wo der Kidnapperchef residierte. Vielleicht wohnten in all den vielen kleinen Häuschen Kidnapper. Jeder für sich sein eigenes kleines Bienennest. Klopfte man gegen die Tür, kam möglicherweise ein aufgeregter kleiner Kidnapper herausgesurrt und erschreckt einen zu Tode!

Als Eva-Lotte so weit gedacht hatte, machte sie den Nacken steif und sah sehr bestimmt aus. Sie würde sich nicht erschrek-ken lassen. Niemand dürfte hier kommen und sich auf die Nase von Eva-Lotte Lisander setzen! Dieser Nicke sollte wissen, daß Eva-Lotte lebendig war. Mit ihren Fäusten ging sie auf die verschlossene Tür los.

»Nicke«, schrie sie. »Nicke, herkommen! Ich will etwas zu essen haben. Sonst kippe ich das Haus um!«

Anders und Kalle, die unter den Bäumen dem Gespräch zwischen dem Professor und Peters zuhörten, nahmen den Lärm mit Zufriedenheit zur Kenntnis. Gott sei Dank! Eva-Lotte war am Leben und, wie zu hören war, in keiner Weise angebrochen!

Nicke hörte den Lärm natürlich auch. Bei ihm war die Zufriedenheit darüber wesentlich geringer. Verärgert brummend, machte er sich auf, den Lärm zu beenden. Eva-Lotte wurde still, als sie den Schlüssel im Schloß hörte. Nicke kam näher, bereit, sie ordentlich abzukanzeln. Aber seine Zunge war nicht besonders schnell, und Eva-Lotte kam ihm zuvor.

»Die Bedienung in diesem Hotel läßt aber zu wünschen übrig!« sagte sie mit spitzer Betonung jedes einzelnen Wortes.

Nicke hatte plötzlich alles vergessen, was er ihr hatte sagen wollen. Er glotzte Eva-Lotte an, erstaunt und beinahe ein wenig verletzt.

»Nee du, hör du mal«, sagte er. »Nee du, hör …«

»Ja du, hör du mal«, sagte Eva-Lotte. »Reiner Mist ist das hier mit der Bedienung in diesem Hotel. Ich will mein Essen haben! Essen! Falls du Schwedisch verstehst!«

»Dich haben wir unserer Sünden wegen bekommen«, sagte Nicke bitter. »Und daran hat der zweimal dumme Svanberg schuld, der nicht richtig auf das Auto achten konnte. Es wird wirklich interessant sein zu hören, was der Chef davon hält.«

»Na, mit mir habt ihr schließlich einen guten Fang gemacht«, sagte Eva-Lotte. »Für einen Kinderräuber muß es doch wundervoll sein, plötzlich an zwei Kinder zu kommen, wo er nur mit einem gerechnet hat.«

»Nee du, hör du mal«, sagte Nicke wieder. »Der Quatsch gefällt mir nicht. Für dich bin ich noch lange kein Kinderräuber.«

»Bist du nicht? Ja, aber genau bist du für mich der Kinderräuber Nicke. Wenn man Kinder klaut, ist man ein Kinderräuber, das ist dir doch wohl klar. Oder ein Kidnapper. Aber das ist dasselbe auf englisch.«

Wieder sah Nicke so erstaunt und zugleich verletzt aus. Von dieser Seite hatte er das alles vorher sicher nicht angesehen, und er hatte auch jetzt nicht die Absicht, es zu tun.

»Ich bin aber kein Kinderräuber für dich«, sagte er etwas unsicher. »Und übrigens hörst du jetzt auf, solchen Lärm zu machen«, schrie er los, plötzlich überwütend. Er packte Eva-Lotte an den Armen und schüttelte sie. »Hörst du, du hörst auf, solch einen Lärm zu machen, sonst bekommst du eine Tracht Prügel von mir, daß es nur so hagelt.«

Eva-Lotte sah ihm schnurgerade in die Augen. Ihr schwebte unklar vor, so täte man, wenn man wilde Bestien zähmte.

