»Was ist mit dir geschehen?« fragte ich.
»Ich wurde im Haus des Andronicus ausgebildet«, sagte sie, »und in Vonda verkauft.«
»Ich ebenfalls«, sagte ich. »Mich erwarb die Sklavenhändlerin Tima, Inhaberin des Hauses von Tima. Ich wurde weiterverkauft – ebenfalls in Vonda.«
»Wir sind Sklaven, weiter nichts«, sagte sie.
Ich erkannte, daß man sie dazu ausgebildet hatte, Männern Wonnen zu bereiten. Sie war wunderschön. Sie würde ihre Aufgabe gut erfüllen, und das freute mich. Ich beneidete den faulen Kerl in der Sänfte, der sie besaß.
»Du da!« rief eine Stimme. »Was machst du?«
Hastig trat ich von dem Mädchen zurück und drehte mich um. Einer der Diener winkte mich ärgerlich mit seiner Peitsche fort. Dann wandte er sich wieder seinen Kollegen zu.
»Wer ist dein Herr?« rief ich dem Mädchen zu.
Sie schaute mich angstvoll an. Starr stand sie da und richtete den Blick auf die Rückseite der Sänfte.
»Ängstliche Sklavin!« sagte ich zornig. Sie hatte Angst zu sprechen.
»Wem gehörst du?« fragte ein blondes Mädchen, das an der Fessel die letzte Position einnahm.
»Meine Herrin ist Lady Florence aus Vonda«, antwortete ich.
»Du gehörst einer Frau? Du bist Seidensklave?«
»Ja. Wer ist dein Herr?« fragte ich.
»Vorsicht!« sagte sie. »Strabar kommt!«
»Stehenbleiben!« rief eine Stimme.
Ich drehte mich um. Der Diener mit der Peitsche blieb ein Dutzend Fuß von mir entfernt stehen. »Keine Bewegung!« befahl er.
Ich rührte mich nicht.
Er wandte sich an die Mädchen. »Wer von euch Dirnen hat es gewagt, mit dem Sklaven zu sprechen?«
Die Mädchen schwiegen.
»Die hier, nicht wahr?« fragte er grinsend und berührte mit der Peitsche das kleinwüchsige, exquisite dunkelhaarige Mädchen, mit dem ich gesprochen hatte. Sie erschauderte.
»Ja, sie habe ich belästigt«, sagte ich. »Wenn jemand daran Schuld trägt, dann ich, nicht sie.«
»Kühner Sklave!« sagte er lächelnd.
»Wir sind beide von der Welt, die Erde heißt«, sagte ich. »Wir kannten uns dort.«
»Sie durfte nicht mit dir sprechen.«
»Das wußte ich nicht. Es tut mir leid, Herr.«
Er musterte mich. Ich bemerkte, daß die beiden Männer in den Sänften auf mich aufmerksam geworden waren, und das machte mich nervös. Schon drehten sich die Sklaven und trugen ihre Sänften näher heran. Auf eine Geste der Herren wurden die Lasten abgesetzt; die Tragsklaven, die nicht angekettet waren, stellten sich seitlich auf. Einige Passanten blieben stehen, um die Szene zu verfolgen.
»Wer ist dein Herr?« fragte der Mann aus der Sänfte, hinter der das dunkelhaarige Mädchen angebunden war.
Ich kniete nieder. Er war eindeutig Sklavenherr. »Lady Florence aus Vonda ist meine Herrin, Herr«, sagte ich.
Er bedeutete mir mit einer Handbewegung aufzustehen. Aus einem winzigen Kasten, der am Inneren der Sänfte festgemacht war, zog er ein rundes Glas mit einem perlenbesetzten Haltestab. Durch das Glas musterte er das Mädchen, mit dem ich gesprochen hatte. »Kanntest du das Mädchen aus deiner Heimat?« fragte er.
»Ja, Herr.«
»War sie dort frei?«
»Ja, Herr.«
»Na, dann schau sie dir jetzt an – sie ist eine Sklavin.«
»Ja, Herr.«
Plötzlich schnappte das Mädchen nach Luft und wich in ihrer Kette zurück. Angstvoll sah sie mich an. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und schüttelte den Kopf, um die Vision zu vertreiben, die mich plötzlich befallen hatte. In einem Sekundenbruchteil hatte ich sie nicht voller Bewunderung und Vergnügen angesehen, sondern wie ein absoluter Herrscher, der seine Sklavin mustert.
»Hast du diesen Blick gesehen?« fragte der Mann aus der Sänfte, dem das dunkelhaarige Mädchen gehörte, seinen Freund.
»Ja«, sagte der andere.
Ich errötete vor Scham. Nur einen Moment lang hatte ich das Mädchen als Sklavin gesehen. Wie beschämt und gekränkt mußte sie sein! Aber natürlich war sie Sklavin, nichts anderes als Sklavin!
