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«Ich bin verzweifelt, Stephen, und kann es sonst niemandem sagen. Es macht mich noch verrückt.»

Rhodes war von Bolithos Offenheit und der Tatsache, daß er sein Geheimnis mit ihm teilte, tief bewegt.

Er sagte:»Wir werden uns etwas ausdenken. «Das klang angesichts der Verzweiflung seines Freundes so wenig überzeugend, daß er hinzufügte:»Bevor wir Saint Christopher erreichen, kann eine Menge passieren.»

Der Steuermannsmaat tippte an seinen Hut:»Wache hat gewechselt,

Sir.»

Bolitho ging zum Niedergang. Auf der ersten Stufe hielt er an. Au-roras Parfüm hing noch in der Luft. Oder haftete es an seinem Uniformrock? Laut sagte er vor sich hin:»Was kann ich bloß tun?»

Doch die einzige Antwort kam von der See und dem Rumpeln des Ruders unter Dumaresqs Kajüte.

Die erste Woche Fahrt verging recht schnell mit einigen heftigen Böen, welche die Männer in Bewegung hielten und die brennende Hitze vertrieben.

Es ging hinauf zum Kap Branco und dann mit Kurs Nordwest zu den Westindischen Inseln. Längere Perioden leichter Winde wechselten mit Flauten, in denen die Boote ausgesetzt wurden und das anstrengende Pullen des Schiffes begann.

Trinkwasser wurde immer knapper, und da keine Aussicht auf Regen oder baldige Landberührung bestand, wurde es rationiert. Nach einer weiteren Woche wurden die Rationen sogar auf einen knappen Liter pro Mann und Tag verringert.

Während seiner Tageswachen unter der brennenden Sonne sah Bo-litho sehr wenig von Egmonts Frau. Er sagte sich, daß dies nur zu ihrem und auch seinem Besten sei. Es gab ohnedies Aufregungen genug: Ausbrüche von Ungehorsam, die von den Maaten mit Faustschlägen und Tritten oder dem Gebrauch des Tauendes unterdrückt wurden. Aber Dumaresq verzichtete auf Auspeitschungen, und Bolitho fragte sich nach dem Grund: War er nur darauf aus, möglichst Frieden zu wahren, oder geschah es der Passagiere wegen?

Auch Bulkley zeigte sich besorgt: Drei Mann waren mit Skorbut zusammengebrochen. Trotz seiner Vorsorge und der täglichen Ausgabe von Fruchtsaft hatte er es nicht verhindern können.

Einmal, als sich Bolitho im Schatten des großen Besansegels aufhielt, hatte er Dumaresqs Stimme durch das Skylight der Kajüte gehört. Er wies Bulkleys dringende Bitte zurück und beschuldigte ihn, keine besseren Vorsichtsmaßnahmen für seine kranken Matrosen getroffen zu haben.

Bulkley hatte offensichtlich die Seekarte studiert, denn er protestierte:»Warum laufen wir nicht Barbados an, Sir? Wir könnten draußen vor Bridgetown ankern und dafür sorgen, daß uns Trinkwasser gebracht wird. Was wir jetzt noch haben, ist voll ekligem Getier, und wenn Sie darauf bestehen, so weiterzusegeln, kann ich die Verantwortung für die Gesundheit der Männer nicht länger tragen.»

«Verflucht noch mal, Sir! Ich werde Ihnen sagen, wer hier Verantwortung trägt: ich! Und ich werde nicht nach Barbados segeln und vor aller Welt ausposaunen, was wir vorhaben. Halten Sie sich an Ihre Aufgabe, ich halte mich an meine!»

Damit war die Unterredung beendet.

Siebzehn Tage, nachdem sie sich von der Rosario getrennt hatten, fand der Wind sie wieder. Unter vollen Segeln — sogar die Leesegel wurden ausgebracht — kam die Destiny wieder so in Fahrt, wie es sich für das Vollschiff, das sie war, gehörte.

Aber vielleicht war es schon zu spät, um eine Explosion an Bord zu verhindern. Slade, der Steuermannsmaat, der immer noch spürte, daß Palliser ihn verachtete, und wußte, daß der Erste Offizier ihm bei jeder Aussicht auf Beförderung im Wege stehen, wenn nicht gar sie zunichte machen würde, beschimpfte Midshipman Merrett, weil er die Mittagsposition des Schiffes falsch berechnet hatte. Merrett hatte seine anfängliche Ängstlichkeit überwunden, aber er war erst zwölf Jahre alt; vor allen Leuten, die beiden Rudergänger eingeschlossen, derart heruntergeputzt zu werden, war zu viel für ihn. Er brach in Tränen aus.

Rhodes war wachhabender Offizier und hätte eingreifen können. Statt dessen blieb er auf der Luvseite des Achterdecks, den Hut gegen die Sonne schief auf dem Kopf und taub gegen Merretts Ausbruch. Bolitho beaufsichtigte unten am Großmast seine Toppsgasten, die einen neuen Block an der Obermarsrah einschoren. Er hörte das meiste mit an.

