Erschrocken japste sie auf.
»Wer ist dein Herr?« fragte ich.
»Wir dürfen nicht sprechen«, erwiderte sie. »Oh!« schrie sie auf, als ich den Griff verstärkte.
»Wer ist dein Herr?« fragte ich und hielt mit ihr Schritt.
»Oneander aus Ar«, sagte sie, »aus der Kaste der Kaufleute. Er hat in Vonda Geschäfte.«
»Oneander aus Ar?« wiederholte ich.
»Ja.«
»Ja – was?« Meine Hand verkrampfte sich.
»Ja – Herr.« Ich ließ sie los, und sie stolperte weiter, wobei sie mir noch einen erschrockenen Blick zuwarf.
Ich lächelte vor mich hin. Nun wußte ich, wem das dunkelhaarige Mädchen gehörte, das aufregendste, schönste, begehrenswerteste Geschöpf, das ich jemals gesehen hatte. Oneander aus Ar war ihr Herr, ein Kaufmann, der offenbar in Vonda Geschäfte hatte. Vermutlich hatte er sie dort erstanden.
Meine Gedanken verweilten bei dem exquisiten dunkelhaarigen Mädchen. Ich hatte nicht erwartet, sie jemals wiederzusehen. Welche Veränderung war mit ihr vorgegangen! Ihre Schönheit war überwältigend.
Die Sänfte entfernte sich immer weiter. Ich wandte mich um und kehrte zum Laden des Philebus zurück. »Jason! Jason!« rief Florence zornig. »Wo hast du gesteckt?«
Hastig kniete ich vor ihr nieder und senkte den Kopf.
»Ein Stück die Straße runter, Herrin«, erwiderte ich.
»Schau dich an!« rief sie. »Du hast gerauft!«
Ich warf einen kurzen Blick auf den Seidensklaven, der mich angrinste. Er mußte Lady Florence alles erzählt haben.
»Keinen Moment kann ich dich allein lassen!« fuhr meine Herrin fort. »Ich weiß nicht, was ich mit dir machen soll. Du hast nicht auf mich gewartet. Du hast dich an diesem armen Mädchen vergangen. Du hast eine fremde Sklavin bedrängt, die an einer Sänfte angebunden war. Du hast gekämpft. Deine Tunika ist befleckt und zerrissen. Das geht wirklich zu weit!«
»Ja, Herrin.«
»Glaubst du etwa, du bist eine Arbeits- oder Tragsklave?« fragte sie.
»Nein, Herrin.«
»Ich bin eine Lady«, betonte sie. »Und du bist der Seidensklave einer Lady. Glaube nur nicht, daß du nicht bestraft wirst. Ich werde dich zwei Tage lang in Strafketten legen lassen.«
»Ja, Herrin.«
Mein Blick war auf den anderen Seidensklaven gerichtet, der mich anlächelte. Ich hätte ihn windelweich schlagen mögen.
»Jetzt bring den Tharlarion, Jason«, befahl Lady Florence.
»Ja, Herrin.«
Kurze Zeit später hatte ich den Tharlarion losgebunden und vor den Laden geführt. Ich half meiner Herrin in den Sitz, der sich an der Seite des Tharlarionrückens befand. Obwohl das Gebilde Steigbügel hat, ist es kein Sattel, wie man ihn von der Erde kennt, auch nicht für den Damensitz. Der Tharlarionsattel ähnelt mehr einem Sitz mit Fußbügeln. Von Gurten festgehalten, befindet er sich auf Höhe des Rückens und ist gepolstert.
»Philebus!« rief meine Herrin.
Begleitet von einem Diener, erschien ein Mann im Eingang des Ladens. Er hatte eine Halbglatze und wirkte gutmütig. Ich reichte der Lady Florence die Tharlarionzügel.
Philebus schien nervös zu sein. Sein Diener trat vor mich hin und reichte mir mehrere Pakete. Gereizt schaute er mich an. »Danke, Herr«, sagte ich.
