Ich hielt den Kopf gesenkt.
»Ich beneide dich um einen so hübschen Sklaven«, sagte Lady Melpomene.
»Nett von dir, daß du nicht verbittert bist«, bemerkte Lady Florence mit scharfer Stimme. Ich hielt die Zügel ihres Tharlarion. Es war kein großes Tier. Der Steigbügel befand sich neben meiner rechten Schulter.
»Hast du ihn schon branden lassen?« erkundigte sich Lady Melpomene.
»Nein. Ich ziehe bei meinen Sklaven einen blanken Schenkel vor.«
»Interessant«, stellte Lady Melpomene fest. »Taugt er etwas auf der Liege?« setzte sie hinzu.
»Ich benutze ihn, wenn es mir gefällt«, sagte Lady Florence.
»Natürlich«, erwiderte Lady Melpomene.
»Nur schade, daß deine Mittel in letzter Zeit so begrenzt zu sein scheinen«, fuhr Lady Florence fort, »sonst hättest du mich überbieten können.«
»Meine finanziellen Verhältnisse sind bestens geordnet«, erwiderte Lady Melpomene.
»Es geht das Gerücht, daß du dem Bankrott nahe bist.«
»Solche Gerüchte sind bösartig und falsch!« fauchte Lady Melpomene.
»Das dachte ich mir doch gleich«, erwiderte Lady Florence freundlich. »Bedauerlich, daß sie überall zu hören sind.«
»Der Sklave hat mich nicht genügend interessiert, um sechzehn Tarsks zu bieten«, sagte Lady Melpomene.
»Natürlich«, bemerkte Lady Florence.
»Warst du längere Zeit in Ar zum Einkaufen?« fragte Lady Melpomene.
»Etwa vier Tage«, erwiderte die andere. »Wir verließen unser Haus in Vonda vor einem Monat und zogen in meine Villa.«
Die Villa der Lady Florence aus Vonda lag etwa vierzig Pasangs südwestlich von Vonda. Vonda war eine der vier Städte der Salerianischen Konföderation. Die anderen Städte dieses Bundes waren Ti, Port Olni und Lara. Diese Städte haben eine gemeinsame Lage – nämlich am Olni-Fluß, der in den Vosk mündet. Ti liegt von diesem Zusammenfluß am weitesten entfernt, weiter flußabwärts stößt man auf Olni; diese beiden Städte fanden sich als erste zu dem Bündnis zusammen, das ursprünglich der Abwehr von Flußpiraten und dem Schutz der Bootsverbindung ins Binnenland diente; später kamen Vonda und Lara hinzu, wobei Lara am Zusammenfluß von Olni und Vosk liegt. Auf dem Olni-Fluß gibt es praktisch keine Flußpiraten mehr. Der Bündnisschwur und die Festlegung der einfachen Regeln, die damit zusammenhängen, wurden auf der Wiese von Salerius geleistet und unterschrieben – am Nordufer des Olni gelegen, zwischen Port Olni und Vonda. Aus diesem Umstand leitet das Bündnis seinen Namen als Salerianische Konföderation her. Die wichtigste Stadt im Bündnis ist Ti – es ist die Gemeinde mit der zahlreichsten Bevölkerung; hier konzentriert sich auch die Leitung des Bündnisses. Der Verwalter der Konföderation ist ein Mann namens Ebullius Gaius Cassius aus der Kriegerkaste. Er ist zugleich Administrator der Stadt und des Staates Ti. Die Salerianische Konföderation kennt man auch unter der Bezeichnung ›Die vier Städte von Saleria‹. Der Begriff ›Saleria‹ wird übrigens im weitesten Sinne so verstanden, daß er das von der Konföderation beherrschte Gebiet betrifft. Ti, Port Olni und Vonda liegen am Nordufer des Olni – Lara befindet sich zwischen dem Olni und dem Vosk am Zusammenfluß. Es gilt strategisch als ungemein wichtig. Wenn es wollte, könnte es verhindern, daß Schiffe aus dem Olni zu den Voskhäfen durchkommen. Der Überlandtransport ist wie beinahe überall auf Gor zeitaufwendig und teuer, außerdem oft sehr gefährlich. Interessanterweise war die Veränderung der Piraten des Olni weitgehend auf den Beitritt Laras in den Bund zurückzuführen – diese Stadt vermochte den Übeltätern den Fluchtweg in den Vosk abzuschneiden. Was als Abwehrbund gegen die Piraten begonnen hatte, entwickelte sich allmählich zu einer spürbaren politischen Kraft im östlichen Teil des bekannten Gor. Dabei waren auf diesem Planeten Eifersüchteleien und Streitereien zwischen Städten eher die Regel. So bildete diese Liga, aus einem gemeinsamen Grundinteresse geboren, die Grundlage für die später sehr mächtige Salerianische Konföderation. Es hieß, viele goreanischen Städte schauten voller Unbehagen auf die vier Riesen am Olni. Angeblich machte man sich sogar in Ar Gedanken über die Salerianische Konföderation.
