Aufstehend umfaßte ich meine Sitzbank an einem ihrer Beine, hob sie mit einer Faust langsam empor, bis ich sie mit gestrecktem Arm hielt. Auf der Erde hätte ich so etwas nie geschafft. Und es gelang mir nicht nur wegen der geringeren Schwerkraft dieses Planeten, auch meine neu erworbenen Kräfte hatten damit zu tun. Ich setzte mich wieder auf die Bank und schob ein weiteres Stück Fleisch in den Mund.
Der Grund, warum ich nicht unzufrieden war, lag in der Beschaffenheit Gors. Ich dachte an die Erde, an die engstirnige Gier und Eitelkeit, an die Selbstgefälligkeit, die dort herrschte, die bedrückten, zu zahlreichen Völkerscharen, an die weitverbreiteten Ängste, beispielsweise hinsichtlich der Energie, die doch nur dazu dienen sollte, eine teure und weitgehend überflüssige Technologie in Gang zu halten, und die gerechtfertigte Angst vor dem nuklearen Damoklesschwert. Die Erde kam mir vor wie eine kranke Welt voller Fallen, eine Welt, die die Natur kränkte, eine Welt, in der die Atemluft von Menschenhand mit gefährlichen Gasen angefüllt war. Auf Gor dagegen spürte ich eine Jugend und Weitläufigkeit, die in meiner alten Welt gefehlt hatten. Hier gab es Ehrgeiz, Frische und Hoffnung, ein Funkeln, das auf der Erde vielleicht zuletzt gespürt worden war, als der Parthenon noch neu war. Zweifellos gibt es auch auf Gor viele Dinge, die abscheulich sind, doch ich kann mich nicht dazu überwinden, sie abzulehnen. Gor ist zweifellos ungeduldig, grausam und herzlos, doch zugleich halte ich es für unschuldig. Es ähnelt dem Löwen, ungeduldig, grausam, herzlos und unschuldig. Es ist eben seine Natur. Gor ist eine Welt mit starken Muskeln, eine neue Welt, in der die Menschen die Köpfe zur Sonne erheben und lachen können, eine Welt, in der sie vernünftigerweise wieder zu langen Reisen aufbrechen mochten. Es war eine Welt, wie Homer sie vielleicht besungen hätte, ein Gesang über das Klirren von Männerstahl und die Süße des weindunklen Meeres.
Und in diese Welt sollte ich nun hinaus. Mein Verkauf an das Haus von Tima war besiegelt. Die Tür des Sklavenkastens, in dem ich befördert worden war, öffnete sich hinter mir. Hände griffen nach mir und zerrten mich rückwärts ins Freie. Vier Männer hielten mich. Prodicus, der Anführer des Transport-Trupps, stieß den Schlüssel in das Schloß meines Halskragens, öffnete ihn und befreite mich davon. Beinahe übergangslos ließ jemand einen anderen Stahlkragen um meinen Hals zuschnappen. Nun trug ich den Kragen des Hauses von Tima. Eine streng wirkende Frau in schwarzer Lederkleidung, geschmückt mit Lederarmbändern, unterzeichnete ein Stück Papier. Prodicus ließ das Papier in seiner Tunika verschwinden. Zwei Männer hoben mich hoch und setzten mich in kniender Stellung auf den harten Zementboden des großen Raumes. Der Deckel des Sklavenkastens wurde geschlossen, schwere Riegel zugeschoben. Prodicus machte den Tragsklaven ein Zeichen, die wieder die Stangen durch die Ringe steckten und nach kurzer Zeit, geführt von Prodicus, den Kasten tragend, durch eine Eisentür verschwanden.
Ich spürte die Peitsche der Frau unter dem Kinn und hob den Kopf.
»Sei gegrüßt, hübscher Sklave«, sagte sie.
»Sei gegrüßt, Herrin«, antwortete ich.
»Ich bin Tima. Ich bin hier die Herrin.«
»Ja, Herrin«, sagte ich.
Sie wandte sich an die Männer, die sie umstanden, kräftige Burschen, die wohl geeignet schienen, in einem Sklavengehege für Ordnung zu sorgen.
