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Den Menschen an Bord ging es nicht anders. Bulkley saß in seinem Krankenrevier, sog an einer langen Tonpfeife und teilte einiges von seinen Alkoholvorräten mit Codd, dem Zahlmeister.

Nebenan, vom Orlopdeck aus kaum sichtbar, schliefen die Verwundeten oder wimmerten leise in der Finsternis.

In der Kajüte saß Dumaresq in Hemdsärmeln und bis zur Taille aufgeknöpft und schrieb eifrig in sein privates Tagebuch. Von Zeit zu Zeit sah er scharf zur Tür, als wolle er sie mit Blicken durchbohren und die ganze Länge seines Schiffes kontrollieren. Manchmal sah er auch zu den Decksbalken über sich auf, weil Gullivers Schritte auf dem Achterdeck ihm sagten, daß der Master noch immer über die Ursachen der Kollision grübelte und befürchtete, daß die Schuld daran ihm in die Schuhe geschoben werden könnte.

Im Hauptdeck, das kaum Stehhöhe bot, schaukelte die Mehrzahl der Besatzung in ihren Hängematten, die im Takt der Schiffsbewegungen hin und her pendelten: wie sauber aufgereihte Erbsenhülsen, die darauf warteten, sich im Nu zu öffnen und ihren Inhalt freizugeben, wenn die Wetterlage es verlangte oder die Trommeln zum Gefecht riefen.

Nur einige der Männer, die entweder Wache an Deck gingen oder keinen Schlaf finden konnten, dachten noch an den kurzen, erbitterten Kampf und an die Augenblicke, in denen sie Todesangst kennengelernt hatten; an vertraute Gesichter, die nun ausgelöscht waren, oder an das Prisengeld, das die hübsche Brigantine ihnen einbringen würde.

Auch Midshipman Jury, der sich in seiner Koje im Krankenrevier hin und her warf, durchlebte den Kampf noch einmal. Er dachte an den schrecklichen Augenblick, als Leutnant Bolithos Säbel weggeschlagen worden war, an sein verzweifeltes Bemühen, ihm zu helfen, und an den plötzlichen Schmerz in der Magengrube, als hätte ihn heißes Eisen versengt. Er dachte an seinen toten Vater, an den er sich kaum erinnern konnte, von dem er aber annahm, daß er jetzt stolz auf ihn gewesen wäre.

Die Destiny trug alle unterschiedslos: den finsterblickenden Palliser, der Colpoys in der sonst leeren Messe gegenübersaß, vor sich auf dem Tisch die Karten, die ihn zu verhöhnen schienen, bis zu Steward Poad, der in seiner Hängematte schnarchte. Sie alle waren auf Gnade oder Ungnade dem Schiff ausgeliefert, dessen Galionsfigur nach dem Horizont zu greifen schien und ihm doch nie näherkam.

Zwei Wochen nach Eroberung der Brigantine kreuzte die Destiny mit Südkurs den Äquator. Sogar der Master schien über ihr flottes Vorankommen und die zurückgelegte Strecke erfreut. Der ihnen günstige Passat und die milde, warme Luft trugen dazu bei, die Stimmung der Leute zu heben und Krankheiten fernzuhalten.

Über ein Drittel der Besatzung überquerte den Äquator zum erstenmal. Allerlei Ulk und rauhe Scherze, welche die traditionelle Zeremonie begleiteten, wurden beflügelt durch eine Viertageration Rum und Wein für alle Mann.

Little, der Stückmeistersmaat, gab einen majestätischen Neptun mit goldgemalter Papierkrone und einem Vollbart aus Schiemannsgarn ab. Als verschämte Königin an seiner Seite posierte ein entsprechend ausgestopfter Schiffsjunge. Alle Neuankömmlinge in Neptuns Königreich wurden gründlich abgeseift und untergetaucht.

Hinterher kam Dumaresq zu seinen Offizieren in die Messe und drückte ihnen seine Zufriedenheit mit Schiff und Besatzung und ihrer flotten Reise aus. Die Heloise war weit zurückgefallen, da sie immer noch mit der Reparatur ihrer Schäden beschäftigt war. Dumaresq hatte offenbar nicht die Absicht, deshalb seinen eigenen Landfall hinauszuschieben. Slade hatte Befehl, so schnell wie möglich in Rio zu ihm zu stoßen.

An den meisten Tagen zog die Destiny unter sämtlichen Segeln ihre Bahn und hätte ein prächtiges Bild für ein anderes Schiff, das mit ihnen den Ozean teilte, abgegeben. Die neuen Leute, die hoch über Deck bei der Arbeit waren oder am regelmäßigen Segel- und Geschützexerzieren teilnahmen, begannen sich mehr und mehr einzuleben, und Bolitho beobachtete, wie die bleiche Haut derjenigen, die aus dem Schuldturm oder noch Schlimmerem kamen, in der täglich stärker brennenden Sonne eine dunklere Tönung annahm.