»Von meiner Villa reisten wir in mein Haus in Venna weiter«, sagte Lady Florence leichthin.
»Ich besitze ebenfalls ein Haus in Venna«, äußerte Lady Melpomene.
»Angesichts des Zustands deiner Finanzen hatte ich nicht angenommen, daß du es halten konntest«, bemerkte Lady Florence. Venna ist ein kleiner, exklusiver Erholungsort zweihundert Pasangs nördlich von Ar. Bekannt ist er für seine Bäder und Tharlarion-Rennen.
»Reist du oft nach Ar, um einzukaufen?« fragte Lady Melpomene.
»Zweimal im Jahr«, erwiderte Lady Florence.
»Ich komme viermal im Jahr«, sagte Lady Melpomene.
»Ich verstehe«, äußerte Lady Florence liebenswürdig.
»Ich kann es mir leisten.«
»Dann möchte ich dich nicht vom Einkaufen abhalten.«
»Ich würde nicht zu lange in Ar bleiben«, meinte Lady Melpomene.
»Ich glaube nicht, daß es Ärger gibt.«
»In den Bädern von Vonda wurde gemunkelt, daß Ar angreifen wird«, sagte Lady Melpomene. »Südlich des Olni hat es bereits erste Scharmützel gegeben.«
»Männer sind Barbaren«, stellte Lady Florence fest. »Immer müssen sie kämpfen.«
»Wenn es zu Feindseligkeiten kommt«, sagte Lady Melpomene, »ist es nicht angebracht, wenn eine Frau aus Vonda in dieser Stadt erwischt wird.«
»Ich glaube nicht, daß es Ärger gibt.«
»Meinetwegen kannst du den Stahlkragen riskieren – ich verlasse Ar heute abend noch.«
»Wir reisen morgen früh ab.«
»Ausgezeichnet!« sagte Lady Melpomene. »Vielleicht sehen wir uns dann in Venna.«
»Vielleicht.«
»Und vielleicht wirst du mir gestatten, deinen Sklaven zu genießen.«
»Vielleicht – für eine Gebühr«, erwiderte Lady Florence mit eisiger Stimme.
»Eine Gebühr?« fragte Lady Melpomene.
»Sechzehn Tarsks!« sagte Lady Florence. »Der jämmerliche Preis für den Sklaven, den du dir nicht leisten konntest.«
Sechzehn Tarsks waren tatsächlich ein hoher Preis für einen männlichen Seidensklaven. Im allgemeinen wurden vier bis sechs Silber-Tarsks bezahlt.
»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte Lady Melpomene.
»Ich wünsche dir alles Gute«, erwiderte Lady Florence.
Dann klatschte Lady Melpomene in die Hände. »Weiter!« rief sie den Sklaven zu, die die Stangen der Sänfte auf den Schultern trugen. Gleich darauf war der kleine Trupp verschwunden.
»Was für eine abscheuliche Frau!« sagte Lady Florence. »Wie falsch sie ist! Wie sehr ich sie verachte! Ihr Vermögen ist dahin. Sie besitzt kaum noch einen Tarsk. Wenn sie wirklich noch ein Haus in Venna unterhält, verliert sie es bestimmt bald. Wie kühn von ihr, überhaupt mit mir zu sprechen! Vermutlich ist sie in Ar, um das Haus in Venna zu beleihen oder zu verkaufen, wenn es ihr wirklich noch gehört. Sogar die Sklaven und die Sänfte waren gemietet! Mich täuscht sie nicht! Wie sehr ich sie hasse! Hast du gesehen, wie reizend sie getan hat? Dabei haßt sie mich ebenfalls. Unsere Familien sind seit Generationen verfeindet.«
»Ja, Herrin«, sagte ich.
»Sie hat sogar gegen mich geboten«, fuhr Lady Florence fort. »Hätte eine Freundin das getan?«
»Ich weiß es nicht, Herrin.«
»Und sie hatte die Nerven, dich ausleihen zu wollen! Dich teile ich nur mit Frauen, die mir gefallen.«
»Ja, Herrin«, sagte ich.
»Hier entlang, Jason«, sagte sie. »Ich will im Laden des Publius Schleiernadeln kaufen. Dann möchte ich in die Straße des Zentral-Zylinders, um mir bei Philebus Seide vorlegen zu lassen.«
»Ja, Herrin.« Ich setzte mich in der angegebenen Richtung in Bewegung und führte dabei den Sattel-Tharlarion an den Zügeln. Solche kleinen Tiere werden allgemein mit Zügeln gelenkt, die riesigen Kampf-Tharlarions dagegen mit Rufen und Speerhieben gegen Kopf und Hals. Zug-Tharlarions stehen im Geschirr und werden durch Männer oder Jungen gelenkt, die neben ihnen hergehen, oder mit Zügeln und Peitschen.