Die Luft war plötzlich elektrisch geladen. Diebeiden Amazonen starrten sich an. Nackter Haß stand in ihren Augen. Die würden sich meinetwegen glatt umbringen, dachte Tracy. Und dann erkannte sie, daß es mit ihr nur sehr wenig zu tun hatte. Sie erinnerte sich an einen Satz von Ernestine:»Hier mußt du powern oderbescheißen oder die Hindernisse eben auf die elegante Tour nehmen. Jedenfalls mußt du deine Stellung halten, sonst gehst du drauf.«
BigBertha gabschließlich nach. Sie warf Ernestine einen verächtlichenBlick zu.»Ich hab's nicht eilig. «Dann schielte sie lüstern nach Tracy.»Dubist noch 'ne ganze Weile hier, Baby. Ich auch. Wir sehen uns wieder.«
Sie drehte sich um und ging.
Ernestine sah ihr nach.»Das ist vielleicht 'ne Sau. Weißt du das zufällig noch — das mit der Schwester in Chicago, die die Kranken kaltgemacht hat? Sie hat die Leute mit Gift vollgepumpt und zugeschaut, wie sie verreckt sind. Tja. Das ist der Engel, der auf dich spitz ist, Whitney. Kacke! Dubrauchst jemand, der auf dich aufpaßt. Die macht dich nächstes Mal wieder an.«
«Hilfst du mirbeim Abhauen?«
Die Glocke klingelte.
«Es gibt Futter«, sagte Ernestine Littlechap.
Als Tracy an diesem Abend auf ihrer Pritsche lag, dachte sie über Ernestine nach.
Obwohl die Schwarze sie nie wieder angerührt hatte, vertraute Tracy ihr immer noch nicht. Sie konnte nicht vergessen, was Ernestine und diebeiden anderen Frauen in der Zelle ihr angetan hatten. Aber siebrauchte die Schwarze.
Jeden Tag durften die Gefangenen nach dem Abendessen eine Stunde im Aufenthaltsraum verbringen. Dort konnten sie fernsehen oder miteinander reden oder die neuesten Zeitungen und Illustrierten lesen. Tracyblätterte eine Illustrierte durch, als ihr plötzlich ein Foto ins Auge stach. Ein Hochzeitsbild von Charles Stanhope junior und seiner frisch Angetrauten. Sie kamen lachend aus der Kirche, Arm in Arm. Es traf Tracy wie ein Schlag. Dieses Foto, Charles' glückliches Lachen, erfüllte sie mit Schmerz. Doch aus dem Schmerz wurde im Nu kalter Zorn. Sie hatte ihr Leben mit diesem Mann verbringen wollen, und er hatte ihr den Rücken gekehrt und es zugelassen, daß sie zugrunde gerichtet wurde, daß ihr gemeinsames Kind kläglich starb… Aber das war eine andere Zeit, ein anderer Ort, eine andere Welt. Tracy schlug die Illustrierte zu.
AnBesuchstagen merkte man gleich, welche Frauen Freunde oder Verwandte erwarteten. Sie duschten, zogen frische Kleider an und schminkten sich. Ernestine kehrte meistens strahlend vergnügt aus demBesuchszimmer zurück.
«Mein Al, der kommt immer«, erzählte sie Tracy.»Wenn ich aus dem Knast entlassen werde, wartet er schon auf mich. Und weißt du, warum? Weil ich ihm das gebe, was er von keiner anderen kriegt.«
Tracy konnte ihre Verwirrung nicht verbergen.»Du meinst… sexuell?«
«Logo. Was hier drin passiert, hat nichts mit draußen zu tun. Hierbrauchen wir manchmal was Warmes zum Umarmen, 'ne Frau, die uns streichelt und uns sagt, sie mag uns. Wir müssen das Gefühl haben, daß es jemand gibt, dem wir nicht egal sind. Ob's stimmt oder nicht, ob'sbloß 'ne kurze Sache ist oder nicht, ist egal. Mehr haben wir nicht. Aber wenn ich wieder rauskomme…«, Ernestine grinste von einem Ohr zum andern,»… wenn ich wieder rauskomme, bin ich sagenhaft spitz auf meinen Mann, verstehst du?«
Es gabetwas, das Tracy schon seit einiger Zeit Kopfzerbrechen machte. Siebeschloß, es jetzt zur Sprache zubringen.»Ernie, dubeschützt mich. Warum?«
Ernestine zuckte die Achseln.»Spielt doch echt keine Rolle.«
«Ich möchte es aber wissen. «Tracy wählte ihre Worte mit größter Sorgfalt.»All deine anderen… deine anderen Freundinnen gehören dir praktisch. Sie tun genau, was du ihnen sagst.«
«Wenn sie nicht unheimlich was auf den Arsch kriegen wollen, ja.«
«Aberbei mir ist das alles anders. Warum?«
«Paßt's dir nicht?«
«Doch. Ichbin nur neugierig.«
