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Unter Deck zündete er eine Laterne an und ging vorneweg, wobei er den gefährlichen Spitzen der gesplitterten Holzbacken auszuweichen versuchte. Die Geräusche vom Oberdeck klangen nur gedämpft herunter, es hörte sich aber bedrohlich an, als das Schiff sich unter den Einschlägen immer wieder aufbäumte und schüttelte.

Die beiden Angreifer standen nun an Backbord und Steuerbord querab von der Heloise und feuerten ohne Rücksicht darauf, daß sie in ihrem Eifer, das kleine Schiff mit der roten Nationalflagge Englands zu vernichten, sich gegenseitig treffen konnten.

Bolitho zog ein Luk auf und sagte:»Ich höre eindringendes Wasser.»

Jury wisperte:»Großer Gott, wir sinken!»

Bolitho legte sich auf den Bauch und hielt die Laterne durch das Luk in den Raum. Er sah nur Chaos. Zerbrochene Fässer und Leinwandfetzen schwammen zwischen zersplitterten Hölzern, und selbst während er noch hinsah, schien das Wasser zu steigen.

Er sagte:»Melden Sie dem Ersten Offizier, daß keine Hoffnung besteht. «Er beruhigte Jury, der furchtsam zusammengezuckt war, weil weitere Kugeln in den Schiffsrumpf schlugen.»Gehen Sie und erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen gesagt habe: Alle sehen auf Sie!«Er versuchte zu lächeln, als ob alles nicht so wichtig sei.»In Ordnung?»

Jury wich schrittweise zurück, während sein Blick zwischen Bolitho und dem offenen Luk hin- und herwanderte.»Und was tun Sie?»

Bolitho wandte den Kopf, als ein neuer Laut wie Hammerschläge durch das stark krängende Schiff dröhnte. Einer der Anker hatte sich aus seiner Zurring gerissen und schlug nun bei jedem Überholen der Brigantine gegen die Bordwand. Das würde ihr Ende beschleunigen.

«Ich gehe zu Olsson. Wir müssen die Gefangenen freilassen.»

Endlich war Bolitho allein. Er atmete tief durch und bemühte sich, das Zittern seiner Glieder zu unterdrücken. Dann arbeitete er sich langsam weiter nach achtern, wobei die regelmäßigen Ankerschläge ihm wie Trommelschlag bei einer Hinrichtung folgten.

Eine neue Erschütterung der Bordwand, der unmittelbar lautes Krachen folgte. Einer der Masten — oder Teile davon — kam von oben. Bolitho wappnete sich für den endgültigen Aufprall.

Im nächsten Augenblick lag er ausgestreckt in der Dunkelheit. Die Laterne war seinen Händen entglitten, und obwohl er überhaupt nichts fühlte, konnte er sich nicht an den Augenblick des Falls erinnern.

Er wußte nur, daß er unter einem Trümmerhaufen wie festgenagelt lag und sich nicht bewegen konnte.

Er preßte ein Ohr an eine Lüftungsgräting und hörte das Wasser aus der Bilge in die unteren Räume dringen. Am Rande der Panik begriff er, daß er in Sekunden sinnlos schreiend um sich treten würde.

Viele Gedanken schossen durch sein Gehirn. Er sah seine Mutter, wie sie von ihm Abschied nahm. Sah die See unter dem Vorland von Falmouth, wo er mit seinem Bruder Hugh in einem Fischerboot das erste Abenteuer erlebt hatte, und hörte den Zornausbruch ihres Vaters darüber.

Seine Augen brannten. Doch als er versuchte, die Hand zum Gesicht zu heben, hielten die heruntergefallenen Trümmer sie in einer grausamen Falle fest.

Der Anker schlug nicht mehr gegen die Bordwand, was wohl bedeutete, daß er jetzt schon unter Wasser war.

Bolitho schloß die Augen und wartete. Er stieß ein Stoßgebet aus, daß er vor dem Ende nicht die Nerven verlieren möge.

IX Pallisers List

Bolitho fühlte, daß der Druck auf sein Rückgrat zunahm, da sich das Gewicht der Trümmer durch die Schiffsbewegung verlagert hatte. Irgendwo oben hörte er Metall über Holz scheuern, als hätte sich eine Kanone losgerissen und rutsche auf dem Deck herum. Die Schlagseite hatte zugenommen, und das Wasser schlug immer höher gegen die Bordwand, weil das Schiff tiefer und tiefer sackte.

Oben fielen nur noch gelegentlich Schüsse; es schien, als hielten die Gegner sich fern und warteten ab, bis die See ihr Werk vollendet hatte.

