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Und dann sind sie über ihm, seine Feinde, alle drei zu gleicher Zeit. Sie werfen sich auf ihn, halten seine Arme und Beine fest, drücken seinen Kopf in den weichen Sand und brüllen:

»Onkel Björk, Onkel Björk, schnell, helfen Sie uns!«

Und Björk kommt. Natürlich kommt er. Er hat noch nie seine Freunde, die tapferen Ritter der Weißen Rose, im Stich gelassen.

Auf dem Moosboden im Wald liegt zusammengekrümmt ein Mann. Bei ihm sitzt ein kleiner Junge und weint.

»Nicke, du blutest ja«, sagt Rasmus. Ein roter Fleck, der immer größer wird, ist auf dem Hemd des Mannes zu sehen. Rasmus zeigt mit einem schmutzigen Finger darauf. »Pfui Blase, wie ist er blöde, dieser Peters! Hat er auf dich geschossen, Nicke?«

»Ja«, sagt Nicke, und seine Stimme ist so schwach und seltsam. »Ja, er hat auf mich geschossen … Aber deshalb mußt du nicht weinen, Häschen … Hauptsache, dir ist nichts passiert!«

Er ist ein armer, einfältiger Seemann und liegt nun hier und glaubt, daß er sterben muß. Aber er ist zufrieden. Er hat so viele dumme Sachen in seinem Leben gemacht und ist jetzt froh, daß das letzte, was er getan hat, gut war – und richtig. Er hat Rasmus gerettet. Er weiß es nicht genau, wie er so daliegt, aber er weiß, er hat es versucht. Er weiß, daß er gelaufen ist, bis sein Herz wie ein Blasebalg pumpte und er fühlte, daß er nicht mehr weiter konnte.

Er weiß, daß er Rasmus an sich gepreßt hielt, bis diese Kugel kam und er zu Boden fiel. Und er weiß, daß Rasmus wie ein aufgescheuchtes kleines, ängstliches Häschen zwischen die Bäume lief und sich versteckte. Nun aber ist das Häschen wieder bei ihm, und Peters ist verschwunden. Der hatte es plötzlich sehr eilig wegzukommen. Sicher getraute er sich nicht, länger zu bleiben und nach Rasmus zu suchen. Jetzt sind sie beide allein hier. Das kleine Kerlchen, das bei ihm sitzt und weint, ist das einzige Wesen, um das sich Nicke in seinem Leben gekümmert hat.

Wie es dazu gekommen ist, begreift er selber nicht. Er weiß nicht, wie es anfing – vielleicht damals am ersten Tag, als Rasmus den Flitzbogen bekam und dankbar seine Arme um Nickes Hals schlug und sagte: »Ich finde, du bist sehr, sehr nett, kleiner Nicke!«

Und jetzt hat Nicke große Sorgen. Wie soll er Rasmus von hier wegbekommen, zurück zu den anderen? Etwas muß dort unten an der Anlegestelle passiert sein. Das Flugzeug ist nicht abgeflogen, und das Motorboot hatte sicher auch etwas zu bedeuten. Irgendwie ist jetzt das Ende dieser elenden Geschichte nahe, und Peters ist erledigt – so erledigt wie er. Nicke ist zufrieden. Alles wäre jetzt gut, wenn nur Rasmus schnellstens zu seinem Vater zurückkäme. Ein kleiner Junge darf doch nicht im Wald sitzen und zusehen, wie ein Mensch stirbt. Das möchte Nicke seinem kleinen Freund ersparen, aber er weiß nicht, wie er es machen soll. Er kann ihm doch nicht einfach sagen: »Geh jetzt, der alte Nicke will sterben, und dabei will er allein sein, will hier allein liegenbleiben und froh darüber sein, daß du wieder ein freier, glücklicher Junge bist, der mit dem Flitzbogen und den Borkenbooten spielen kann, die Nicke für dich geschnitzt hat!« Nein, das kann man nicht sagen!

Und jetzt legt Rasmus den Arm um seinen Hals und sagt in zärtlichstem Tonfalclass="underline" »Komm jetzt, kleiner Nicke, wir wollen gehen! Wir gehen zu meinem Vati!«

»Nein, Rasmus«, sagt Nicke schwer, »ich kann jetzt nicht gut gehen. Laß mich, bitte, hierbleiben. Aber du sollst gehen – ich will, daß du gehst!«

Rasmus schiebt die Unterlippe vor. »Stell dir vor, daß ich das nicht tun werde«, sagt er bestimmt. »Ich warte, bis du mit-kommst. Bitte sehr!«

Nicke antwortet nicht. Seine Kräfte verlassen ihn, und er weiß auch nicht, was er sagen soll. Und Rasmus bohrt seine Nase in Nickes Backe und flüstert: »Denn ich hab’ dich so lieb …«

Da weint Nicke. Seit er ein Kind war, hat er nicht mehr geweint. Aber jetzt weint er. Weil er so müde ist und weil das er-stemal in seinem Leben ein Mensch so etwas zu ihm sagt.

