Plötzlich lag ihnen der Schoner Seite an Seite gegenüber, und Bo-litho konnte seinen und seiner Kameraden Schatten auf dessen Bordwand sehen. Musketenkugeln peitschten ihm um die Ohren. Er hörte einen seiner Leute aufschreien, als eine Kugel ihn voll traf, und sah, wie Ingrave sein Gesicht mit den Händen bedeckte, als könne er so einem gleichen Schicksal entgehen.
Die Gaffelsegel drüben fielen. Als die erste Welle der Enterer über das Deck des Schoners eilte, flogen Enterhaken an Leinen herüber und bissen sich mit eisernen Zähnen im Schanzkleid der Rosario fest.
Doch irgend jemand an Bord des Schoners mußte geahnt haben, daß von Männern, die wie diese kämpften, noch eine letzte Kriegslist zu erwarten war. Mehrere gezielte Schüsse trafen die hinter ihren Kanonen kauernden Engländer, von denen zwei schreiend und zuckend zusammenbrachen, während ihr Blut das Deck rot färbte.
Bolitho warf einen Blick auf Jury. Er hielt seinen Dolch in der einen Hand, eine Pistole in der anderen.
Durch die Zähne sagte Bolitho:»Bleiben Sie bei mir. Verlieren Sie nicht den Halt, und tun Sie, was Sie mir unlängst geraten haben. «Er sah den wilden Ausdruck in Jurys Augen und fügte hinzu:»Halten Sie sich fest!»
Es gab einen heftigen Ruck, als der Schoner — von den Enterhaken herangezogen — breitseits gegen die Bordwand der Brigg stieß.»Jetzt!«Palliser schwenkte seinen Säbel.»Feuer!«Eine Kanone spuckte Flammen und Rauch, und ihre volle Ladung explodierte genau in der Mitte der zum Entern bereitstehenden Ge g-ner. Blut spritzte auf, Gliedmaßen flogen in gräßlichem Reigen durch die Luft. Doch das kurze Erschrecken verwandelte sich in wildes Wutgeheul, als die Angreifer sich erneut formierten und auf breiter Front aufs Deck der Brigg sprangen.
Stahl traf auf Stahl. Während einige Männer versuchten, ihre Musketen neu zu laden und abzufeuern, stießen andere mit Bajonetten und Pieken nach laut aufschreienden Gegnern im Augenblick ihres Absprungs, sodaß sie als blutige Fender zwischen die beiden Bordwände fielen.
Palliser schrie:»Noch eine Ladung!»
Aber Little und seine Männer waren auf der Back von den anderen Kanonen durch eine wilde Horde Kämpfender abgeschnitten. Die eigene Bedienung lag tot oder sterbend an Deck. Und ohne die letzte Salve aus Schrapnells und Eisenstücken waren sie verloren.
Ein Matrose kroch zur Kanone, eine brennende Lunte in der Faust, aber er sackte sterbend auf das Gesicht, als ein Angreifer über das Schanzkleid sprang und ihm sein Enterbeil in den Nacken schlug. Durch die Wucht seines Schlags verlor er selber das Gleichgewicht und rutschte im Blut seines Opfers aus. Dutchy Verbink schob Jury mit der Schulter zur Seite und stürzte — einen tonlosen Fluch auf dem weit aufgerissenen Mund — nach vorn und schlug dem sich mühsam aufrichtenden Gegner sein Entermesser über den Kopf. Die Klinge glitt vom Schädelknochen ab und durchtrennte ein Ohr, während Ver-bink schon mit einem zweiten, sorgsam gezielten Schlag den Mann erledigte.
Als Bolitho wieder hochschaute, stand Stockdale an der verlassenen Kanone. Seine Schulter blutete aus einer tiefen Wunde, aber ohne darauf zu achten, schwenkte er die Lunte und hielt sie ans Zündloch.
Die Explosion war so gewaltig, daß Bolitho glaubte, das Rohr sei geplatzt. Ein breites Stück vom Schanzkleid des Schoners war verschwunden, und inmitten der zertrümmerten Holzplanken und abgerissenen Takelage wanden sich Männer, die auf die nächste Gelegenheit zum Sprung gewartet hatten, in einem unentwirrbaren, blutigen Knäuel.
Palliser schrie:»Auf sie, Jungs!«Er schlug einen anstürmenden Kerl nieder und feuerte seine Pistole in die Menge derer, die schon auf dem Deck der Rosario waren und denen sich nun die dünne Linie der Verteidiger mit neuem Mut entgegenstellte.
