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»Wieso?«

»Vielleicht machen die Wächter bald wieder ihre Runde.«

»Aha«, sagte ich, holte die Kleidung aus dem Sack und begann, mein Unterzeug anzuziehen.

»Woher kommst du?« fragte ich.

»Ich verstehe deine Frage nicht«, sagte sie.

»Du kommst von der Erde«, sagte ich. »Es würde mich interessieren, aus welchem Land.« Es gibt in der goreanischen Sprache keinen Ausdruck für ›Land‹ im Sinne von Nation. Die Erdenmenschen sehen in den Städten Aspekte von Ländern. Die Menschen Gors stellen sich die Städte vor und die Ländereien, die von ihnen beherrscht werden. Die entscheidende politische Einheit auf Gor ist die Stadt oder das Dorf, der Ort, an dem die Menschen und die Macht zusammenkommen. Natürlich kann es Bündnisse geben zwischen Städten und angrenzenden Gebieten, aber das ist hier doch etwas anderes. Auf der Erde werden solche Territorien eher im Sinne einer umschließenden Grenze gesehen, während die Vorstellung auf Gor eher radial bestimmt ist – eine Zone im Bereich des Radius, der von einem zentralen Mittelpunkt aus geschaffen wird. Geometrisch mögen beide Bilder identisch sein. Psychologisch aber gibt es da einen großen Unterschied. Die Goreaner denken eher in Einflußsphären als in eingebildeten Landkartenlinien, die nicht immer die aktuellen historischen Wirklichkeiten wiedergeben mögen. Gewisse positive Folgen dieser Denkungsart sind nicht zu verkennen. Zum Beispiel ist für einen durchschnittlichen Goreaner seine Ehre, die ihm viel bedeutet, nicht unbedingt mit der Ganzheit einer genau festgelegten Grenze verbunden. Solche Grenzen gibt es im allgemeinen auf Gor nicht, wenn auch über gewisse Dinge Einigkeit besteht – so zum Beispiel, daß der Einfluß der Stadt Ar im Norden traditionell nicht über den Vosk-Fluß hinausreicht. Als weitere Folge dieser Einstellung steigert sich das Ausmaß der Zugehörigkeit eines Bereichs mit der Nähe zu seiner Stadt oder seinem Dorf. Aus dieser Sicht heraus sind die meisten Kriege oder bewaffneten Auseinandersetzungen auf Gor ziemlich begrenzt und erfassen im allgemeinen nur wenige Städte und die dazugehörigen Dörfer und Gebiete – riesige politische Einheiten wie ganze Nationen können davon nicht betroffen sein. Hierzu sei noch angemerkt, daß Kriege auf Gor weitgehend von ziemlich kleinen Gruppen Berufssoldaten ausgefochten werden, so daß auf dem Schlachtfeld selten mehr als einige tausend ausgebildete Männer zusammenkommen, die einer eigenen Kaste angehören. Ein totaler Krieg mit der Mobilisierung von Millionen und der sich daraus ergebenden Tötung ganzer Völkerscharen ist auf Gor selbst in der Theorie nicht vorstellbar. Die Goreaner, oft wegen ihrer Grausamkeit gescholten, würden solche Ungeheuerlichkeiten undenkbar finden. Soweit es auf Gor Grausamkeiten gibt, sind sie zielgerichtet, beispielsweise bei dem Versuch, einen Jüngling durch strenges Regiment und Entbehrungen zum Manne werden zu lassen oder einer Frau beizubringen, daß sie Sklavin ist. Die Erklärung für die politischen Grundarrangements und Auffassungen liegt meiner Meinung nach in der Einrichtung des Heimsteins. Der Heimstein bildet für den Goreaner den absoluten Mittelpunkt. Wegen des Heimsteins sehen die Goreaner ein Territorium gewissermaßen mehr von innen heraus, als von außen. Der Heimstein liegt in der Mitte und bestimmt den Wirkungskreis. Ohne Kreis kann es einen Punkt geben, doch keinen Kreis ohne Mittelpunkt. Aber ich will hier nicht von Heimsteinen sprechen. Wenn Sie einen haben, brauche ich dazu nichts zu sagen. Wenn Sie diese Einrichtung nicht kennen – wie könnten Sie verstehen, was ich sagen wollte?

»Ich komme von einem Ort namens England«, sagte das Mädchen.

Dieser Satz war typisch für die goreanische Sprache – die sie ja auch benutzte.

Ich hatte inzwischen Hose und Hemd angezogen und hakte meinen Gürtel zu. »Ich spreche Englisch«, sagte ich in dieser Sprache. »Ich wurde in Amerika geboren. Wir können uns auf englisch verständigen. Großartig!«

Sie senkte den Blick. »Ich bin nur eine Sklavin«, sagte sie auf goreanisch. »Sprechen wir nur Goreanisch. Ich habe Angst, etwas anderes zu sprechen als die Sprache meiner Herren.«

Ich trat vor sie hin und berührte zärtlich ihr Gesicht.

