Über dem Schleier machte ich das zornige Funkeln ihrer Augen aus. Dann aber nahm sie sich zusammen. Sie würde nichts sagen. Wie konnte sie in einer solchen Situation die Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, daß nicht ich, sondern sie inspiziert worden war, als Frau – durch ein Wesen, das nur Sklave war.
»Ist dieser Sklave nicht neu in den Ställen?« fragte sie Kenneth.
»Ja, Lady Florence«, erwiderte dieser. »Allerdings ist er schon etwa fünf Wochen bei uns.«
»Wie heißt er?«
»Jason«, antwortete Kenneth.
»Er kommt mir irgendwie bekannt vor«, sagte sie leichthin.
»Vielleicht erinnerst du dich an ihn, Lady Florence. Er war einmal dein Seidensklave.«
»Ah!« rief sie, als erinnere sie sich plötzlich daran. »Bist du es wirklich, Jason?«
»Ja, Herrin«, antwortete ich.
Sie trat zwei oder drei Schritte zurück und schaute mich an. »Zu was für einem kräftigen Burschen hast du dich entwickelt!«
Ich schwieg.
»Dein Gesicht scheint rauher geworden zu sein. Und dort an der linken Wange hast du eine Narbe.«
Ich sagte nichts. Die Narbe stammte von einem Schnitt, den ich vor etwa vier Wochen erhalten hatte. Ich war unvorsichtig gewesen.
»Hin und wieder habe ich, ohne es zu wollen, Sklaven tuscheln hören«, fuhr sie fort. »Stimmt es, daß du der Champion der Ställe bist?«
Ich lächelte. In diesen Dingen war die Sklavin Taphris ihre Informantin. Kenneth hatte mir das mitgeteilt.
»Stimmt es?« hakte sie nach.
Ich blickte an der Reihe der Männer entlang. »Ja, Herrin«, antwortete ich.
»Er ist großartig, Lady Florence«, schaltete sich Kenneth begeistert ein. »Er ist ein echter Champion. Er hat bereits die Meister von fünf Ställen geschlagen – Kliomenes, Policrates, Gordon, Dorto und Miles.«
»Ich bin gegen Gewalt«, sagte sie erschaudernd.
»Selbstverständlich, Lady Florence«, erwiderte Kenneth. »Verzeih mir. Natürlich sind es nur Sklaven, die man gegeneinander kämpfen läßt.«
»Richtig«, sagte sie und fuhr in unschuldigem Ton fort: »Und wenn er Erfolg hat, wird er dann belohnt?«
»Ja«, entgegnete Kenneth. »Das macht sich beim Training bezahlt.«
»Und wie wird er belohnt?«
»Mit einer Zusatzration, ab und zu einem Stück Gebäck, manchmal sogar einer Schale mit billigem Wein.«
»Ich verstehe«, sagte sie.
Ich betrachtete die Reihe der Stallsklavinnen, die schräg vor uns auf dem weichen Boden knieten. Ich hatte sie alle mehr als einmal besessen. Kenneth war großzügig. Mein Liebling war die blonde Telitsia.
»Und«, fragte Lady Florence weiter, »erhält er gelegentlich auch einen Lohn anderer Art?«
»Natürlich, Lady Florence«, antwortete Kenneth.
»Und das wäre?«
»Sinnlose kleine Dinge, einfacher Schmuck, Dinge, die keinen Wert haben.«
Lady Florences Blick streifte die fünf Kajirae. »Das kann man wohl sagen«, bemerkte sie abschätzend.
»Wenn die Lady Florence etwas dagegen hat, werden ihm diese Vergünstigungen sofort gestrichen.«
»Warum sollte ich etwas dagegen haben?« fragte sie zornig. »Mir ist es gleich. Ob er nun kämpft oder nicht – du sorgst dafür, daß er bei der Arbeit seinen normalen Teil leistet.«
»Selbstverständlich, Lady Florence.«
Daraufhin wandte sich die Herrin ab und nahm sich den nächsten Sklaven in der Reihe vor, doch nach kurzem Blick ging sie weiter und war mit der Inspektion sehr schnell fertig.
»Möchte Lady Florence auch die Kajirae inspizieren?« fragte Kenneth.
Meine Herrin erstarrte sichtlich. »Ja«, sagte sie dann gepreßt.
Und schon stand sie vor den fünf Kajirae, die scheu den Kopf gesenkt hielten.
»Welches dieser Mädchen«, fragte sie, »ist der Liebling des Kampfsklaven Jason?«
»Telitsia, diese hier«, antwortete Kenneth ratlos.
Erschrocken schaute die blonde Telitsia zu ihrer Herrin auf.
»Verkauf sie«, befahl Lady Florence und wandte sich ab.
15
Der Trainingsbaum, etwa einen goreanischen Fuß im Quadrat messend, einen Meter tief in die holzgesäumte Grube versenkt, in der mit Holzboden ausgelegten, hohen Scheune zusätzlich befestigt, erbebte unter den Schlägen, die ihn trafen. An den Händen trug ich Übungsgeräte, Gunni genannt, die aus gekrümmten Bleigewichten bestanden, mehrere Pfund schwer. Die Griffe waren mit Tuch abgesichert. Mit diesen Geräten wird zweierlei erreicht. Erstens kräftigen sie die Muskeln an Schultern, Rücken und Armen und wecken unglaubliche Kräfte; zweitens kommt es einem vor, als könnten die Hände wie Hornissen fliegen, sobald die Gewichte fortgenommen werden. Ich hielt mich dicht an den Stamm.
