Выбрать главу

Du ißt ja gar nichts, Tracy, sagte ihre Mutter.

Ihr zuliebe zwang sich Tracy, ein paar Happen zu essen. Siebekam einen Geburtstagskuchen mit zehn Kerzen, und die Kellner sangen HappyBirthday, und die anderen Gäste drehten sich um und klatschtenBeifall, und Tracy fühlte sich wie eine Prinzessin. Von draußen hörte sie dasBimmeln einer Straßenbahn.

DasBimmeln der Glocke war laut und penetrant.

«Abendessen«, verkündete Ernestine Littlechap.

Tracy öffnete die Augen. Im ganzenBlock flogen krachend die Zellentüren auf. Tracy lag auf ihrer Pritsche und versuchte verzweifelt, sich an der Vergangenheit festzuklammern.

«He! Es gibt Futter!«sagte die junge Puertoricanerin.

Tracy wurde übelbei dembloßen Gedanken an Essen.»Ich habe keinen Hunger.«

Nun ließ sich Paulita vernehmen, die dicke Mexikanerin.»Das ist denen scheißegal. Alle müssen in die Kantine.«

Draußen auf dem Flur stellten sich Gefangene in Zweierreihen auf.

«Jetzt hebmal den Arsch von der Pritsche, sonst kriegen sie dich dran«, sagte Ernestine warnend.

Ich kann nicht, dachte Tracy. Ichbleibe hier.

Ihre Zellengenossinnen traten auf den Flur und stellten sich zu den anderen. Eine kleine, gedrungene Aufseherin mit wasserstoffblondem Haar sah Tracy auf der Pritsche liegen.»Was ist denn mit dir los?!«rief sie.»Hast du die Klingel nicht gehört? Komm raus aus der Zelle.«

«Danke, ich habe keinen Hunger«, erwiderte Tracy.»Ich möchte vom Essenbefreit werden.«

Die Augen der Aufseherin weiteten sich in ungläubigem Staunen. Sie stürmte in die Zelle und ging mit ausgreifenden Schritten zu Tracys Pritsche.»Was meinst du eigentlich, wer dubist? Wartest du vielleicht auf den Zimmerservice? Los, hoch mit dir. Ich könnte dich melden, weißt du das? Wenn das noch mal passiert, kommst du ins Loch. Verstehst du?«

Nein, sie verstand nicht. Nichts von dem, was ihr geschah. Sie erhobsich mühsam von der Pritsche und trat zu den anderen Frauen, stellte sich neben die Schwarze.»Warum…«

«Halt die Klappe!«knurrte Ernestine Littlechap aus dem Mundwinkel.»Im Glied wird nicht gequatscht.«

Die Frauen marschierten durch einen schmalen, trostlosen Flur, passierten eine Sicherheitsschleuse und kamen in eine riesige Kantine mit großen, derbgezimmerten Holztischen und Stühlen. An einer langen Theke mußten sie nach ihrem Essen anstehen. Es gabwäßrigen Thunfischauflauf, schlaffe grüneBohnen, eineblasse Eierkrem und, je nach Wahl, dünnen Kaffee oderbilligen Fruchtsaft. Das wenig appetitliche Essen wurde mit Schöpfkellen auf dieBlechteller der Gefangenen geklatscht. Die lange Schlange schobsich an der Theke vorbei, und die Insassinnen, die dahinterstanden und den Fraß austeilten, riefen unablässig:»Weiter! Die nächste… Weiter! Die nächste…«

Als Tracy abgefertigt war, blickte sie sich unschlüssig um.

Sie wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte. Sie hielt Ausschau nach Ernestine Littlechap, aber die Schwarze war verschwunden. Schließlich ging Tracy zu dem Tisch, an dem Paulita saß, die dicke Mexikanerin. Zwanzig Frauen schlangen hier gierig ihr Essen hinunter. Tracyblickte auf ihren Teller. Die grüne Galle kam ihr hoch. Sie schobden Teller von sich.

Paulita streckte die Hand danach aus.»Wenn du's nicht essen willst — ich nehm's gern.«

Lola sagte:»He, du mußt was essen, sonst machst du's hier nicht lang.«

Ich will es hier auch nicht lang machen, dachte Tracy verzweifelt. Ich will sterben. Wie halten diese Frauen das aus? Wie lange sind sie schon hier? Monate? Jahre? Sie dachte an die stinkende Zelle und an ihre dreckige Matratze, und sie hätte am liebsten geschrieen. Sie preßte die Lippen aufeinander, um keinen Laut von sich zu geben.