»Ich wünsche dir alles Gute, Lady Florence«, sagte der Ladenbesitzer.
»Und ich dir, Philebus«, antwortete sie. Philebus stammte aus Turia und lebte und arbeitete seit Jahren in Ar.
Lady Florence trieb den Tharlarion an und lenkte ihn auf die Straße hinaus. Ich folgte ihr mit den Paketen.
»Jason«, sagte sie.
»Ja, Herrin?«
»Wir verlassen Ar nicht erst morgen, sondern heute abend schon.«
»Warum, Herrin?«
»Ich habe mit Philebus gesprochen. Er rät mir, der Stadt bald den Rücken zu kehren. Ich fürchte, es könnte zwischen Ar und der Salerianischen Konföderation Ärger geben.«
Ich nickte. Solche Gerüchte waren mir auch zu Ohren gekommen. Und ich hatte Truppenbewegungen beobachtet.
»Wir verlassen die Stadt innerhalb der nächsten Ahn. Durch das große Tor.«
»Ja, Herrin.«
11
Mit hochgereckten Armen war ich an den Deckenring gefesselt. Mein Körper zuckte unter dem zweiten Schlag der Schlangenpeitsche. Anwesend waren zwei Wächter, von denen einer die Peitsche führte, und Lady Florence.
Blut strömte mir über den Rücken.
»Halt!« sagte Lady Florence und trat dicht neben mich. »Begreifst du, warum du ausgepeitscht wirst, Jason?« fragte sie.
»Ich habe den Unwillen meiner Herrin erregt«, sagte ich.
»Lange habe ich nachgedacht über die Ereignisse von gestern abend«, fuhr sie fort. »Ich konnte nicht gut schlafen.«
»Das tut mir leid, Herrin.«
»Genau besehen mißfällt es mir nicht unbedingt, daß du mich in die Arme genommen hast.« Ihre Stimme klang leise. Die anderen, die ein Stück entfernt standen, konnten nichts hören.
»Ich hatte den Eindruck, meine Herrin hätte mir befohlen, sie zu umarmen«, sagte ich. »Anscheinend war das ein Irrtum.«
»Es geht darum, wie du mich in die Arme nahmst. Immerhin bin ich eine Lady. Dein Griff war viel zu fest.«
»Du wolltest einem Mann vorschreiben, wie er dich nimmt?«
»Mich nimmt?« fragte sie zornig. »Ich bin eine freie Frau!«
»Ja, Herrin.«
»Und doch waren mir deine Hände nicht völlig unangenehm«, fuhr sie fort.
»Meine Herrin sollte Sklavin sein«, sagte ich.
»Peitscht ihn!« rief sie aufgebracht und trat zurück. Dreimal traf die Schlange meinen Rücken.
Ich stand noch immer auf eigenen Beinen und war bemüht, den Halt nicht zu verlieren. Ich konnte kaum noch etwas sehen. »Er ist kräftig, Lady Florence«, sagte der Mann mit der Peitsche, ein untersetzter, muskulöser Mann namens Kenneth, ein freier Mann, der Erste Stallwart der Lady. Ich stand noch auf eigenen Beinen. Im Haus des Andronicus hatte ich einmal fünf Hiebe der Schlange empfangen; nach dem zweiten Streich hatte ich bereits hilflos weinend in den Fesseln gehangen.
»Meinst du immer noch, deine Herrin sollte Sklavin sein?« fragte sie.
»Ja, Herrin«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
»Warum?«
»Weil du aufregend und wunderschön bist.«
»Schmeichelei!« rief sie lachend.
Ich sagte nichts.
»Aber ich bin aufregend und schön – als freie Frau.«
»Das stimmt schon, Herrin«, gab ich zurück. »Aber die Anziehung und Schönheit einer freien Frau ist nichts im Vergleich zu der einer Sklavin.«
»Scheusal!« rief sie lachend. Aber sie begriff wohl, daß ich recht hatte.
»Soll er noch weitere Peitschenhiebe empfangen, Herrin?« fragte Kenneth.