Ernestine dachte einen Augenblick nach.»Okay. Du hast was, auf das ich scharfbin. «Sie sah den Ausdruck in Tracys Gesicht.»Nein, so war's nicht gemeint. Auf was ich da scharfbin, das krieg ich woanders. Du hast — ja — du hast Format. Wie so 'ne coole Lady in der Vogue. Und da gehörst du auch hin. Hier hast du nichts verloren. Ich habkeine Ahnung, wie du draußen in die Scheiße gerasseltbist, aber wahrscheinlich hat dich jemand reingelegt. «Sieblickte Tracy an und sagte fast schüchtern:»Ichbin wenig anständigen Menschenbegegnet in meinem Leben. Aber dubist 'n anständiger Mensch. «Ernestine wandte sich ab. Ihre nächsten Worte waren fast unhörbar:»Und es tut mir leid, das mit deinem Kind. Ehrlich…«
Als an diesem Abend das Licht ausgegangen war, flüsterte Tracy ins Dunkeclass="underline" »Ernie, ich muß weg von hier. Bitte, hilf mirbeim Abhauen.«
«Ich will jetzt schlafen, verdammt noch mal! Halt den Mund, ja?«
Zum großen Knall zwischen Ernestine Littlechap undBigBertha kam es am folgenden Tag auf dem Gefängnishof. Die Frauen spielten Softball. Einige Wärter paßten auf sie auf. Big
Bertha, die am Schlagen war, drosch denBall ins Außenfeld und spurtete zum ersten Mal, wo Tracy stand. BigBertha rannte Tracy über den Haufen, riß sie zuBoden — und dann war sie über ihr. Ihre Hände schlängelten sich zwischen TracysBeinen empor, und sie flüsterte:»Mir gibt keine 'n Korb. Heut nacht komm ich zu dir, Baby, und ich fick dich, bis du nicht mehr kannst.«
Tracy wehrte sich verbissen. Plötzlich hatte jemandBigBerthabeim Kragen. Ernestine. Sie zerrte die kolossale Schwedin hoch und würgte sie.
«Du Fotze!«schrie Ernestine.»Ich habdich gewarnt!«Sie zogBigBertha die Fingernägel durchs Gesicht, krallte nach ihren Augen.
«Ich kann nichts mehr sehen!«brüllteBigBertha.»Ichbinblind!«Sie packte ErnestinesBrüste und kniff siebrutal. Diebeiden Amazonenboxten und schlugen sich. Vier Wärter kamen gelaufen. Siebrauchten fünf Minuten, um die Frauen zu trennen. Beide wurden ins Gefängniskrankenhaus geschafft. Spät am Abend wurde Ernestine in ihre Zelle zurückgebracht. Lola und Paulita eilten an ihre Pritsche, um sie zu trösten.
«Alles okay?«flüsterte Tracy.
«Super sogar«, antwortete Ernestine. Ihre Stimme klang dumpf, und Tracy fragte sich, wie schwer sie verletzt war.»Ich habgestern meine Zeit so weit abgesessen, daß ichbedingt entlassen werden kann. Ich kommbald raus aus dem Knast.
Aber du hast Probleme. Diese miese Alte läßt dich jetzt nicht mehr in Ruhe. Die will dich unbedingt ficken. Und wenn sie durch ist mit dir, dannbringt sie dich um.«
Sie lagen im Dunkeln und schwiegen. Schließlich sprach Ernestine wieder.»Ich glaub, es wird Zeit, daß wir darüber reden, wie wir dich hier rauskriegen.«
10
«Du wirst morgen dein Kindermädchen verlieren«, sagte GefängnisdirektorBrannigan zu seiner Frau.
Sue EllenBranniganblickte überrascht auf.»Warum? Judy war doch immer sehr nett zu Amy.«
«Ich weiß, aber sie hat den größten Teil ihrer Strafe abgesessen. Sie wird morgenbedingt aus der Haft entlassen.«
Das Paar frühstückte in dembehaglichen kleinen Haus, das zu den Annehmlichkeiten vonBrannigans Position gehörte. Weitere Vergnügungen waren eine Köchin, ein Dienstmädchen und ein Kindermädchen für seine Tochter Amy, die demnächst fünf wurde. Als Sue EllenBrannigan vor fünf Jahren hier angekommen war, hatte es sie etwas nervös gemacht, auf dem Gefängnisgelände leben zu müssen. Und es hatte sie zutiefstbeunruhigt, daß ihre Hausangestellten ausnahmslos Kriminelle waren.
«Woher willst du wissen, daß sie uns nicht mitten in der Nacht ausrauben und uns den Hals abschneiden?«hatte sie damals ihren Mann gefragt.
«Wenn sie das tun«, hatte DirektorBrannigan erwidert,»streiche ich ihnen die Hafterleichterungen.«
Er hatte auf seine Frau eingeredet, ohne sie überzeugen zu können. Doch Sue EllensBefürchtungen hatten sich als grundlos erwiesen. Die Hausangestellten waren alle sehrbeflissen. Sie wollten einen guten Eindruck machen und ihre Haftzeit verkürzen und arbeiteten daher sehr gewissenhaft.