Die Mexikanerin sagte:»Wenn die spitzkriegen, daß du nichts ißt, kommst du ins Loch. «Sie sah Tracys verständnislosen Gesichtsausdruck.»In 'ne Einzelzelle, wo's dunkel ist. Das würde dir gar nicht gefallen. «Siebeugte sich vor.»Dubist zum ersten Mal im Knast, wie? Ich gebdir 'n guten Tip, Querida. Ernestine Littlechap hat hier das Sagen. Sei nett zu ihr, dannbist du fein heraus.«

Dreißig Minuten nachdem die Frauen die Kantinebetreten hatten, schrillte eine Glocke. Die Frauen standen auf. Paulita fischte sich noch schnell eine liegengebliebeneBohne von einem der Teller. Tracy stellte sich neben sie. Die Frauen marschierten in ihre Zellen zurück. Das Abendessen warbeendet. Es war 16 Uhr — noch fünf lange Stunden, bis das Licht ausging.

Als Tracy in die Zelle zurückkam, war Ernestine Littlechap schon da. Tracy fragte sich, wo sie während des Essens gewesen war. Tracy warf einenBlick auf die Kloschüssel in

der Ecke. Sie hätte dringend auf die Toilette gemußt, aber sie konnte sich nicht dazu überwinden. Nicht vor diesen Frauen. Sie würde warten, bis das Licht ausging. Sie setzte sich auf die Kante ihrer Pritsche.

Ernestine Littlechap sagte:»Ich habgehört, daß du nichts gegessen hast. Das ist dochbeknackt.«

Woher wußte sie das? Und warum kümmerte es sie?» Was muß ich tun, wenn ich den Direktor sprechen will?«

«Da reichst du 'n schriftliches Gesuch ein. Mit dem wischen sich die Wärterinnen den Arsch. Die meinen nämlich, daß jede Frau, die mit dem Direktor sprechen will, dochbloß Ärger macht. «Sie ging zu Tracy, bliebvor ihrer Pritsche stehen.»Du kannst hier jede Menge Schwierigkeiten kriegen. Was dubrauchst, ist 'ne Freundin, die dir hilft, daß du keine Schwierigkeiten kriegst. «Sie lächelte, und ein goldener Schneidezahn kam zum Vorschein. Ihre Stimme klang sanft.»Jemand, der sich auskennt in dem Zoo hier.«

Tracyblickte zu dem lächelnden Gesicht der Schwarzen auf. Es schien irgendwo in der Nähe der Decke zu schweben.

So etwas Großes hatte sie noch nie gesehen.

Das ist eine Giraffe, sagte ihr Vater.

Sie waren im Zoo im Audubon‑Park. Tracy liebte den Park. Am Sonntag gingen sie hin, um das Sonntagskonzert zu hören, und danach führten ihre Eltern sie ins Aquarium oder in den Zoo. Sie wanderten langsam zwischen den Käfigen dahin undbetrachteten die Tiere.

Finden die das nicht scheußlich, so eingesperrt zu sein, Papa?

Ihr Vater lachte. Nein, Tracy, sie haben ein schönes Leben. Sie werden versorgt, sie werden gefüttert, und ihre Feinde können ihnen nichts tun.

Tracy fand, daß die Tiere unglücklich aussahen. Sie hätte gern die Käfige aufgemacht und sie freigelassen. Ich möchte

nie so eingesperrt sein, dachte Tracy.

Um 20 Uhr 45 gellte die Glocke durch das ganze Gefängnis. Tracys Zellengenossinnenbegannen sich auszuziehen. Tracy rührte sich nicht.

Lola sagte:»Du hast 'ne Viertelstunde Zeit, dann mußt du in der Falle sein.«

Die Frauen hatten inzwischen ihre Nachthemden angezogen. Die wasserstoffblonde Aufseherin kam an der Zelle vorbei. Als sie Tracy auf der Pritsche liegen sah, bliebsie stehen.

«Zieh dich aus«, befahl sie. Dann wandte sie sich an Ernestine.»Habt ihr der das nicht gesagt?«

«Doch, haben wir.«

Die Aufseherin wandte sich wieder an Tracy.»Mach ja keinen Stunk«, warnte sie.»Du tust hier, was man dir sagt, sonst knallt's. «Und damit ging sie.

«Das war Old Iron Pants, Baby«, erklärte Paulita.»Leg dich nicht mit ihr an. Die ist hundsgemein.«

Tracy stand langsam auf und fing an, sich auszuziehen. Den anderen kehrte sie dabei den Rücken. Sie legte alle ihre Kleider ab. Nur die Unterhosebehielt sie an. Dann streifte sie das grobe Nachthemd über den Kopf. Sie spürte dieBlicke der drei Frauen auf sich.

«Du hast wirklich 'n hübschen Körper«, sagte Paulita.

«Echt«, bestätigte Lola.