Ein weiterer Mann, der in dem Gefecht verwundet worden war, starb und erhöhte ihre Verluste damit auf acht. Der Kapitän der Heloi-se, der Tag und Nacht von einem Seesoldaten bewacht wurde, kam langsam wieder zu Kräften. Bolitho nahm an, daß Dumaresq ihn nur darum unbedingt am Leben erhalten wollte, damit er ihn später wegen Piraterie aufknüpfen lassen konnte.

Midshipman Jury durfte wieder Dienst tun, allerdings nur an Deck oder auf Wache achtern. Seltsamerweise schien die Erinnerung an die gemeinsam geteilte Gefahr ihn und Bolitho eher voneinander fernzuhalten; obwohl sie einander täglich mehrmals begegneten, spürte Bo-litho ein gewisses Unbehagen zwischen ihnen.

Möglicherweise hatte der Kommandant recht. Vielleicht hatte Jurys» Heldenverehrung«, wie er es bezeichnet hatte, eher eine Verlegenheit als eine Bindung zwischen ihnen geschaffen. Der kleine Merrett dagegen schien mehr Selbstvertrauen gewonnen zu haben. Es war, als ob er mit seinem sicheren Tod gerechnet hätte und nun überzeugt sei, ihm könne nichts Schlimmeres mehr passieren. Er enterte mit den anderen Midships in den Wanten auf, und während der Hundewachen hörte man seine helle Stimme oft mit seinen Kameraden diskutieren oder streiten.

Eines Abends, als die Destiny unter Mars- und Untersegeln ihre Bahn zog und Bolitho die erste Wache von Leutnant Rhodes übernahm, sah er, wie Jury die anderen Midshipmen auf den Gefechtsständen in den Marsen beobachtete, die dort allerlei Unsinn trieben. Sicherlich wünschte er sich, bei ihnen oben zu sein.

Bolitho wartete, bis der Rudergänger rief:»Ruder übernommen, Kurs Süd-Süd-West liegt an!«Danach ging er hinüber auf die andere Seite, wo Jury stand, und fragte:»Was macht die Wunde?»

Jury sah ihn an und lächelte.»Tut nicht mehr weh, Sir. Ich hatte

Glück. «Seine Finger strichen über den Ledergürtel und berührten den Kratzer auf dem Metallschloß.»Waren es wirklich Piraten?»

Bolitho zuckte die Schulter.»Jedenfalls waren sie darauf aus, uns zu verfolgen. Spione vielleicht, doch nach den Buchstaben des Gesetzes gelten sie als Piraten.»

Darüber hatte er nach jener schrecklichen Nacht viel nachgedacht. Er vermutete, daß Dumaresq und Palliser mehr wußten, als sie sagten, und daß die eroberte Brigantine irgendwie mit Dumaresqs geheimer Mission und ihrem kurzen Aufenthalt in Funchal zu tun hatte.

Er sagte:»Wenn wir dieses Tempo beibehalten, sind wir in einer Woche in Rio. Dann werden wir sicherlich die Wahrheit erfahren.»

Gulliver erschien auf dem Achterdeck und schaute lange schweigend zu der steifer werdenden Leinwand hinauf. Schließlich meinte er:»Der Wind wird stärker. Ich glaube, wir sollten einige Segel we g-nehmen. «Er zögerte und sah Bolitho an.»Wollen Sie es dem Kommandanten melden, oder soll ich es tun?»

Bolitho sah, wie die Marssegel sich im Wind blähten. Im scheidenden Sonnenlicht wirkten sie wie große, rosafarbene Muscheln. Aber Gulliver hatte recht, und er hätte es selbst erkennen müssen.

«Ich werde es ihm melden.»

Gulliver ging zum Kompaß hinüber, als sei er von einer inneren Unruhe getrieben.»Das Wetter ist zu schön, um sich zu halten. Ich kenne das.»

Bolitho winkte Midshipman Cowdroy heran, der zur Zeit — bis Jury ganz wiederhergestellt war — die Wache mit ihm teilte.»Meine Empfehlung an den Kommandanten, und ich lasse ihm melden, daß der Nordost auffrischt.»

Cowdroy tippte an seinen Hut und eilte zum Niedergang. Bolitho schluckte seine Abneigung gegen ihn herunter; ein arroganter, intoleranter Geselle. Er wunderte sich, daß Rhodes mit ihm zurechtkam.

Jury fragte leise:»Bekommen wir Sturm, Sir?»

«Kaum. Aber es ist gut, wenn wir darauf vorbereitet sind. «Er sah etwas in Jurys Hand glitzern und sagte:»Das ist aber eine schöne

Uhr.»

Jury hielt sie ihm hin, sein Gesicht strahlte.»Sie gehörte meinem Vater.»