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Tracy trat ein. Drinnen wartete schon eine andere Frau.

«Stell dich an die Wand«, sagte sie. Ihre Stimme klang etwas hektisch.

Tracy ging zur Wand. Sie hatte fast Magenkrämpfe vor Aufregung.

«Schau in die Kamera. Na, nun mach schon. Und 'nbißchen lächeln. Versuch's wenigstens.«

Sehr witzig, dachte Tracy. Noch nie in ihrem Leben war sie so nervös gewesen.

«DasBild kriegst du morgen früh«, sagte die Frau.»Ist für

deinen Führerschein. Und jetzt abdurch die Mitte.«

Tracy und Lillian liefen wieder zurück. Unterwegsbemerkte Lillian:»Ich habgehört, du wirst in 'ne andere Zelle verlegt.«

Tracybliebstehen.»Was?«

«Ach, hast du das noch nicht gewußt? Du kommst zuBigBertha.«

Ernestine, Lola und Paulita waren noch wach, als Tracy in die Zelle zurückkehrte.»Wie ist's gelaufen?«

«Gut.«

Ach, hast du das noch nicht gewußt? Du kommst zuBigBertha.

«Dein Kleid ist am Samstag fertig«, sagte Paulita.

Der Tag von Ernestines Entlassung. Das ist mein letzter Termin, dachte Tracy.

Ernestine flüsterte:»Alles klar. Der Lieferwagen von der Wäscherei kommt am Samstag um zwei. Um halbzwei mußt du im Abstellraum sein. Mach dir keine Gedanken wegen dem Wärter. Um den kümmert sich Lola dann schon nebenan. Lola und Paulita warten im Abstellraum auf dich. Paulitabringt deine Sachen mit. Der Führerschein und die Kreditkarten sind in der Handtasche. Und um Viertel nach zwei fährt der Wagen mit dir durchs Tor.«

Tracy konnte kaum atmen. Sie zitterte schon, wenn von ihrer Flucht auch nur die Rede war. Obdie dich tot oder lebendig kriegen, das ist denen scheißegal. Sie finden, tot istbesser.

In wenigen Tagen würde sie das Weite suchen. Sie machte sich keine Illusionen. Ihre Chancen waren gering. Man würde sie irgendwann aufspüren und wieder hierherbringen. Doch sie hatte sich geschworen, zuvor noch ein paar Dinge zu erledigen.

Im Gefängnis wußten viele von dem Kampf, den Ernestine Littlechap undBigBertha um Tracy ausgetragen hatten. Nun kursierte die Meldung, daß Tracy in die Zelle der Schwedin

verlegt würde, und da war es kein Zufall, daß niemandBigBertha von Tracys Fluchtplanberichtet hatte: BigBertha haßte schlechte Nachrichten. Auch neigte sie dazu, dieBotschaft mit demBoten zu verwechseln und diesen Menschen dementsprechend zubehandeln. Und so erfuhrBigBertha von Tracys Vorhaben erst am Morgen des Samstags, an dem es in die Tat umgesetzt werden sollte. Die Frau, die Tracy fotografiert hatte, verriet es ihr.

BigBertha nahm die Nachricht schweigend entgegen. Das Schweigen war unheildrohend, und ihr massiger Körper schien noch massiger zu werden.

Ihre einzige Frage lautete:

«Wann?«

«Heute nachmittag um zwei, Bert. Sie verstecken die Whitney im Abstellraum in 'nem Wäschekorb.«

BigBertha sann lange darüber nach. Dann watschelte sie zu einer Aufseherin und sagte:»Ich muß mit dem Direktor reden. Und zwar sofort.«

Tracy hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Ihr war schlecht vor Aufregung. Die Monate im Gefängnis kamen ihr vor wie eine Ewigkeit. Bilder aus der Vergangenheitblitzten in ihr auf, als sie auf ihrer Pritsche lag und ins Dunkel starrte.

Ich komme mir vor wie eine Märchenprinzessin, Mutter.

Ich habe nie geglaubt, daß man so glücklich sein kann.

Also! Sie und Charles wollen heiraten.

Und wie lange sollen eure Flitterwochen dauern?

Du hast auf mich geschossen, du Miststück!

Ihre Mutter hat Selbstmordbegangen.

Offenbar habe ich dich nie richtig gekannt.

Das Hochzeitsfoto von Charles, der seineBraut anlächelte…

Das Schrillen der Morgenglocke raste durch den Flur wie eine Stoßwelle. Tracy saß hellwach auf ihrer Pritsche.

Ernestinebeobachtete sie.»Wie fühlst du dich?«

«Prima«, log Tracy. Sie hatte einen trockenen Mund, und ihr Herz schlug unregelmäßig.