»Du brauchst keine Angst zu haben. Es ist niemand hier außer mir. Sprich Englisch mit mir!«

Schüchtern sah sie mich an. »Es war viel Zeit vergangen, seit ich in dieser Sprache mich geäußert habe«, sagte sie stockend auf englisch.

»Ich glaube dir!« erwiderte ich lachend. »Allerdings hätte ich angenommen, du würdest dich knapper ausdrücken, etwa: ›Ich habe schon lange nicht mehr Englisch gesprochen‹.«

Sie lächelte. »Da siehst du, wie lange es her ist!«

»Dein Goreanisch ist perfekt.«

»Ist mein Englisch wirklich so schlecht, Jason?«

»Nein, sogar ziemlich gut. Präzise. Aber ich bringe den Akzent nicht unter.«

»Es gibt in England viele Dialekte«, sagte sie.

»Das stimmt«, erwiderte ich lächelnd, »aber dein Akzent klingt gar nicht englisch.«

»Schade«, sagte sie lächelnd. »Ich bin wohl schon zu lange auf Gor.«

Ich setzte mich und begann, Schuhe und Strümpfe anzuziehen. »Das ist es«, sagte ich. »Dein Englisch hat einen goreanischen Unterton.«

Sie senkte den Kopf. »Ich habe meine Muttersprache seit Jahren nicht mehr sprechen dürfen.«

Ich stand auf. »Ich bin fertig. Zeig mir den Ausgang.«

»Bitte«, sagte sie. »Willst du dieses Kleidungsstück nicht auch anlegen?« Sie hielt mir die Krawatte hin, die ich auf dem Boden hatte liegen lassen.

»Ich glaube kaum, daß ich eine Krawatte brauche.«

»Es ist lange her, seit ich einen Erdenmann darin gesehen habe.«

»Na schön.«

Sie kam auf mich zu und reichte mir den Schlips. Ich blickte ihr in die Augen. Dann klappte ich meinen Hemdkragen hoch. »Möchtest du ihn binden?« fragte ich.

»Ich weiß nicht, wie das geht, Jason.«

»Na schön«, sagte ich, nahm die Krawatte und band sie mit sicheren Bewegungen. Dann schlug ich den Hemdkragen wieder um und rückte den Schlips zurecht.

»Wie gut du aussiehst!« sagte sie.

Ihre Worte gefielen mir.

»Dein Bein!« sagte ich plötzlich. »Du trägst ja gar kein Brandzeichen!«

»Nein«, sagte sie und fuhr ärgerlich fort: »Nein, und auf dem rechten Bein auch nicht.« Ohne es zu merken, hatte ich mich vorgebeugt, um auch ihren anderen Oberschenkel in Augenschein zu nehmen.

»Bist du enttäuscht?«

»Nein, nein! Nur überrascht. Die Sklavinnen, die ich bisher auf Gor gesehen habe, trugen das Zeichen.«

»Also, ich nicht«, sagte sie.

»Das sehe ich selbst.«

Unwillkürlich versuchte sie ihre kurze Tunika über den Beinen zusammenzuraffen.

»Ich wollte dich nicht kränken. Bitte entschuldige!«

»Vielleicht trage ich ein Zeichen am linken Unterbauch«, sagte sie forsch. »Das gibt es manchmal. Möchtest du dich überzeugen?«

»Nein, natürlich nicht!«

Zornig riß sie sich die Ta-Teera an der linken Hüfte weiter auf und hielt den Stoff auseinander. »Na, gibt es dort ein Zeichen?«

»Nein, nein!«

Am liebsten hätte ich sie in die Arme genommen, die rechte Hand in den Stoffriß geschoben, sie halb in die Höhe gehoben und gegen die Wand gedrückt, bis sie weinend meine Aufmerksamkeit erflehte, die ich ihr dann am Fuße der Wand hätte zukommen lassen – als Sklavin.

»Bitte verzeih mir«, bat ich. »Entschuldige bitte!«

Sie sah mich an. »Ich verzeihe dir«, sagte sie. »Ich hätte nicht zornig werden dürfen. Ich bin nur so empfindlich, weil meine Schönheit, da ich nun mal schön bin, den Blicken meiner Herren so frei ausgesetzt ist.«

»Ich verstehe«, sagte ich. »Und du bist wirklich wunderschön.«

»Vielen Dank, Jason«, sagte sie. »Sehr freundlich von dir.«

»Aber immerhin trägst du ja noch ein Kleidungsstück«, fuhr ich fort.

»In der Ta-Teera kommt man sich manchmal nackter vor als nackt«, sagte sie verbittert.

Wie sehr beneidete ich die brutalen Goreaner, denen eine solche Frau auf ein Fingerschnipsen hin gehorchen mußte!