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Sie schreien, als wären sie in Seenot, und Onkel Björk winkt ihnen abwehrend zu – wer wird auch nachts ein solches Geschrei loslassen! Als er ihnen entgegengeht, ahnt er nicht, daß die beiden Jungen ihn jetzt mehr lieben als seine eigene Mutter.

Kalle stürzt sich auf ihn und schlingt keuchend die Arme um ihn.

»Bester, bester Onkel Björk – verhaften Sie diesen Schurken dort!«

Er dreht sich um und zeigt. Aber die springenden Schritte haben aufgehört. So weit man in das Dunkel hineinsehen kann –kein Mensch ist zu entdecken. Kalle seufzt, er weiß selbst nicht, ob vor Erleichterung oder aus Bedrängnis. Hier lohnt es nicht, Kidnapper zu jagen. Er sieht das ein. Gleichzeitig sieht er aber auch etwas anderes ein. Er kann Schutzmann Björk gar nicht erzählen, wie alles vor sich ging, was geschehen ist, warum sie geschrien haben, weshalb sie jetzt hier stehen. »Nein, nicht die Polizei, nicht, bevor ich Rasmus in Sicherheit habe.« Davor hatte der Professor deutlich gewarnt. Peters ist von der Finsternis verschluckt worden. Sicher ist er bereits auf dem Weg zu seinem Auto, das ihn schnell zu der Insel bringt – und zu Rasmus!

Nein, man darf die Polizei nicht hineinziehen, man darf nicht gegen den Professor handeln. Wenn man auch tief in seinem Innern glaubt, daß es sicher das klügste wäre. Der Professor als Erwachsener muß es doch wissen, und er hat ausdrücklich verboten, die Polizei zu holen. Und er sagt, Rasmus würde durch das Eingreifen der Polizei gefährdet. Und das stimmt … Nein, man darf nichts gegen den Willen des Professors tun … Ver-flucht, wie ist das alles schwer!

»Soso, der Meisterdetektiv ist wieder an der Arbeit«, sagt Björk lächelnd. »Wo hast du denn deine Schurken gelassen, Kalle?«

»Die sind entwischt«, keucht Anders, und Kalle tritt ihm warnend auf die Zehen. Die Warnung ist aber unnötig. Anders weiß, wenn es die Kriminalistik betrifft, führt Kalle das Wort.

»Die kriechen gerade durch die Röhre.« So wischt Kalle alles mit einem Witz weg, und Björk beginnt sofort, von etwas anderem zu reden.

»Ihr seid mir schon Helden«, sagt er. »Heute morgen habe ich deinen Vater getroffen, Kalle, und er war ziemlich wütend, glaub mir das. Daß ihr euch nicht schämt, einfach von zu Hause wegzulaufen! Es war wirklich Zeit, daß ihr zurückgekommen seid!«

Wäre jemand in dieser Nacht gegen zwei Uhr an Viktor Blomquists Lebensmittelgeschäft vorbeigegangen, er hätte denken müssen, im Laden seien Einbrecher am Werke. Hinter den Tischen wurde mit einer Taschenlampe geleuchtet, und ab und zu konnte man zwei Schatten am Schaufenster vorbeihuschen sehen.

Die beiden Schatten wurden nicht entdeckt, weil kein Mensch dort nachts vorbeiging. Der Lebensmittelhändler Blomquist und seine Frau, die in ihren Betten lagen, genau über dem Laden, hörten auch nichts, denn die Schatten verstanden die Kunst, sich lautlos zu bewegen.

»Ich will mehr Wurst haben«, sagte Anders mit vollem Mund. »Mehr Wurst will ich haben und mehr Käse!«

»Nimm nur, greif zu«, sagte Kalle. Er hatte genügend damit zu tun, selbst in sich hineinzustopfen.

Und sie aßen. Sie schnitten dicke Scheiben von dem geräu-cherten Schinken herunter und aßen. Sie hieben mächtige Stük-ke von der Salamiwurst und aßen. Sie zogen ein großes, weiches, duftendes Weißbrot hervor und aßen. Sie pulten das Stanniolpapier von den kleinen dreieckigen Käsestückchen und aßen. Sie steckten die Hände in die Rosinenkiste und aßen. Sie aßen und aßen und aßen – es war die Mahlzeit ihres Lebens.

»Etwas weiß ich ganz bestimmt«, sagte Kalle schließlich.