Stockdale neben ihm murmelte:»Es ist wie in einem überfüllten Wagen, Sir. Irgendwas muß passieren.»

Merrett ließ den Hut fallen und wischte sich die Augen mit dem Handrücken. Ein Matrose hob den Hut auf und gab ihn zurück, wobei er Slade einen wütenden Blick zuwarf.

Slade schrie ihn an:»Wie können Sie es wagen, sich in eine Angelegenheit zwischen Vorgesetzten einzumischen?»

Der Matrose, ein Mann der Wache auf dem Achterdeck, erwiderte heftig:»Ve rdammt, Mr. Slade, er tut sein Bestes. Es ist schon schlimm genug für die Älteren von uns, erst recht für ihn.»

Slade lief dunkelrot an und brüllte:»Wachtmeister! Nehmen Sie den Mann fest!«Er wandte sich an das gesamte Achterdeck:»Ich will ihn auf der Strafgräting sehen!»

Poynter und der Schiffskorporal ergriffen den beschuldigten Matrosen. Dieser zeigte keine Spur von Angst.»Wie bei Murray, wie? Ein guter und loyaler Kamerad, den wolltet ihr ebenfalls auspeitschen!»

Bolitho hörte ein Gemurmel der Zustimmung.

Rhodes raffte sich endlich aus seiner Teilnahmslosigkeit auf und rief:»Ruhe da! Was ist denn los?»

Slade sagte:»Dieser Mann forderte mich heraus und beschimpfte mich. «Gefährlich ruhig schaute er den Matrosen an, als wolle er ihn totschlagen.

Rhodes sagte unsicher:»In dem Fall.»

«In dem Fall, Mr. Rhodes, lassen Sie den Mann in Eisen legen. Ich dulde keine Unbotmäßigkeiten auf meinem Schiff.»

Dumaresq war wie durch Zauberei erschienen.

Slade schluckte und sagte:»Dieser Mann hat sich eingemischt, Sir.»

«Ich habe Sie gehört!«Dumaresq verschränkte die Hände auf dem Rücken.»Wie das ganze Schiff, möchte ich annehmen. «Er warf einen Blick auf Merret und fuhr ihn an:»Hör auf zu flennen, Junge!»

Der Midshipman hörte wie eine angehaltene Uhr auf und sah sich entgeistert um.

Dumaresq faßte den Matrosen ins Auge und sagte:»Das war eine kostspielige Geste, Adams. Ein Dutzend gibt's dafür!»

Bolitho wußte, daß Dumaresq nicht anders handeln konnte, um die Autorität seiner Unterführer zu stützen; aber ob zu Recht oder zu Unrecht: zwölf Schläge waren die Mindeststrafe. Ein kleines Kopfweh, würden die älteren Seeleute dazu sagen.

Aber eine Stunde später, als die Peitsche sich hob und mit schrecklicher Gewalt auf den nackten Rücken des Matrosen niederklatschte, erkannte Bolitho, wie schwach ihre Position gegenüber der Schiffsbesatzung war.

Die Gräting war weggestaut, der Mann namens Adams stöhnend vor Schmerzen nach unten getragen, wo er mit einem Guß Salzwasser und einer großen Portion Rum wieder auf die Beine gebracht wurde. Die Blutflecken an Deck waren weggewaschen, und allem Anschein nach lief alles wieder wie zuvor.

Bolitho hatte Rhodes als Wachhabenden abgelöst und hörte Duma-resq zum Steuermannsmaaten sagen:»Der Disziplin ist Genüge getan, in unser aller Interesse. «Er sah Slade mit durchdringendem Blick an.»Zu Ihrem eigenen Besten rate ich Ihnen aber, mir möglichst aus dem Weg zu gehen.»

Bolitho wandte sich ab, damit Slade nicht sehen konnte, daß er die Szene beobachtet hatte. Aber er hatte Slades Gesicht bemerkt. Sein Ausdruck war der eines Mannes, der eine Begnadigung erwartet hatte und nun feststellte, daß seine Arme vom Henker gebunden wurden.

Die ganze Nacht dachte Bolitho an Aurora. Es war unmöglich, sich ihr zu nähern. Dumaresq hatte ihr den hinteren Teil der Kajüte überlassen, während Egmont sich mit einer Notkoje im vorderen Teil, dem Eßraum, begnügen mußte. Dumaresq selber schlief im Kartenraum nebenan. Und dann gab es noch den Steward und den Posten Kajüte, die jedem ungebetenen Besucher den Eintritt verwehren konnten.

Als Bolitho nackt und trotzdem schweißtriefend in der stickigen Luft auf seiner Koje lag, malte er sich aus, wie er Auroras Kajüte betreten und sie in seine Arme schließen würde. Er stöhnte vor Qual und versuchte, seinen Durst zu vergessen, obwohl sein Mund völlig ausgedörrt war. Das Trinkwasser war faulig und knapp. Aber statt dessen Wein zu trinken hieß, eine Katastrophe heraufbeschwören.