Langsam, aber mit wachsender Verzweiflung versuchte Bolitho, sich aus dem Trümmerhaufen zu befreien. Er hörte sich ächzen und stöhnen und sinnlose Worte ausstoßen, als er mit allen Gliedmaßen zerrte und strampelte, um der Falle zu entkommen.

Es war nutzlos. Er erreichte nur, daß die abgebrochenen Spieren verrutschten und eine fast seinen Kopf aufgespießt hätte. Panik ergriff ihn, als er außer weiteren Musketenschüssen hörte, wie ein Boot bemannt und heisere Befehle gegeben wurden. Er ballte die Fäuste und drückte das Gesicht gegen die Decksbalken, um zu verhindern, daß er verzweifelte Schreie ausstieß. Das Schiff sank nun schnell, und Palliser hatte offenbar befohlen, es zu verlassen.

Bolitho versuchte, klar zu denken und sich damit abzufinden, daß seine Kameraden nur taten, was getan werden mußte. Jetzt blieb keine Zeit mehr für Gefühle oder eine nutzlose Geste. Er war ebenso tot wie die anderen, die in der Hitze des Gefechts gefallen waren.

Doch plötzlich hörte er Stimmen. Jemand rief seinen Namen. Schmale Lichtkegel drangen durch das Gewirr der Trümmer, und als es einen neuen Ruck darin gab, schrie Bolitho:»Zurück! Rettet euch lieber!»

Er war über seine Worte und die Kraft seiner Stimme selber erschrocken. Mehr als alles andere hatte er überleben wollen — bis zu dem Augenblick, da jemand anderer sein Leben für ihn riskierte. Stockdales heisere Stimme befahclass="underline" »Hier, hebt diese Spiere an!«Jemand anderer sagte zweifelnd:»Zu spät, wie's scheint, Kamerad. Wir gehen am besten zurück.»

Stockdale krächzte:»Hebt an, wie ich's gesagt habe! Nun zusammen, Jungs, zu — gleich!»

Bolitho schrie auf, als der Schmerz in seinem Rücken stärker wurde. Er erkannte Füße, die sich auf der anderen Seite des Trümmerbergs bewegten, und sah Jury auf dem Boden knien und durch eine Lücke nach ihm ausspähen.

«Nicht mehr lange, Sir. «Jury zitterte vor Angst, versuchte aber, gleichzeitig zu lächeln.»Halten Sie aus!»

So plötzlich, wie sie ihn niedergeschlagen hatte, wurde die ganze Last aus zerbrochenen Stengen und gesplitterten Decksbalken angehoben. Ein Mann ergriff Bolithos Fußknöchel und zog ihn energisch das schräge Deck hinauf. Stockdale schien mittlerweile den ganzen Berg von Trümmern allein hochzuhalten.

Jury keuchte:»Schnell!«Er wäre gestürzt, wenn ein Matrose ihn nicht mit schnellem Zugriff gehalten hätte. Dann schwankten sie alle wie Betrunkene zum nächsten Luk und nach oben.

Als sie schließlich das Oberdeck erreichten, vergaß Bolitho seine Schmerzen und die Augenblicke nackter Verzweiflung. Im zunehmenden Tageslicht sah er, daß die Heloise ein hilfloses Wrack war; ihr vorderer Mast war verschwunden, der hintere nur noch ein gezackter Stumpf. Gebrochene Stengen, zerrissene Segel und ein wirres Durcheinander herabgefallenen Tauwerks vervollständigten die totale Verwüstung.

Und wie zur Bestätigung bemerkte Bolitho, daß beide Boote schon bemannt waren und sich von dem sinkenden Schiff freihielten. Das nähere lag schon höher als die Leeseite der Heloise.

Palliser stand im Kutter und wies einige seiner Leute an, ihre Musketen auf einen der beiden Schoner zu richten. Die sinkende Brigantine wirkte als Barrikade, sie stand als einziger Schutz zwischen ihnen und dem Feind und verhinderte, daß er direkt auf sie losfuhr und den einseitigen Kampf beendete.

Stockdale grunzte:»Über Bord, Jungs!»

Noch leicht benommen sah Bolitho, daß unter den Leuten, die zurückgekommen waren, um ihn zu retten, auch Olsson war, der verrückte Schwede, und einer der Landarbeiter, die sich bei seinem Rekrutierungskommando in Plymouth freiwillig gemeldet hatten.

Jury zog sich die Schuhe aus und steckte sie unter sein Hemd. Er schaute ins Wasser, das schon über das Schanzkleid schlug, und sagte:»Wir haben ein schönes Stück zu schwimmen.»