»Ich will etwas zu essen haben«, sagte sie bestimmt. »Bald wird es sich hier anhören, als fordere eine ganze Schulklasse ihr Essen, wenn ich nicht mein Essen kriege.«

Nicke fluchte und ließ sie los. Er ging auf die Tür zu.

»Jaja, du sollst zu essen haben«, sagte er. »Haben die Gnä-digste besondere Wünsche?«

»Hm, na – Schinken und Ei vielleicht«, sagte Eva-Lotte. »So etwas mag ich zum Frühstück recht gern. Und die Eier auf beiden Seiten gebraten, bitte sehr! Und vor allem: schön mit Tempo, etwas schneller, wenn ich bitten darf.«

Nicke schlug die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu.

Eva-Lotte hörte, wie der Schlüssel im Schloß umgedreht wurde.

Und sie hörte, wie Nicke in ganzen Serien fluchte.

Bald danach aber hörte sie etwas anderes, etwas, was sie mit grenzenloser Freude erfüllte. Sie hörte, wie ganz leise vor ihrem Fenster das Signal der Weißen Rosen gepfiffen wurde. Ganz leise – aber herrlicher als alle Harfentöne des Himmels.

SECHSTES KAPITEL

Kalle wachte mit einem Ruck auf. Ziemlich verwirrt sah er sich um. Wo war er? War es Abend oder Morgen? Und warum lag dort Anders?

Langsam begann es sich in seinem Gehirn zu klären: Es war Abend. Er lag in einer Hütte, die er zusammen mit Anders gebaut hatte. Die letzten Strahlen der Sonne färbten draußen die Kiefern bei den Felsen rot. Und Anders lag einfach dort, weil er übermüdet war. Was für ein Tag! Strenggenommen, hatte er ja bereits gestern abend in der Schloßruine begonnen. Und jetzt war wieder Abend. Fast den ganzen Nachmittag hatten Anders und er geschlafen. Der Schlaf war nötig gewesen. Vorher aber hatten sie sich noch diese wunderbare Hütte gebaut.

Kalle streckte seine Hand aus und betastete die Wand aus Tannenzweigen. Ja, er liebte diese Hütte! Sie war jetzt ihr Zu-hause, ein kleiner Ort des Friedens, den sie sich, so weit als irgend möglich von den Kidnappern entfernt, geschaffen hatten.

Hier konnte keiner sie finden. Die Reisighütte lag eingebettet in einer Mulde zwischen zwei Felsen. Wenn man nicht direkt auf sie zukam, war es sehr schwer, sie zu entdecken. Hier war Schutz vor allen Winden und weiches Tannengrün, darauf zu schlafen. Die Felsen hatten noch viel von der Sonnenwärme des Tages aufgespeichert; zu frieren brauchten sie in der Nacht nicht. Ja, es war eine wunderbare Hütte.

»Bist du hungrig?« fragte Anders. Es kam so unerwartet, daß Kalle zusammenzuckte.

»Bist du aufgewacht?«

Anders setzte sich auf seinem Bett aus Tannenzweigen auf.

Seine Haare waren struwwelig, und auf einer Backe zeigte sich ein zierliches rotes Tannenzweigmuster.

»Ich bin so hungrig, ich glaube, ich könnte jetzt sogar gekochten Schellfisch essen«, stöhnte er.

»Sprich nicht davon, Anders«, sagte Kalle. »Ich wollte gerade hinausgehen, um etwas Borke von den Bäumen abzunagen.«

»Ja, ja, wenn man einen langen Tag von Blaubeeren gelebt hat, möchte man ja schließlich abends etwas Hartes zwischen die Zähne kriegen«, gab Anders zu.

Eva-Lotte war ihre einzige Hoffnung. Sie hatte ihnen versprochen, etwas zu essen zu beschaffen. »Ich werde Nicke um den Verstand bringen«, hatte sie gesagt. »Ich werde ihm erzählen, daß der Doktor mir verordnet hat, jede, aber auch jede Stunde zu essen. Ihr werdet schon nicht verhungern, keine Angst! Kommt zurück, wenn es dunkel wird.«