»Granus, Turus«, sagte der Mann in der Sänfte, dem die Dunkelhaarige zu gehören schien.
Ich schaute auf das Mädchen, doch sie wollte sich meinem Blick nicht stellen.
Ich hörte neben mir ein Ächzen und fuhr herum. Eine Faust traf mich an der Schläfe. Und schon empfing ich Tritte und weitere Hiebe in die Seite. Keuchend wich ich zurück. Zwei Tragsklaven stürzten sich schlagend und tretend auf mich. Ich rollte mich unter einem hervor und sprang blutüberströmt auf die Füße.
»Granus hat ihm einen kräftigen Schlag versetzt«, sagte jemand.
»Habe ich gesehen«, antwortete ein anderer.
»Und er ist schon wieder auf den Beinen«, bemerkte ein dritter.
»Interessant.«
»Ein kräftiger Bursche.«
Ich wischte mir Blut von der Schläfe. Unsicher stand ich da.
Der Mann in der Sänfte zeigte mit seinem runden Glas auf mich.
Der erste der beiden Tragsklaven rückte wieder vor; er hatte die mächtigen Fäuste zu hammerähnlichen Waffen geballt. »Wenn ich dich das nächstemal treffe«, sagte er, »bleib unten. Das genügt dann für die Herren.«
Ich schnappte nach Luft.
Und wieder stürzte er sich auf mich. Ich versuchte mich zu wehren. Seine linke Faust traf meinen Magen und ließ mich zusammenklappen, woraufhin dann die rechte Faust gegen meine linke Gesichtshälfte schmetterte. Ich kippte zur Seite, verlor den Halt, glitt zu Boden. Halb kniete, halb hockte ich auf dem Pflaster.
Der Sklave wandte sich von mir ab.
»Seht!« rief jemand. »Er ist schon wieder aufgestanden!«
Torkelnd stand ich da.
Der Tragsklave, von dem ich vermutete, daß er Granus hieß, drehte sich überrascht zu mir um. Er wechselte einen Blick mit dem anderen Sklaven.
»Lauf!« sagte der Diener, der Mann mit der Peitsche, der dicht neben mir stand. »Flieh!«
Niemand versperrte meinen Fluchtweg. »Nein«, sagte ich. »Nein.«
»Ein Kampf ist im Gange!« rief eine aufgeregte Stimme.
Wieder deutete der Mann in der Sänfte auf mich.
Und wieder stapfte der großgewachsene Sklave auf mich zu. Noch zweimal schlug er brutal zu, dann hatte ich ihn zurückstolpernd gepackt, hielt ihn fest und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, versuchte zu verhindern, daß er für seine vernichtenden Schläge wieder Raum bekam. Ich hörte ihn ächzen. Meine Arme verkrampften sich um ihn. Ich begann ihn nach hinten zu biegen. Mein Blut färbte auf ihn und seine Tunika ab. »Nein!« stöhnte er. Plötzlich sah ich, daß er Angst hatte. Immer weiter zwängte ich ihn zurück – bis mir plötzlich entsetzt aufging, was ich da machte.
»Halt!« rief der Mann mit der Peitsche.
Ich ließ den Sklaven fallen. Sein Rückgrat war nicht gebrochen. Ich kannte mich mit dem Kämpfen nicht aus, doch hatte ich zu meinem eigenen Entsetzen Kräfte in mir entdecken müssen, die ich nicht verstand. Ich mußte daran zurückdenken, wie ich im Hause des Andronicus die Zellenbank angehoben hatte. Die Übungen, die ich dort hatte absolvieren müssen, waren von mir fortgesetzt worden, ohne daß ich damit eine Absicht verband.
»Bist du Kampfsklave?« fragte jemand.
»Nein«, sagte ich.
Der Mann mit der Peitsche wandte sich dem Mann in der Sänfte zu. »Interessant«, sagte dieser.
»Genug?« fragte der Mann mit der Peitsche.
»Ja«, antwortete der vornehme Herr. Ich erkannte, daß er das Leben seines Sklaven nicht riskieren wollte.
Der Mann in der Sänfte hob erneut den perlenbesetzten Stab mit dem runden Glas – und schon nahmen die Sklaven wieder ihre Plätze ein. Der Mann mit der Peitsche kehrte zu den anderen Dienstboten neben der Sänfte zurück. Gleich darauf setzten sich beide Sänften in unterschiedlichen Richtungen in Bewegung. Blutüberströmt stand ich auf der Straße.
Die Menschenmenge verlief sich.
In aufwallendem Zorn lief ich plötzlich los, schob mich hinter die blonde Sklavin, die mit mir gesprochen hatte, und legte ihr die Hand in den Nacken.