»So, hast du das?« brummt er. »Denk mal an, daß du einen alten Kidnapper gern haben kannst, wie?«

»Ja, aber ich finde wirklich, daß Kidnapper nett sind«, versichert Rasmus.

Nicke nimmt all seine Kraft zusammen. »Rasmus, jetzt mußt du tun, was ich dir sage. Du mußt zu Kalle und Anders und Eva-Lotte gehen. Ich denke, du willst eine Weiße Rose werden! Das willst du doch?«

»Ja, natürlich … aber …«

»Na also! Dann mach schon! Ich glaube, die warten schon auf dich!«

»Und du, Nicke? Was …«

»Ach, Blödsinn! Ich liege hier so schön weich im Moos, mir fehlt nichts. Ich bleibe hier und ruhe mich aus und will mir anhören, wie die Vögel Musik machen.«

»Aber …« sagt Rasmus und spricht nicht weiter, denn er hört jemanden in der Ferne rufen. Jemand ruft seinen Namen. »Das ist ja Vati«, sagt er dann und lacht.

Da weint Nicke wieder, aber ganz leise, den Kopf in das Moos gedrückt. Ja, manchmal ist Gott einem armen Sünder gnädig – jetzt braucht er sich um Rasmus keine Sorgen mehr zu machen. Und er weint vor Dankbarkeit – und weil es so schwer ist, der kleinen Gestalt Adieu zu sagen, die da in dem schmutzigen Overall steht und nicht weiß, ob sie zu Vati gehen oder bei Nicke bleiben soll.

»Geh nur, und sag deinem Vater, daß da im Wald ein alter kaputter Kidnapper herumliegt«, sagt Nicke leise.

Da schlingt Rasmus wieder die Arme um seinen Hals und schluchzt: »Du bist aber kein alter kaputter Kidnapper, Nicke!«

Nicke hebt mühsam eine Hand und streichelt Rasmus das Gesicht. »Adieu, Häschen«, flüstert er. »Geh jetzt und werde eine Weiße Rose, die feinste kleine Weiße Rose …«

Rasmus hört, wie wieder sein Name gerufen wird. Er steht schluchzend auf, bleibt unentschlossen stehen und sieht Nicke an. Dann geht er langsam weg. Dreht sich ein paarmal um und winkt. Nicke hat keine Kraft mehr zu winken, aber seine einfältigen Augen folgen der Kindergestalt, und diese Augen sind voller Tränen.

Jetzt gibt es keinen Rasmus mehr. Nicke schließt die Augen.

Er ist zufrieden – und müde. Es wird schön sein, endlich zu schlafen.

SECHZEHNTES KAPITEL

»Georg Louis Peters«, sagte der Kommissar der Staatspolizei, »es stimmt genau! Endlich! Finden Sie nicht selbst, daß es endlich Zeit wurde, Sie einmal zu erwischen?«

Peters gab darauf keine Antwort. »Geben Sie mir eine Zigarette«, sagte er ungnädig.

Schutzmann Björk ging auf ihn zu und steckte ihm eine Zigarette in den Mund. Peters saß auf einem Stein bei der Anlegestelle. Seine Hände waren mit Handschellen zusammengefes-selt. Hinter ihm standen seine Kumpane, Blom und Svanberg und der Pilot.

»Sie wissen doch, daß wir schon eine ganze Weile hinter Ihnen her sind«, fuhr der Polizeikommissar fort. »Ihren Sender hatten wir schon vor zwei Monaten angepeilt, aber bevor wir zugreifen konnten, waren Sie uns entwischt. Haben Sie die Spionage aufgegeben? Sie sind ja jetzt statt dessen anscheinend unter die Menschenräuber gegangen?«

»Das eine kann ein so gutes Geschäft sein wie das andere«, sagte Peters mit offenherzigem Zynismus.

»Möglich«, sagte der Kommissar. »Aber jetzt ist es auf jeden Fall sowohl mit dem einen als mit dem anderen für Sie zu Ende.«

»Ja, man ist wohl fertig«, gab Peters bitter zu. Er zog kräftig an seiner Zigarette. »Etwas möchte ich gern noch wissen«, sagte er. »Wie haben Sie herausbekommen, daß ich auf Kalvö war?«

»Das haben wir erst bemerkt, als wir hierherkamen«, erwiderte der Kommissar. »Und wir kamen her, weil ein Funkama-teur eine Nachricht auf der Kurzwelle auffing, die er telefonisch an uns weitergab. Eine Nachricht, die unser Freund Kalle Blomquist gestern abend durchgab.«