Die Kolonne war verschwunden. Sobald Soldaten die Hauptstraße verlassen, kann man sie mit Bosk- oder Tharlarion-Wagen versorgen. Außerdem ist ein Nachschub durch die Luft, mit Tarns, möglich. Man sollte vielleicht noch erwähnen, daß sich solche Einheiten, die in der Regel ziemlich klein sind, durchaus auch vom wildreichen goreanischen Land ernähren können. Außerdem lassen sich in bestimmten Gebieten die Dörfer zu Abgaben zwingen, um die Versorgung sicherzustellen. Beweglichkeit und Überraschungsschläge bestimmen die goreanischen Strategien – sie ziehen den Überfall der langen Belagerung oder dem offenen Konflikt größerer Truppenverbände in weiträumigen Gebieten vor. So wäre es sehr ungewöhnlich, wenn eine goreanische Stadt mehr als fünftausend Kämpfer gleichzeitig im Sold hätte.
Unbehaglich faßte ich mir an den Sklavenkragen. Ich hatte dem Gespräch zwischen meiner Herrin und Melpomene entnommen, daß es zwischen Ar und der Salerianischen Konföderation gewisse Unstimmigkeiten gab. Lady Melpomene wollte Ar noch heute abend verlassen. Lady Florence hätte beispielsweise durch die Aufschrift meines Kragens als Bürgerin Vondas identifiziert werden können, eine der Städte der Konföderation. Sollte es zu offenen Feindseligkeiten kommen, mochte sich das sehr nachteilig für sie auswirken – vielleicht würde man uns beide von ein und derselben Plattform verkaufen. Ich fragte mich, wie sie sich in einem Sklavenkragen machen würde. Wie sie nackt aussah, wußte ich natürlich, denn ich war ihr Seidensklave. Jedenfalls mochte meiner Herrin zu raten sein, Ar so schnell wie möglich zu verlassen und sich in ihr Haus im Urlaubsort Venna zu begeben. Meine Unruhe nahm zu. Je eher wir die Mauern Ars hinter uns ließen, desto besser schien es mir. Meine Sorge galt natürlich nicht nur meiner Herrin, sondern auch mir selbst. Goreanische Männer haben wenig Geduld mit Seidensklaven.
Etwa fünfzig Meter entfernt wurde eine weitere Sänfte vorbeigetragen, gefolgt von etlichen hübschen Sklavinnen, die daran festgekettet waren.
Mein Blick fiel auf das Mädchen, das vor dem Laden des Philebus am Boden festgemacht war. Zu meiner Überraschung, die ich mir natürlich nicht anmerken ließ, hatte sie mich angeschaut. Sie wandte den Kopf ab. Sie schien meinen Blick zu spüren, denn sie setzte sich unwillkürlich aufrecht hin, den Kopf gegen die Wand gelehnt. Mein Gedanke wanderte von den Mädchen hinter der Sänfte zu der Sklavin vor mir. Was für eine herrliche Welt, auf der den Männern solche Frauen zur Verfügung standen!
»Ich bin durstig«, sagte sie.
»Dann knie nieder.«
»Niemals!«
Ich wandte mich ab.
»Ich knie ja schon«, sagte sie.
Ich schaute sie an. Sie kniete.
»Sklavin!« sagte der männliche Seidensklave, der am nächsten Ring festgemacht war.
Irgendwie hatte ich gewußt, daß das Mädchen mir gehorchen würde. Sie kniete vor mir. Sie hatte mir gehorcht.
Dennoch bemerkte ich ein wütendes Funkeln in ihren Augen. »Ich bin sehr durstig«, sagte sie.
»Na und?«
»Ich habe Durst und bin angekettet. Würdest du mir bitte Wasser vom Brunnen holen?«
»Dafür mußt du mich bezahlen.«
Der Sklave neben ihr stieß einen empörten Schrei aus.
»Du mußt mich bezahlen, verstehst du?«
»Ja«, antwortete sie.
