Kenneth ließ den Zettel wieder fallen, ungefähr an die Stelle, an der er gelegen hatte. Dann zog er mich hoch und zerrte mich die Treppe hinab und nach rechts auf die Ställe zu.
An der Hausecke blieben wir stehen.
»Schau«, sagte er.
Ich wandte den Kopf zurück. Lady Florence war wieder auf der Veranda erschienen. Sie sah sich um, entdeckte uns aber nicht, da wir schon ein gutes Stück entfernt waren und durch die Hausecke und einige Bäume verdeckt wurden. Verstohlen bückte sie sich und hob den Zettel auf, der an meinem Kragen gesteckt hatte. Schließlich verschwand sie wieder im Haus.
»Sie ist eine Frau«, sagte Kenneth.
»Ja, Herr«, erwiderte ich.
»Sie erträgt den Gedanken nicht, daß jemand die Nachricht finden könnte. Vielleicht will sie sie auch bei sich behalten, um sie immer wieder anzuschauen, um die Lady Melpomene noch mehr zu hassen.«
»Ja, Herr.«
»Hast du gesehen, wie verstohlen sie getan hat?«
»Ja, Herr.«
»Trotz ihres Reichtums und ihrer Freiheit ist sie eben nur eine Frau.«
»Ja, Herr.«
»Ist sie gut auf den Fellen?«
»Als Seidensklave war es meine Aufgabe, Freude zu schenken«, sagte ich, »nicht umgekehrt.«
»Natürlich!« sagte er. »Aber würde sie sich in einem Sklavenkragen gut machen?«
Ich war überrascht. »Darf ich auf eine solche Frage antworten?«
»Ja.«
»Ja«, entgegnete ich, »sie würde sich in einem Kragen sehr gut machen.«
»Das hatte ich mir gedacht«, sagte er grinsend.
»Wenn ich sprechen darf, Herr«, fuhr ich fort, »du scheinst dich zu freuen, daß ich jetzt in den Ställen arbeiten muß.«
»O ja«, erwiderte er. »Ich gehe davon aus, daß du mir und Barus einiges an Geld einbringst.«
»Wie das, Herr?«
»Kannst du kämpfen?«
»Nein.«
Er lachte. »Du bist ein großer und kräftiger Bursche. Außerdem scheinst du dich schnell bewegen zu können. Daß du intelligent bist, sieht man sofort. Das ist wichtig, wichtiger, als so mancher Dummkopf glaubt.«
»Ich verstehe nichts vom Kämpfen.«
»Möchtest du weiterleben?«
»Ja, Herr.«
»Dann wirst du tun, was man dir sagt!«
»Ja, Herr.«
»In den Ställen haben wir auch einige Kajirae, Stalldirnen, wie wir sie nennen. Über sie kann ich nach Belieben verfügen.«
Ich schaute ihn an und dachte an goreanische Kajirae. Unwillkürlich fuhr ich mir mit der Zunge über die Lippen.
Er lachte, wandte sich um und marschierte los. »Komm, Stallsklave«, sagte er.
»Ja, Herr«, antwortete ich und setzte mich in Bewegung. Ich kniete am Ende der Reihe von Stallsklaven. Die Herrin ließ sich Zeit bei ihrer Inspektion. Kenneth und Barus folgten ihr. Von Zeit zu Zeit blieb sie stehen und sprach mit einem Sklaven oder stellte ihm Fragen über seinen Dienst und seine Leistungen. Sie konnte recht gründlich sein, meine Herrin, die hohe Lady Florence aus Vonda. Viele Sklaven hatten Angst vor ihr, vor ihren Forderungen und ihrer Gerte. Natürlich besaß sie die Macht über Leben und Tod. Inzwischen war sie nur noch wenige Sklaven von mir entfernt. Sie trug einen weiten beigefarbenen Rock, der ziemlich lang war, und schmale, hohe schwarze Lederstiefel; dazu eine beigefarbene Bluse und passende zugegürtete Jacke, die Oberschenkellänge hatte; auf dem Kopf ruhte eine weite Kapuze, die mit Haken an der Jacke befestigt war, und das Gesicht verhüllte ein in der Farbe abgestimmter undurchsichtiger Schleier.
Fünf Sklaven trennten mich noch von meiner Herrin. Ich war der fünfunddreißigste in einer langen Reihe männlicher Sklaven. In kurzen braunen Tuniken knieten wir auf der weichen Erde. Die Sonne strahlte hell; die Luft war prickelnd frisch, wie man es auf Gor nicht anders kannte. Der strenge Geruch des Stallhofes und der Gebäude mit den strohgefüllten Boxen ist eigentlich ganz erträglich, hat man sich erst daran gewöhnt – ein Spektrum von Gerüchen nach Stroh, Heu, Leder und den Ausscheidungen unserer riesigen Zöglinge, vier verschiedenen Spezies von Zug-Tharlarions. Wir züchteten hier keine Sattel-Tharlarions im großen Stil; einige Exemplare dieser Gattung gab es lediglich in den Hausställen unserer Herrin, vierzig Pasangs südwestlich von Vonda. Diese Tiere sind in der Regel größer und wendiger als die normalen Sattel-Tharlarions – und wiederum kleiner als die Zug- oder Kriegs-Tharlarions.
