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V Klinge gegen Klinge

Das kleine Enterkommando der Destiny rückte, sich gegenseitig im Dunkeln rufend und Flüche mit den Gegnern tauschend, von allen Seiten zusammen. Dabei wurde das Deck ständig von Brechern überspült und jede Bewegung durch herabgefallene Takelageteile und wild durcheinanderliegendes Tauwerk erschwert. Auch hingen Wrackteile über die Bordwand ins Wasser und zogen das Schiff wie Seeanker in die Wellentäler hinab.

Bolitho hieb nach irgendeinem Gegenüber, wobei seine Klinge auf harten Stahl traf, während er gleichzeitig einen anderen Angriff abwehrte. Bolitho war ein guter Fechter, aber sein leichter Marinesäbel war eine ärmliche Waffe gegen ein hartgeschmiedetes Enterbeil. Um ihn herum brüllten und keuchten ineinanderverschlungene Männer, die sich mit Dolchen, Entermessern oder anderen Waffen fanatisch bekämpften.

Little schrie:»Nach achtern, Männer, nach achtern!«Er bahnte sich einen Weg durch das trümmerübersäte Deck, schlug im Lauf einen Gegner mit seinem Enterbeil nieder und zog die Hälfte seiner Leute hinter sich her.

In Bolithos Nähe rutschte ein Mann aus und rollte sich im Fallen herum, um sein Gesicht vor dem Mann, der mit erhobenem Entermesser über ihm stand, zu schützen. Bolitho hörte das Sausen des Stahls und den ekelerregenden, dumpfen Ton, mit dem er Knochen spaltete. Als er sich umwandte, sah er, daß es Stockdale war, der die Klinge seines langen Entermessers herausriß und den toten Gegner ohne Umstände über Bord stieß.

Es war ein wildes Durcheinander, ein entfesselter Alptraum fern aller Wirklichkeit. Bolitho wehrte einen weiteren Gegner ab, der sich wie ein Kletteraffe an einem Stag hatte heruntergleiten lassen. Er duckte sich, als er den Mann über seinem Kopf spürte, und hörte ihn ausatmen, als er seinen Schwung abbremste. Bolitho stieß ihm den Griff seines Säbels in die Magengrube, und als er sich wegduckte, schlug er ihm den Säbel mit aller Kraft über den Nacken. Dabei fühlte er einen Schmerz im Arm, als ob er selber niedergehauen worden wäre.

Ungeachtet all des Schrecklichen um ihn herum, blieben Bolithos Sinne hellwach, aber eher wie die eines Zuschauers, der an dem blutigen Massaker völlig unbeteiligt war. Das Schiff war eine Brigantine. Ihre Rahen standen kreuz und quer durcheinander, so daß sie hilflos nach Lee abtrieb. Alles auf diesem Schiff roch neu, es mußte gerade erst gebaut worden sein. Seine Besatzung schien völlig überrascht, als die Segel der Destiny vor ihrem Bug auftauchten, und dieser Schreck wirkte bis jetzt nach und hatte das kleine Enterkommando bisher vor Schlimmerem bewahrt.

Ein Mann bahnte sich den Weg nach vorn, ungeachtet der wimmernden und zerfetzten Gestalten, auf die er dabei trat. Bolitho, durch dessen Kopf viele Überlegungen jagten, war es sofort klar, daß diese hagere Gestalt im blauen Rock der Kapitän des Schiffes sein mußte.

Die Brigantine war zur Zeit außer Kontrolle, aber das ließ sich in wenigen Sekunden ändern. Doch die Destiny war nirgends zu sehen. Vielleicht waren ihre Beschädigungen schlimmer, als er vermutet hatte. Man glaubte ja nie, daß auch dem eigenen Schiff passieren konnte, was man dem Gegner wünschte.

Bolitho sah den matten Schimmer von Stahl und schloß daraus, daß die Morgendämmerung nicht mehr fern war. Überraschenderweise mußte er plötzlich an seine Mutter denken. Er war froh, daß sie es nicht mit ansehen mußte, wenn er fiel. Der hagere Mann schrie:»Weg mit der Waffe, Stinktier!«Bolitho versuchte, zurückzubrüllen, seine Männer um sich zu sammeln und sich selber zum äußersten Widerstand anzuspornen.

Dann trafen die Klingen aufeinander. Bolitho fühlte die Stärke des Mannes durch die Waffe, als wäre sie die Verlängerung seines Armes.

Die Säbel klirrten, Bolitho parierte und schlug nach dem anderen Mann, der nach jedem Ausfall zurückschlug und vorwärtsdrängte.

Plötzlich ein scharfes Klingen. Bolitho fühlte, daß ihm der Säbel aus der Hand geglitten und auch die Schlaufe ums Gelenk durch die Gewalt des Schlages gerissen war.