»Niemals, solange ich lebe, kommt noch eine Blaubeere über meine Lippen.«

Mit einem wunderbaren Gefühl von grenzenloser Sattheit schlich Kalle die Treppe hinauf. Es kam darauf an, alle Stufen, die knarrten, auszulassen, denn seine Mutter hatte im Laufe der Jahre die bemerkenswerte Begabung entwickelt, gerade von diesem Knarren aufzuwachen. Aber es mußte Kalle sein, der die Stufen zum Knarren brachte, sonst wachte sie nicht auf

– ein absolut übernatürliches Phänomen, für das sich die psy-chologische Forschung, wie Kalle dachte, eigentlich näher interessieren sollte.

Im Augenblick lag ihm nichts daran, seine Mutter – und seinen Vater noch weniger – zu wecken. Er wollte nur seinen Rucksack, die Schlafsäcke und einige andere Campingutensili-en holen. Wenn seine Eltern erst aufwachten, würde viel zuviel kostbare Zeit mit nutzlosen Erklärungen verschwendet werden.

Im übrigen hatte sich auch Kalles Fähigkeit, den bewußten Treppenstufen auszuweichen, im Laufe der Jahre erstaunlich vervollkommnet, und so kam er vollbepackt und unbeschädigt unten wieder an.

Gegen halb vier Uhr morgens nahm ein Motorrad in guter Fahrt Kurve um Kurve des Weges, der sich zum Meer schlängelte.

Auf dem Tisch in Viktor Blomquists Laden lag ein abgerisse-nes Stück weißes Einwickelpapier, auf dem sich folgende Mitteilung befand:

»Lieber Vater, Du kannst meinen Lohn für diesen Monat einbehalten, denn ich habe entnommen:

Salami ............................ 1 kg

Wiener Würstchen .............. 1 kg

ger. Schinken .................... ½ kg

von den kleinen Käsen

(Du weißt schon)............... 10 Stück

Brote............................... 4 Stück

Geheimratskäse................... ½ kg

Butter............................... 1 kg

Streichhölzer ...................... 1 Paket

von den 50-Öre-Schokoladentafeln ....... 10 Stück

Benzinkanister (draußen vom Lager)

1 Stück............................... = 10 Liter

Kakao................................. 2 Pakete

Trockenmilch ....................... 2 Pakete

Zucker (fein)....................... 1 kg

Kaugummi............................ 5 Pakete

Spiritustabletten.................... 10 Schachteln

Möglicherweise noch das eine oder andere, wovon ich gerade im Augenblick nichts mehr weiß. Ich verstehe, daß Du böse bist, aber wenn Du wüßtest, wie es war, würdest Du nicht böse sein, das weiß ich genau. Willst Du Onkel Lisander und Anders’ Vater bitte sagen, sie sollten sich beruhigen. Sei nicht böse, dann bist Du lieb – ich bin Dir doch immer ein guter Sohn gewesen.

Nein, jetzt will ich schließen, sonst werde ich noch gerührt.

Herzliche Grüße, auch an Mama, von Kalle

P. S.: Du bist doch nicht wütend?«

In dieser Nacht schlief Eva-Lotte sehr unruhig und wachte mit dem Gefühl auf, daß sich etwas Unangenehmes vorbereitete. Sie ängstigte sich wegen Kalle und Anders. Wie war es ihnen wohl ergangen, und wie war es mit den Papieren des Professors? Die Ungewißheit war entsetzlich, und sie beschloß, eine Attacke gegen Nicke zu unternehmen, sobald er sich mit dem Frühstück sehen ließ. Aber als Nicke endlich kam, sah er so böse aus, daß Eva-Lotte zögerte. Rasmus zwitscherte ein fröhliches »Guten Morgen«, aber Nicke beachtete ihn nicht, sondern ging direkt auf Eva-Lotte zu.

»Satansbalg«, sagte er mit Nachdruck.

»Aha«, sagte Eva-Lotte.

»Du lügst ja, daß es eine Sünde und Schande ohnegleichen ist«, fuhr Nicke fort. »Hast du nicht zum Chef gesagt, als er dich verhört hat, daß du allein warst – damals in der Nacht, als du in das Auto gekrochen bist?«

»Du meinst, als ihr Rasmus geraubt habt«, sagte Eva-Lotte.

»Ja, genau damals, als wir … ah, zieh Leine«, brummte Nik-ke. »Hast du nicht gesagt, daß du damals allein warst?«

»Ja, das habe ich gesagt!«

»Und das ist gelogen.«

»Warum denn?« fragte Eva-Lotte.

»Warum denn«, äffte Nicke ihr nach und lief vor Wut rot an.

»Warum denn? Weil du noch einige Strolche bei dir hattest! Sag die Wahrheit!«

»Na, bitte, stell dir vor, das hatte ich«, sagte Eva-Lotte zufrieden.