Übrigens hatte ich vernommen – solche Geschichten verbreiten sich natürlich auch in den Ställen –, daß es der Lady Melpomene aus Vonda bei den Tharlarion-Rennen in Venna übel ergangen war. Anscheinend war es ihr nicht gelungen, das verlorene Vermögen zurückzugewinnen. Es hieß, sie habe ihre letzten finanziellen Reserven riskiert, die Erträge aus dem Hausverkauf in Venna. Sie hatte geglaubt, sichere Tips zu bestimmten TharlarionRennen zu haben. Leider hatten diese Informationen nicht gestimmt, wie es wohl bei solchen Rennen oft geschieht. Ihre Einsätze waren ausnahmslos verlorengegangen. Sie war ruiniert. Sie hatte im Schutze der Dunkelheit aus Venna fliehen müssen, um nicht in die Hände ihrer Gläubiger zu fallen. Bei Frauen kommen Gläubiger oft gleich mit Sklavenkragen und Ketten. Inzwischen wohnte sie in einer schäbigen Unterkunft in Vonda, wo sie als Bürgerin immerhin den Schutz des Heimsteins genießen konnte, zumindest gegenüber ausländischen Gläubigern. Der Lady Melpomene aus Vonda, verarmt, ruiniert, war wenig geblieben außer dem Namen ihrer Familie und der Vornehmheit ihrer Herkunft. Obwohl sie davon wissen mußte, erwähnte Lady Florence den Namen ihrer Feindin niemals, weder zu Hause, noch unterwegs. Vielleicht hatte sie die andere vergessen.
Meine Herrin war noch vier Sklaven von mir entfernt. Mit scharfen Fragen bedrängte sie einen meiner Leidensgenossen. Stammelnd und zuckend versuchte er ihr zu antworten.
Wir hatten in den letzten beiden Tagen schwer gearbeitet, um die Ställe und Tiere auf die Inspektion vorzubereiten. Ich wußte nicht, ob sie etwas zu bemängeln finden würde – mir wollte jedenfalls scheinen, als wäre der Besitz in ausgezeichnetem Zustand. Kenneth schien immerhin zufrieden zu sein – und sein Maßstab war sicher strenger als der unserer Herrin. Genau genommen war es ungewöhnlich, daß die Herrin solche Besichtigungen persönlich vornahm. Ich hatte auch den Eindruck, daß sie mehr Zeit auf die Sklaven verwandte, als man normalerweise erwarten durfte. Natürlich war sie die Herrin und konnte tun, was ihr beliebte.
Ich betrachtete das blankpolierte Leder ihrer Stiefel. Ihre Fesseln boten einen prächtigen Anblick. Dann bemerkte ich den tadelnden Blick Kenneth’s, und sofort wandte ich den Blick von meiner Herrin ab.
Ich lächelte vor mich hin. Kenneth wollte nicht, daß ich wegen ungebührlichen Betragens zwischen zwei Tharlarions in Stücke gerissen wurde.
Neben der Reihe von zweiundvierzig Stallsklaven, mit der sich meine Herrin gerade beschäftigte, knieten nebeneinander fünf Kajirae, Stalldirnen. Zwei Blondinen und drei Brünette. Sie alle waren auf Gor geboren worden. Ihr Anblick erfreute mein Auge.
»Sklave!« rief Kenneth energisch.
»Ja, Herr!« antwortete ich zusammenzuckend.
Zornigen Blickes stand meine Herrin vor mir. Sie schlug sich mit der Gerte in die offene linke Hand. Es mißfiel ihr sichtlich, daß ich nicht bemerkt hatte, wie sie vor mich hintrat.
Ich drückte den Rücken durch. Starr blickte ich geradeaus. Unter dem beigefarbenen Rock war andeutungsweise die Linie ihrer Beine auszumachen. Den Blick hebend, erinnerte ich mich an die Kurve ihres Bauches, unter Rock, Bluse und Jacke verborgen. Ich sah die liebliche Rundung der Brüste unter dem Stoff und erinnerte mich an die schlanke Weichheit von Körper und Schultern, die Schönheit ihres Halses und Gesichts. Ich betrachtete sie ausgiebig. Sie war mir durch und durch bekannt, denn ich war ihr Seidensklave gewesen.