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»Dann können wir jeden Tag baden, nicht?« fragte er. »Ich kann schon fünf Stöße schwimmen. Willst du mal sehen, wie ich fünf Stöße schwimme?«

»Jaja«, sagte Peters, »aber …«

»Oh, das wird lustig werden«, redete Rasmus weiter. »Paß auf: Einmal im Sommer, als wir badeten, kam Marianne unter das Wasser. Blupp, blupp, blupp, sagte es. Aber dann kam sie wieder hoch. Marianne kann nämlich bloß vier Stöße schwimmen!«

Peters stöhnte nervös: »Ich pfeife auf deine Schwimmstöße.

Ich will wissen, wo dein Vater diese Papiere mit den roten Zahlen versteckt hat.«

Rasmus hob die Augenbrauen und betrachtete ihn ungnädig.

»Pfui Blase, was bist du dumm«, sagte er. »Hast du denn nicht gehört, wie Vati zu mir gesagt hat, daß ich es dir nicht erzählen darf?«

»Dein Vater interessiert uns jetzt gar nicht. Außerdem sollte so ein kleiner Rotzjunge nicht du zu älteren Personen sagen.

Nenne mich Herr Peters, verstanden?«

»Heißt du etwa so?« fragte Rasmus und streichelte sein schönstes Borkenboot.

Peters schluckte heftig. Er sah ein, daß man sich beherrschen mußte, wenn man Erfolg haben wollte. »Rasmus, du bekommst etwas Wundervolles, wenn du es mir erzählst«, sagte er mild.

»Du bekommst eine Dampfmaschine!«

»Dampfmaschine? Habe ich schon«, sagte Rasmus. »Bor-kenboote sind besser.« Er hielt Peters sein schönstes Borkenboot dicht unter die Nase: »Na, hast du schon jemals ein so schönes Boot gesehen, Peters?« Dann ließ er es auf der Decke hin und her fahren. Er fuhr über den Ozean nach Amerika, zu den Indianern. »Wenn ich groß bin, will ich Indianerhäuptling werden und alle schlechten Menschen totschlagen«, versicherte er.

Auf diese sensationelle Mitteilung antwortete Peters nicht. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben, und suchte nach einer Möglichkeit, Rasmus dorthin zu bekommen, wohin er ihn haben wollte.

Das Borkenboot glitt über die Decke. Eine kleine braune und ziemlich schmutzige Hand bewegte es.

»Du bist ein Kidnapper«, sagte Rasmus, während seine Augen dem Weg des Bootes über den Ozean folgten. Und auch seine Gedanken waren bei dem Boot, als er wie geistesabwesend fortfuhr: »Du bist ein Kidnapper, deshalb darfst du keine Geheimnisse erfahren. Sonst könnte ich dir ja erzählen, daß Vati sie mit Reißzwecken hinter dem Bücherregal festgemacht hat.

Aber das erzähle ich dir nicht … Oh, nun habe ich es aber gesagt«, stellte er erstaunt fest.

»Rasmus, Rasmus«, jammerte Eva-Lotte.

Peters sprang auf.

»Hast du gehört, Nicke?« rief er und lachte laut und zufrieden. »Hast du das gehört? Mensch, das ist zu schön, um wahr zu sein! ›Hinter dem Bücherregal‹, hat er gesagt! Wir holen sie noch heute nacht. Halte dich in einer Stunde bereit!«

»Okay, Chef«, sagte Nicke.

Peters eilte zur Tür, völlig ungerührt von Rasmus’ wildem Schreien: »Nein, wieder zurück! Das gilt nicht, wenn man sich so vergißt. Es gilt nicht! Es gilt nicht! Wieder zurück!«

NEUNTES KAPITEL

Die Weiße Rose verfügte über geheime Signale und Warnungs-zeichen der verschiedensten Art. So gab es nicht weniger als drei verschiedene Signale für »Gefahr«. Entweder die schnelle Berührung der Nasenspitze – ein Zeichen, das angewandt wurde, wenn Bundesgenossen und Feinde gleichzeitig zusammen waren und man auf unbemerkbare Weise den Bundesgenossen ermah-nen wollte, sich in acht zu nehmen. Oder den Eulenschrei, der heimlich alle im Gelände umherirrenden Weißen Rosen anrief, unmittelbar zur Hilfe herbeizueilen. Schließlich den großen Katastrophenschrei, der nur angewandt werden durfte, wenn tödliche Gefahr drohte und man sich in höchster Not befand.