»Peitscht ihn aus«, sagte sie. »Dann ist er zu säubern und in mein Gemach zu schicken.«
»Jawohl, Lady Tima.«
Ich wurde hochgehoben und aus dem Raum gezerrt. »Knie hier nieder«, sagte der Mann und deutete auf eine dicke Metalltür, die einen dunklen Korridor abschloß. »Wenn wir gegangen sind, machst du dich bemerkbar.«
»Ja, Herr«, antwortete ich bedrückt. Ich war erst wenige Ehn im Haus von Tima, da peitschte man mich bereits durch. Dann hatte man mich in eine kleine, niedrige Zelle geführt, in der ich einige Ehn lang warten mußte. Anschließend brachte ein Mann mir eine Schale Wasser und eine zweite Schale mit Sklavenbrei. Obwohl ich nicht hungrig war, folgte ich seinem Befehl und aß. Als ich zu seiner Zufriedenheit gegessen hatte, führte er mich in einen warmen, feuchten Raum. Hier gab es in den Boden eingelassene Wasserbecken und Gefäße mit Heißwasser. Außerdem entdeckte ich Strigils, Handtücher und Badeöl. Mein Wächter nahm mir den Kragen ab und befahl mir, in ein Bad zu steigen. Das Wasser war unangenehm heiß, doch ich wagte keine Einwände zu erheben. Goreanische Herren kennen kein Pardon, wenn es um die Gefühle von Sklaven geht. Frisch von der Erde kommend, wußte ich nicht einmal, wie man richtig badete. Lachend erklärte er mir den Gebrauch der Strigils, die Waschungen, die Öle. Trotz meiner Angst empfand ich das langwierige Ritual des Badens als sehr angenehm – ein Vorgang, der bei den Goreanern sehr beliebt ist und sich in den öffentlichen Bädern oft zum gesellschaftlichen Ereignis auswächst. Jedenfalls wurde ich den Gestank der Gehege los. Anschließend durfte ich mich mit Parfums und Ölen einreiben, die für gewisse männliche Sklaven zugelassen waren. Zuletzt erhielt ich eine weiße Seidentunika. »Knie nieder«, befahl der Mann. Ich gehorchte und bekam wieder den Kragen umgelegt. Wir verließen das Gemach. Es war ein langer Weg durch das Haus von Tima, bis wir schließlich den Eingang eines langen, dunklen Korridors erreichten. Und hier kniete ich nun vor der schweren Tür.
Mein Wächter machte kehrt und ließ mich allein. Zwei Männer, die weiter unten am Korridor Wache gestanden hatten, folgten ihm.
Bedrückt hob ich die Hand, um zu klopfen, ließ sie aber wieder sinken. Ich hatte Angst. Nach meinem Aufenthalt in der Zelle hatte ich unter der Kontrolle eines einzigen Mannes gestanden. Er hatte mir zu essen gegeben, mich herumkommandiert und die Vorbereitungen für das Kommende geleitet. Er hatte mir den Kragen genommen und später wieder umgelegt. Er war nicht bewaffnet gewesen; trotzdem hatte ich ihn gefürchtet und war gehorsam gewesen. Freie Männer waren meine Herren, so wie freie Frauen meine absoluten Herrinnen waren. Wie ich nun darüber nachdachte, erzürnte mich die Tatsache, daß man nur einen Mann geschickt hatte, wo sich zuvor vier oder fünf stämmige Männer um mich hatten kümmern müssen. Allerdings war ich ausgepeitscht worden – und anscheinend genügte das, um einen Erdenmann gefügig zu machen.
Meine Angst steigerte sich, denn ich hatte noch nicht an die Tür geklopft.
Ich bewegte vorsichtig den Knöchel dagegen. Aber der Laut war kaum zu hören. Zitternd senkte ich den Kopf.
Schwer atmend und mit pochendem Herzen hob ich zum zweitenmal die Hand und klopfte an die dicke Tür. Ich hoffte, daß niemand sich in dem Raum aufhielt.
»Wer da?« rief eine Frauenstimme.
»Ein … ein Sklave«, stammelte ich.
Sie öffnete die Tür und blickte auf mich herab. In einer Hand hielt sie einige lange gelbe Papiere.
»Jason, nicht wahr?« fragte sie.
»Wenn es der Herrin gefällt.«
»Wird schon«, sagte sie und musterte mich. Ihr schien gar nicht aufzufallen, daß ich im Korridor allein war. Für sie war das offenbar nichts Außergewöhnliches. »Ich hatte das ja ganz vergessen«, sagte sie. »Du solltest heute abend in meine Gemächer geschickt werden, nicht wahr?«
»Ja, Herrin«, sagte ich.
»Tritt ein«, sagte sie. »Zieh deine Tunika aus und knie am Sofa nieder. Schließ hinter dir die Tür.«
»Ja, Herrin«, sagte ich. Sie trug goldene Sandalen und eine lange rote Robe mit einem hohen, verzierten Kragen, der von einer Silberspange zusammengehalten wurde.
Ich betrat den Raum und schloß die Tür hinter mir. Ich zog die Seidentunika aus, die man mir gegeben hatte, und legte sie zusammengefaltet auf den Boden. Dann kniete ich nackt auf dem Boden.