«Heute kommen wirbeide hier raus.«

Tracy konnte kaum schlucken.»Mhm.«

«Bist du sicher, daß dubis halbzwei aus dem Haus vom Direktor wegkommst?«

«Kein Problem. Amy schläft immer nach dem Mittagessen.«

Paulita sagte:»Du darfst nicht zu spät kommen. Keine Minute. Sonst geht's schief.«

«KeineBange. Ichbin schon pünktlich.«

Ernestine langte unter ihre Matratze und holte einBündelBanknoten hervor.»Dubrauchst 'nbißchen Kohle. Sindbloß zweihundert Dollar, aber das müßte reichen fürs erste.«

«Ernie, ich weiß nicht, wie ich dir…«

«Ganz einfach. Halt die Klappe und nimm's.«

Tracy zwang sich, ein paarBissen zum Frühstück zu essen. Ihr Kopf dröhnte, und jeder Muskel tat ihr weh. Ich stehe diesen Tag nicht durch, dachte sie. Aber ich muß ihn durchstehen.

In der Küche herrschte angespanntes, unnatürliches Schweigen, und Tracy merkte plötzlich, daß sie der Grund dafür war. Sie war das Ziel wissenderBlicke und der Gegenstand nervösen Geflüsters. Ein Ausbruchsversuch standbevor, und sie war die Heldin des Dramas. In wenigen Stunden würde sie frei sein. Oder tot.

Tracy konnte ihr Frühstück nicht aufessen. Sie erhobsich und machte sich auf den Weg zu DirektorBrannigans Haus. Als sie darauf wartete, daß eine Wärterin ihr die Flurtür aufschloß, sah sie sich plötzlichBigBertha gegenüber. Die riesige Schwedin grinste.

Die wird sich noch wundern, dachte Tracy.

Jetzt gehört sie mir, dachteBigBertha.

Der Morgen verging so langsam, daß Tracy das Gefühl hatte, wahnsinnig zu werden. Die Minuten schienen sich endlos zu dehnen. Sie las Amy vor und nahm nicht wahr, was sie las. Sie merkte, daß Mrs. Brannigan sie vom Fenster ausbeobachtete.

«Tracy, spielen wir Verstecken.«

Tracy war eigentlich zu nervös für jede Art von Tätigkeit, aber sie wollte Mrs. Brannigan nicht mißtrauisch machen. Sie nötigte sich zu einem Lächeln.»Gut, Amy. Versteck du dich zuerst, ja?«

Sie waren auf dem Hof vor dem Haus. In der Ferne konnte Tracy das Gebäude sehen, in dem sich der Abstellraumbefand. Um Punkt 13 Uhr 30 mußte sie da sein. Sie würde das Kleid anziehen, das für sie geschneidert worden war, und die dazu passenden Schuhe. Um 13 Uhr 45 würde sie auf demBoden des großen Wäschekorbs liegen, mit Uniformen und Weißzeug zugedeckt. Um 14 Uhr würde der Wäschereiangestellte den Korbholen und ihn auf seinem Karren zum Lieferwagen rollen. Um 14 Uhr 15 würde der Wagen durchs Tor fahren, in Richtung Stadt.

Der Fahrer kann von seinem Sitz nicht in den Laderaum sehen. Wenn der Wagen in der Stadt ist und an 'ner Ampel hält, machst du einfach die Tür auf, steigst ganz cool aus und nimmst dir 'nBus.

«Siehst du mich?!«rief Amy. Sie hatte sich hinter einer Magnolie versteckt und hielt die Hand vor den Mund, um nicht zu kichern.

Sie wird mir fehlen, dachte Tracy. Die einzigen Menschen, die mir fehlen werden, sind eine kahlköpfige Schwarze und ein kleines Mädchen. Tracy fragte sich, was Charles Stanhope junior wohl dazu gesagt hätte.»Ich komme!«rief sie.

Sue Ellenbeobachtete diebeiden vom Haus aus. Ihr schien, daß sich Tracy merkwürdigbenahm. Den ganzen Vormittag

hatte sie immer wieder auf ihre Uhr geschaut, als erwarte sie jemanden, und mit ihren Gedanken war sie weiß Gott wo gewesen, aber gewiß nichtbei Amy.

Ich muß mit George reden, dachte Sue Ellen. Ich werde daraufbestehen, daß er ein anderes Kindermädchen ins Haus holt.

Auf dem Hof spielten Tracy und Amy eine Weile Himmel und Hölle, anschließend Fangen. Dann las Tracy Amy vor, und dann war es endlich 12 Uhr 30, Zeit für Amys Mittagessen und Zeit für Tracy, sich zu empfehlen. Siebrachte Amy ins Haus.