Jetzt befand sich Eva-Lotte in höchster Not. Sie mußte Kalle und Anders sprechen – sofort. Sie ahnte, daß die beiden gleich hungrigen Wölfen hier in der Gegend umherstrichen, nur darauf bedacht, endlich das brennende Licht in ihrem Fenster zu sehen zum Zeichen, daß die Küste klar war. Aber die Küste war nicht klar. Nicke wollte nicht gehen. Er saß und saß und erzählte Rasmus Geschichten, wie er als junger Seemann über alle blauen Ozeane der Welt gesegelt wäre. Und Rasmus, diese kleine Nuß, ermunterte ihn nur noch mit vielen Fragen und wollte immer mehr hören. Dabei war es so eilig, eilig, eilig! In einer Stunde wollten Peters und Nicke schon unterwegs sein, um im Schutz der Nacht die wertvollen Papiere zu holen.

Für Eva-Lotte gab es nur einen Ausweg und – schon stieg er in die Luft, der große Katastrophenschrei. Er hörte sich genauso entsetzlich an, wie er gemeint war. Nicke und Rasmus traf fast der Schlag. Als Nicke wieder zu sich kam, schüttelte er den Kopf und sagte:

»Die scheint fertig zu sein. So schreit ein normaler Mensch nicht!«

»So schreien die Indianer«, erklärte Eva-Lotte. »Ich dachte mir, es würde vielleicht allgemein interessieren … Falls etwas noch nicht klargeworden ist, so hört es sich an.« Und noch einmal stieg der durchdringende Katastrophenschrei aus ihrer Kehle.

»Danke, danke, es reicht!« beteuerte Nicke.

Und damit hatte er recht. Irgendwo draußen im Dunkeln krächzte ein Kolkrabe. Nun ist es zwar nicht üblich bei den Kolkraben, sich nach Eintritt der Dunkelheit hören zu lassen, aber Nicke zeigte darüber kein Erstaunen und Eva-Lotte schon gar nicht. Sie wurde nur sehr glücklich über die Antwort des Kolkraben Anders: »Wir haben gehört!«

Wie sollte nun aber die wichtige Mitteilung über die Papiere zu ihnen hinaus? Ah, ein Ritter der Weißen Rose weiß immer Rat. Die Geheimsprache, die Räubersprache, war mehr als einmal nützlich gewesen und wurde es auch jetzt.

Nicke und Rasmus bekamen daher einen neuen Schreck, als Eva-Lotte plötzlich und ganz ohne vorherige Warnung in einen lauten und klagenden Gesang ausbrach:

»Ror e tot tot e tot dod i e pop a pop i e ror e dod e sos pop ror o fof e sossos o ror sos hoh i non tot e ror dod e mom bob ü choch e ror ror e gog a lol!« sang sie ununterbrochen, ohne sich um Nickes deutliche Mißbilligung zu kümmern.

»Nee du, hör du mal«, sagte er schließlich, »stell mal die Platte ab. Warum blökst du bloß so?«

»Das ist doch ein indianisches Liebeslied«, sagte Eva-Lotte.

»Ich dachte, es würde allgemein …«

»Ich glaube, dir tut es irgendwo allgemein weh«, unterbrach Nicke sie.

»E sos e i lol tot sos e höh ror!« sang Eva-Lotte, bis Rasmus die Hände auf die Ohren preßte und geradezu beschwörend sagte:

»Eva-Lotte, können wir nicht lieber ›Kleine Frösche, kleine Frösche‹ singen?«

Draußen in der Dunkelheit aber standen Kalle und Anders und hörten Eva-Lottes aufregende Botschaft: »Rettet die Papiere des Professors hinter dem Bücherregal! Es eilt sehr!«

Wenn Eva-Lotte sagte, daß es sehr eilte, und den großen Katastrophenschrei gebrauchte, konnte es nur bedeuten, daß Peters auf irgendeine Weise herausbekommen hatte, wo die Dokumente mit den Formeln waren. Es kam also darauf an, vor ihm dort zu sein.

»Schnell!« sagte Anders. »Wir borgen uns ein Boot aus!«

Und ohne weitere Worte rannten sie den kleinen Steg zur Anlegestelle hinunter. Sie stolperten im Dunkeln, sie rissen sich an Ästen und Sträuchern wund, sie waren hungrig und ängstlich und glaubten immerfort, einen Verfolger zu sehen, aber das machte ihnen alles nichts aus. Für sie gab es nur eines: Die Geheimnisse des Professors durften nicht in unrechte Hände fallen. Und deshalb mußten sie die ersten sein.

Sie erlebten einige schreckliche Minuten, bevor sie ein Boot fanden, das nicht angekettet war. Jeden Augenblick rechneten sie damit, Blom oder Nicke aus dem Dunkel auftauchen zu sehen, und als Kalle das Boot leise ins Wasser schob und die Ruder ergriff, dröhnte es in seinen Ohren: »Jetzt kommen sie, jetzt kommen sie bestimmt!«