Bolitho wurde mitgerissen, sein Säbel traf auf ein Entermesser, er parierte einen Schlag und traf einen wild blickenden Mann mit einem Hieb quer über die Brust. Eine Pistole explodierte fast an seinem Ohr, und er hörte Jury jemandem zurufen, er solle ihnen den Rücken dek-ken, wo zwei um sich schlagende und schießende Enterer durch die erschöpften Matrosen drängten.
Eine Pieke stieß an Bolithos Hüfte vorbei und spießte einen Mann auf, der versucht hatte, seinen beiden Kameraden durch die Gasse zu folgen. Er schrie auf und versuchte, sich die Pieke mit blutenden Fingern aus dem Leib zu ziehen, bis Stockdale aus dem Gedränge auftauchte und ihm mit seinem Entermesser den Garaus machte.
Midshipman Ingrave war zu Boden gegangen und hielt sich mit beiden Händen den Kopf, während die kampfbesessenen Männer haßerfüllt über ihn hinwegtorkelten.
Über allem Kampfeslärm hörte Bolitho Pallisers Stimme:»Zu mir, Jungs!«Dem folgte wildes Geschrei, und mit Staunen sah Bolitho eine dichte Menge den Niedergang und das vordere Luk hochquellen,
um mittschiffs zu Palliser zu stoßen. Auf dem Weg dorthin klatschten ihre nackten Klingen bereits auf die überraschten Enterer nieder.
«Treibt sie zurück!«Palliser bahnte sich einen Weg durch seine Leute und schien sie zu neuer Anstrengung zu beflügeln.
Bolitho sah schattenhaft eine Gestalt auf sich zuspringen und schlug mit aller Kraft zu. Der Mann stöhnte auf, als die Säbelklinge ihn quer über dem Leib traf. Er fiel auf die Knie und preßte beide Hände auf die schreckliche Wunde, während jubelnde Matrosen über ihn hinwegstolperten.
Es konnte nicht wahr sein und stimmte doch: Aus der sicheren Niederlage war ein Gegenangriff geworden, und die Feinde zogen sich bereits unter den Schlägen von Pallisers Leuten in wilder Flucht zurück.
Bolitho hatte erkannt, daß es die Gefangenen waren, die ursprüngliche Besatzung der Heloise, die Palliser freigelassen und für seine Ziele gewonnen hatte. In seinem Kopf wirbelte es jedoch wild durcheinander, als er mit den übrigen weiterkämpfte, mit schmerzender Schulter und einem bleischweren säbelführenden Arm. Palliser mußte ihnen eine Gegenleistung für ihre Hilfe versprochen haben. Einige von ihnen waren schon gefallen, aber ihr plötzliches Eingreifen hatte die Männer von der Destiny mit neuem Mut erfüllt. Außerdem bemerkte Bolitho, daß einige Piraten auf ihr Schiff zurückgeklettert waren. Als er sich zum erstenmal wieder umschauen konnte, sah er, daß die Leinen mit den Enterhaken durchtrennt waren und der Schoner sich bereits von ihnen gelöst hatte. Bolitho ließ den Arm sinken und blickte zum zweiten Schoner, der seine Segel dichtholte und den Wind nutzte, um sich von der entmasteten, blutüberströmten, aber siegreichen Brigg freizuhalten. Männer jubelten und klopften einander auf die Schultern. Andere halfen ihren verwundeten Kameraden oder rannten herum und riefen die Namen von Freunden, die nicht mehr antworten konnten.
Ein Pirat, der sich totgestellt hatte, rannte plötzlich zum Schanzkleid, als er begriff, daß sein eigenes Schiff den Kampf abgebrochen hatte. Das war Olssons Augenblick: Sorgsam zog er ein Messer aus dem Gürtel und warf es. Es zuckte auf wie ein Lichtblitz. Bolitho sah den Mann sich in vollem Lauf um seine Achse drehen, die Augen staunend aufgerissen, während das Heft des Messers zwischen seinen Schultern hervorragte.
Little zog das Messer heraus und warf es dem Schweden wieder zu:»Fang!«Dann hob er den Leichnam auf und warf ihn über Bord.
Palliser schritt die ganze Länge des Decks entlang, den Säbel über der Schulter, von dem es rot auf seinen Rock heruntertropfte.
Bolitho fing seinen Blick auf und sagte heiser:»Wir haben's geschafft, Sir. Ich hätte nie geglaubt, daß es klappt.»
Palliser beobachtete, wie die freigelassenen Gefangenen ihre Waffen zurückgaben und dann einander anstarrten, als seien sie von dem, was sie getan hatten, selbst überwältigt.
«Ich auch nicht, ehrlich gesagt.»
Bolitho wandte sich um und sah, wie Jury sich bemühte, Ingraves Kopf zu verbinden. Beide hatten also überlebt.
Er fragte:»Glauben Sie, daß sie nochmals angreifen?»