Ich ging zum Brunnen und schöpfte mit zusammengelegten Händen Wasser aus der unteren Schale. Ich brachte ihr den Trank. Kniend, die Hände vor dem Körper gefesselt, trank sie in tiefen Zügen. Anschließend legte ich ihr die Hände um den Kopf. Erschrocken blickte sie zu mir auf. »Ich kenne den Griff solcher Hände«, sagte sie leise. »Du bist kein Seidensklave.«
»Ich«, sagte der Seidensklave am nächsten Ring, »hätte dir das Wasser umsonst geholt, wenn ich frei gewesen wäre.«
»Ich kenne deine Sorte«, sagte das Mädchen. »Ihr verlangt nichts, erwartet aber viel.« Ich drängte das Mädchen gegen die Mauer zurück und küßte ihr den Hals. »Da ist mir ein Mann lieber«, japste das Mädchen, »der das Kommando übernimmt und sich von einem Mädchen holt, was er will.« Keuchend drehte sie den Kopf zur Seite. »Nimm mich – Herr!«
»Halt!« rief der Seidensklave. »Ich werde alles erzählen!«
»Oh!« stöhnte das Mädchen in meinen Armen. »O Herr! Wie rücksichtslos du bist, Herr!« Und sie küßte mich immer wieder.
Schließlich stand ich auf und ließ sie zu meinen Füßen liegen. Ich atmete schwer.
»Warte nur, bis deine Herrin kommt«, sagte der Seidensklave. »Ich werde ihr alles verraten.«
Das Mädchen kniete halb und lehnte selig den Kopf an die Mauer.
Ich drehte mich um. Etwa zwanzig Meter entfernt hatten zwei Sänften nebeneinander angehalten, die in entgegengesetzte Richtungen unterwegs waren. Die Männer darin unterhielten sich. Auch diesen Sänften folgten mehrere angebundene Mädchen in kurzen Tuniken und hübschen Schmuckbändern.
»Ja, ich werde alles erzählen!« wiederholte der Sklave.
Eines der Mädchen schaute mich an. Sie war klein und exquisit und hatte schlanke Beine. Das kurze, weite Seidengewand war an der linken Hüfte hochgerutscht.
Ihr Anblick ging mir durch und durch, und ich erschauderte. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt, daß sie so wunderschön sein konnte!
Sie blickte mich an.
Langsam, zitternd, mit klopfendem Herzen ging ich zu ihr.
»Komm zurück!« rief der Seidensklave. »Bleib an der Mauer. Ich werde alles verraten! Alles!«
Ich näherte mich dem Mädchen. Die Herren bemerkten mich nicht, denn sie unterhielten sich angeregt. Auch Bedienstete sprachen miteinander in der Nähe der Sänfte. Sie beachteten mich nicht.
Dann stand ich vor ihr. Ihre Augen musterten mich entsetzt. Sie wich zurück, so weit es ihre Fesseln erlaubten.
»Ich hatte nie gedacht, daß ich dich wiedersehen würde«, sagte ich.
Sie schwieg.
Ich betrachtete ihren schlanken Hals mit dem Sklavenkragen, die Rundungen ihres entzückenden Körpers in der weiten, kurzen Seide, die Anmut und Ebenmäßigkeit ihrer Züge, die Lieblichkeit ihrer empfindlichen, verwundbaren Augen, die Pracht des dunklen Haars, das länger gewachsen war und von einem Seidenband zusammengehalten wurde.
Objektiv gesehen war sie nicht schöner als viele tausend andere Mädchen – für mich aber war sie die aufregendste Frau, die ich je gesehen hatte.
»Freust du dich nicht, mich zu sehen?« fragte ich erstaunt.
»Du hast das Mädchen vergewaltigt«, sagte sie zornig.
»Genau genommen nicht«, gab ich zurück. »Sie bezahlte für einen Schluck Wasser, den ich ihr gebracht habe.«
»Ungeheuer!« rief sie.
»Du bist sehr schön«, sagte ich und trat dicht vor sie hin. Und ich log nicht. Dabei war sie hilflos gefesselt. Die Sklaverei ist dazu angetan, einer Frau ihre Verkrampfungen zu nehmen.
»Wenn du mir gehörtest, würde ich dich ebenfalls hinter meiner Sänfte zur Schau stellen«, sagte ich.
»Ungeheuer!« sagte sie lächelnd.
»Du trägst ein weißes Band.«
»Du auch.«
»Ich bin aber kein weißer Seidensklave«, sagte ich.
»Das Band soll nur zu meiner Tunika passen«, erwiderte sie. »Ich bin im Grunde auch keine weiße Sklavin.«
»Möchtest du lieber Englisch sprechen? Wäre das leichter für dich?«
Sie sah sich nervös um. Die anderen Mädchen beachteten uns nicht. »Nein«, antwortete sie auf goreanisch. Wie selbstverständlich hatten wir uns in der Sprache unserer Herren verständigt.