»Nein, Herrin!« sagte ich.
»Bitte mich wegen deiner Aufdringlichkeit um Verzeihung.«
»Ich bitte um Vergebung«, sagte ich.
»Gut denn«, sagte sie. »Ich verzeihe dir.« Dann wandte sie sich an Kenneth. »Noch fünf Hiebe.«
Ich sah sie an.
»Ich habe dir verziehen, Jason«, sagte sie. »Aber du verstehst sicher, daß du dennoch bestraft werden mußt.«
»Ja, Herrin.«
Wieder tat die Peitsche fünfmal ihr Werk.
»Er steht noch immer«, sagte der Mann im Hintergrund. Meine Fesseln wurden durchgeschnitten, und ich hockte unter dem Ring. Ich brach nicht zusammen. Mir war übel. Ich sah das Blut unter mir. Ich spürte mein Blut und meinen Schweiß.
»Du bist stark, Jason«, sagte meine Herrin leise. »Sehr stark. Das gefällt mir. Du gefällst mir«, fügte sie leise hinzu. Es machte Frauen nichts aus, so mit ihren Seidensklaven zu sprechen, die für sie nur eine Art Haustier waren. »Bringt ihn ins Gehege zurück!« befahl sie laut. »Er soll dann später zu essen bekommen. Morgen wird er Besorgungen für mich machen. Und morgen abend schickst du ihn in meine Gemächer.«
»Jawohl, Lady Florence«, antwortete Kenneth.
Mit wehender Robe verließ Lady Florence den Raum.
»Hast du jemals gekämpft?« fragte Kenneth und hob mich mit Hilfe des anderen vom Boden hoch.
»Nein«, erwiderte ich. »Nein.«
12
Ich kniete in der kühlen Tiefe des Ladens von Turbus Veminius, eines Parfumherstellers in Venna. In dieser Stadt gibt es viele kleine und vornehme Läden für die wohlhabende Kundschaft, die die Bäder und die Hotels der Umgebung frequentiert. Ich, Sklave, ohne Begleitung einer freien Person, mußte warten, bis alle freien Kunden bedient waren. Aus dem langen Raum hinter der Theke wehten zahlreich Parfumdüfte herbei. An Arbeitsbänken standen Parfumhersteller, die von Turbus ausgebildet wurden, und maßen und rührten und vermischten. Obwohl man normalerweise in eine Kaste hineingeboren wird, darf man das dazugehörige Handwerk oft erst ausüben, wenn man eine bestimmte Lehrzeit absolviert hat. Diese Regelung gewährleistet die Qualität der Kastenprodukte. Es ist auch möglich, wenn es auch selten praktiziert wird, daß Kastenmitglieder spezifische Arbeiten nicht durchführen dürfen, sondern sich auf Handreichungen beschränken müssen. So kann es vorkommen, daß ein Metallarbeiter Eisen nicht bearbeiten darf, es allerdings bemalen, transportieren oder verkaufen könnte. Das schränkt natürlich die allgemeinen, durch Geburt verliehenen Kastenrechte wie die Unterstützung in Not und Kastenzuflucht nicht ein. Die Frauen einer Kaste sind normalerweise in die Arbeit nicht eingespannt – so arbeitet zum Beispiel eine Frau aus der Kaste der Metallarbeiter üblicherweise nicht am Blasebalg, ebensowenig ist eine Frau aus der Kaste der Hausbauer auf einer Festungsbaustelle zu finden. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet die Kaste der Ärzte, in der die Frauen oft selbständig arbeiten. Für die Goreaner ist die Kastenzugehörigkeit meistens eine Sache der Geburt; sie hat im allgemeinen nicht mit einem bestimmten Leistungsniveau zu tun. Das Wohl und Wehe der Kaste geht in der Regel über den Ehrgeiz des einzelnen. Das Wohl einer größeren Anzahl von Individuen, so argumentieren die Goreaner, ist wichtiger als der Vorteil einer kleineren Gruppe.