Die Faust bewegt sich ungemein schnell und hat innerhalb der ersten sechs Zoll ihrer Bewegung die größte Wirkungskraft, dann stecken noch Arm und Rücken hinter dem Hieb. Darin ähnelt sie dem Pfeil, der unmittelbar nach Verlassen der Bogensehne die größte Schnelligkeit und Durchschlagskraft besitzt. Die konkave Oberfläche der Gunni sind dem Benutzer zugewendet, und die Griffe befinden sich in einer Vertiefung. Die Außenflächen der Gunni, die Aufprallfläche, ist leicht konvex gestaltet, was ein vorzeitiges Splittern des Stammes verhindert. Auf eine Weise komprimieren die Schläge das Holz des Stammes und verlängern sein Leben, bis er dann nach einigen letzten Stößen bricht. Trainingsbäume müssen immer wieder ausgewechselt werden. Es mag überraschend erscheinen, doch ein kräftiger, entschlossener Mann, der gegen die Zeit arbeitet, kann innerhalb weniger Ehn einen Trainingsstamm zum Brechen bringen. Gewichtsmäßig ähneln die Gunni den Köpfen von Vorschlaghämmern. Man kann mit ihnen Wände durchbrechen oder Eisen biegen.
Ich hämmerte auf den Stamm los, beulte ihn ein, ließ ihn im Fundament und in den Stützen erbeben.
Gestern waren wir von unserer Herrin inspiziert worden. Nachdem sie mich beschaut hatte, war die Inspektion – so wollte mir scheinen – ziemlich schnell zu Ende gewesen. Die restlichen Sklaven in der Reihe hatte sie eher oberflächlich gemustert und sich die Kajirae kaum angesehen.
Immer wieder schlug ich gegen den Stamm. Dabei muß man auf das Gleichgewicht achten, was einem die Beweglichkeit verschafft und dem Gegner kaum eine Möglichkeit läßt, einen Fehlschritt oder eine vorübergehende Ungeschicklichkeit in der Verteilung des eigenen Gewichts auszunutzen; außerdem bekommen die eigenen Hiebe dadurch eine bessere Wirkung. Ich nahm die Füße selten weiter als zwanzig Zoll auseinander; zu Beginn des Trainings hatte ich eine Fußfessel getragen, jetzt gelang es mir auch ohne Gedächtnishilfe, ohne überhaupt darüber nachzudenken, einen vernünftigen Abstand zwischen den Füßen einzuhalten; dabei bewegte ich mich vorwiegend auf Zehenspitzen; dies mindert die Reibung und läßt schnelle Bewegungen zu. In der Kampfarena bohren sich die Zehen überdies in den weichen Sand und geben besseren Halt. Viele Sklavenkämpfe sind kaum mehr als blutige Schlägereien, die gern von freien Personen verfolgt werden. Kenneth und Barus dagegen, die sich auf Wetten einließen, nahmen solche Kämpfe ernst. Im Laufe der Jahre hatten sie viel Zeit und Überlegung auf das Training und die Entwicklung von Kampfsklaven verwendet. In der Folge waren die Ställe der Lady Florence, besonders in den letzten vier oder fünf Jahren, bei Stallkämpfen ungewöhnlich erfolgreich gewesen. Dies hatte Kenneth und Barus ein kleines Vermögen eingebracht. Die Angehörigen hoher goreanischer Kasten interessierten sich allerdings kaum für solche Dinge.
Der Stamm vor mir ächzte und begann zu knacken. Immer wieder hieb ich zu. Die Decke der hohen Scheune und die Wände hallten von den Schlägen auf das nachgebende Holz wider. Ich spürte, daß der Balken bald weichen würde, und erhöhte das Tempo meiner Schläge.
Es geschah zuweilen jeden vierten oder fünften Tag, daß ich eine Haube übergestülpt bekam und angekettet in einen Wagen geschafft wurde, gewöhnlich mit anderen Sklaven, die ebenfalls Kämpfer waren. Wenn ich dann wieder losgekettet wurde, befand ich mich meistens in einer niedrigen Grube, um die sich freie Personen versammelt hatten, die zumeist aus niederen Kasten stammten. In der Grube stand mir ein anderer Sklave gegenüber. Unsere Hände waren in Leder gewickelt, damit sie nicht so schnell brachen. Es durfte getreten werden, doch waren tödliche Umklammerungen verboten. Man kämpfte, bis der Gegner nicht mehr konnte – unterbrochen durch kurze Pausen, die den Kampf in die Länge zogen und in denen sich die Kämpfer ein wenig erfrischen konnten. Begleitet war der Kampf von lautem Gebrüll und lebhaftem Wetten. In unseren Ställen hatte ich die ersten sechs Kämpfe verloren, doch je mehr meine Erfahrung in der Arena zunahm, desto positiver machte sich mein Training bemerkbar, und mit der Zeit schlug ich mich ganz gut. Die letzten siebzehn Kämpfe hatte ich gewonnen – davon hatten fünf außerhalb unserer Ställe stattgefunden. In der Regel gehörte ich zu einer Mannschaft aus fünf Kämpfern, die sich gewichtmäßig unterschieden. Ich kämpfte in der schwersten Klasse. Auch unter den kleinen Männern gibt es ungewöhnlich gute Kämpfer, wenn sie auch nicht die Größe und das Gewicht mitbringen, um sich nachhaltig gegen größere Männer durchzusetzen, die etwa das gleiche Kampfgeschick besitzen.