Er hörte eine gellende Stimme schreien:»Hier, Sir!«Es war Jury, der ihm mit dem Griff voran einen Degen zuwarf.

Wut kam Bolitho zu Hilfe. Irgendwie fing er die Waffe auf und bekam sie in den Griff, wobei er sich ihres Gewichts und ihrer Länge bewußt wurde. Nebelhafte Bilder schossen ihm durch den Kopf: sein Vater, der ihm und seinem Bruder Hugh im Küchengarten von Fal-mouth ersten Fechtunterricht gab; der ihm später beibrachte, jede Bewegung sorgfältig abzuwägen.

Er zuckte zusammen, als der Säbel des anderen seinen Ärmel dicht unterhalb der Achselhöhle durchschnitt. Ein paar Zoll weiter und… Er fühlte, wie Wut alle anderen Empfindungen hinwegschwemmte: ein Zustand des Wahnsinns, der ihm Kraft und Selbstvertrauen zurückgab.

Bolitho parierte einen neuen Hieb und spürte dabei die Kraft und den Haß seines Gegners, roch seinen Schweiß. Er hörte Stockdales heisere Stimme und wußte, daß dieser zu hart bedrängt war, um ihm beistehen zu können. Andere hatten aufgehört zu kämpfen und starrten, als wäre ihre eigene Wut verraucht, gebannt auf die beiden Fechter in ihrer Mitte.

Wie in einer anderen Welt fiel ein Kanonenschuß. Eine Kugel pfiff über das Deck und schlug wie eine eiserne Faust durch ein killendes Segel. Die Destiny war also nahe, und Dumaresq hatte das Risiko gewagt, möglicherweise einige seiner eigenen Leute zu töten, um seine Gegenwart fühlbar zu machen.

Einige Leute der Brigantine warfen sofort ihre Waffen weg. Andere waren weniger glücklich und wurden von den mit neuem Mut erfülltem Enterern niedergemacht, bevor sie begriffen hatten, was vorging.

Bolithos Gegner brüllte:»Zu spät für Sie, Sir!«Er stieß Bolitho mit der Faust zurück, schätzte den Abstand und machte einen Ausfall.

Bolitho hörte Jury aufschreien, sah Little mit gefletschten Zähnen auf sich zurennen.

Nach so viel Haß und Todesangst war es fast zu einfach und ohne Würde: Er behielt sein Gleichgewicht und brauchte seinen Füßen und Armen nicht einmal zu kommandieren, als er geschickt auswich und die Wucht des gegnerischen Angriffs dazu nutzte, seine eigene Waffe mit einer Drehbewegung freizubekommen und sie ihm in die Brust zu stoßen.

Little zog den Mann beiseite und hob sein blutiges Beil, als er sich loszureißen versuchte. Bolitho rief:»Halt! Laß ihn leben!»

Er sah sich benommen und angewidert um, während einige seiner Männer ihm lauthals zujubelten.

Little ließ den verwundeten Mann aufs Deck fallen und wischte sich das Gesicht mit dem Handrücken, als entweiche auch aus ihm langsam der Wahnsinn der Kampfeswut. Bis zum nächstenmal.

Bolitho sah, daß Jury mit dem Rücken an einer gebrochenen Spier lehnte und beide Hände in den Bauch preßte. Er kniete neben ihm nieder und versuchte, Jurys Finger wegzuziehen. Nicht er, dachte er, nicht so früh!

Ein Matrose, den Bolitho als einen seiner besten Leute vom Großmast erkannte, bückte sich und zog die Hände des Midshipman mit einem Ruck auseinander. Bolitho schluckte, riß das Hemd auf und erinnerte sich dabei an Jurys Heldentat und an sein Vertrauen im Augenblick des Enterns. Bolitho war selber noch jung, aber er hatte solche Aktionen immerhin schon mitgemacht.

Er schaute auf die Wunde herab und hätte gern gebetet. Die Spitze der Klinge mußte durch das große, vergoldete Schloß an Jurys Gürtel abgelenkt worden sein. Bolitho konnte selbst bei diesem schwachen Licht erkennen, daß vor allem das Metall getroffen worden war. Es hatte die Wucht des Stoßes aufgefangen, und der Angreifer hatte dadurch den Bauch des Jungen nur geritzt.

Der Matrose grinste und riß ein Stück von Jurys Hemd als Notverband ab.»Nur ein Kratzer, Sir. Das kommt wieder in Ordnung.»

Noch zitternd richtete Bolitho sich auf und stützte sich dabei mit einer Hand auf die Schulter des Mannes.

«Danke, Murray.»

Der Mann schaute zu ihm auf.»Ich sah, wie er Ihnen den Degen zuwarf, Sir. Im selben Augenblick hat irgendein anderer Kerl zugestoßen. «Er wischte sein Entermesser gedankenlos an einem Stück Segeltuch ab.»Das war aber der verdammt letzte Streich, den er auf dieser Erde tat.»