Dumaresq stand auf.»Ich muß zurück an Bord. «Er sah Bolitho nicht an.»Ich würde es dankbar begrüßen, wenn Sie meinen Dritten Offizier, der verwundet wurde — und zwar, wie es jetzt scheint, völlig umsonst — bei sich aufnehmen würden.»
Fitzpatrick erhob mühsam seine Fleischmassen.»Darüber würde ich mich glücklich schätzen. «Er versuchte, seine Erleichterung zu verbergen. Also wollte Dumaresq offenbar den leichteren Weg einschlagen.
Der Kommandant brachte Bolithos unausgesprochenen Protest zum Schweigen.»Ich schicke ein paar Leute zu Ihrer Bedienung. «Er nickte dem Stellvertretenden Gouverneur zu.»Ich komme zurück, wenn ich mit dem Kommandanten der San Augustin gesprochen habe.»
Im Dunkeln, außerhalb des Gebäudes, gab Dumaresq seinen wahren Gefühlen Ausdruck:»Dieser verdammte Hund steckt selber bis zum Hals mit drin! Und denkt, ich bleibe hier wie ein braver Junge vor Anker liegen. Gott strafe sein pockennarbiges Gesicht, bevor er in die
Hölle fährt!»
«Muß ich wirklich bleiben, Sir?»
«Einstweilen. Ich werde ein paar kräftige Leute abstellen, scheinbar als Ihre Burschen. Ich traue diesem Fitzpatrick nicht. Er ist ortsansässiger Grundbesitzer und wahrscheinlich gut Freund mit allen Schmugglern und Sklavenhändlern der Karibik. Wollte mir den Unschuldsengel vorspielen! Bei Gott, er weiß bestimmt, wie viele neue Schiffe hier versammelt sind, um Garricks Befehle zu erwarten.»
Bolitho fragte:»Ist Garrick denn immer noch ein Pirat, Sir?»
Dumaresq grinste in der Dunkelheit.»Schlimmeres. Ich glaube, daß er bei den Waffenlieferungen in die amerikanischen Kolonien mitmischt — Waffen, die dort gegen uns eingesetzt werden.»
«Von den Rebellen, Sir?»
«Ja, und noch von anderen, wenn es nach diesem verdammten Renegaten ginge. Glauben Sie, daß die Franzosen ruhen werden? Wir haben sie immerhin aus Kanada und aus ihren karibischen Besitzungen hinausgeworfen. Glauben Sie, daß sie die Worte >vergeben und vergessen< an die Spitze ihrer politischen Vorhaben setzen?»
Bolitho hatte oft von Unruhen in den amerikanischen Kolonien nach dem Siebenjährigen Krieg gehört. Es hatte mehrere ernste Zwischenfälle gegeben, aber die Möglichkeit eines offenen Aufstands war selbst von der einflußreichsten Zeitung als Übertreibung beurteilt worden.
«In all diesen Jahren hat Garrick ungestört gewirkt und Pläne geschmiedet und dabei die gestohlene Beute zu seinem Vorteil verwendet. Er sieht sich selber als Führer in einem kommenden Aufstand, und diejenigen, die jetzt an der Spitze sind und das nicht wahrhaben wollen, belügen sich nur selber. Ich habe viel Zeit gehabt, über Garrick und das grausame Unrecht nachzudenken, das ihn reich und mächtig machte — und meinen Vater zu einem verarmten Krüppel.»
Bolitho beobachtete, wie die Gig, von der zunächst nur die weißen Ruderblätter zu sehen waren, in der Dunkelheit näher kam. Dumaresq hatte sich also entschieden. Das hätte er sich denken können nach allem, was er von dem Mann gesehen und erlebt hatte.
Dumaresq sagte plötzlich:»Auch Egmont und seine Frau werden in Kürze ausgeschifft werden. Sie stehen offiziell unter Fitzpatricks Schutz, aber stellen Sie zu Ihrer eigenen Beruhigung einen Posten auf. Ich möchte Fitzpatrick begreiflich machen, daß er in die Angelegenheit direkt verwickelt ist, wenn es zu irgendeiner Verräterei kommen sollte.»
«Sie glauben, daß Egmont noch in Gefahr ist, Sir?»
Dumaresq machte eine Handbewegung zu der kleinen Residenz.»Hier ist er an sicherem Ort. Ich möchte aber nicht, daß er wieder davonrennt. Es gibt zu viele Leute, die ihn lieber tot wüßten. Sobald ich mit Garrick abgerechnet habe, kann er tun und lassen, was ihm gefällt. Je eher, desto besser.»
«Ich verstehe, Sir.»
Duaresq gab seinem Bootssteurer ein Zeichen und kicherte dann.»Das bezweifle ich. Aber halten Sie Augen und Ohren offen. Ich nehme an, daß die Dinge sehr bald in Fluß kommen werden.»
Bolitho sah zu, wie Dumaresq in die Gig kletterte, und lenkte seine Schritte dann zurück zur Residenz.
Machte sich Dumaresq überhaupt Sorgen, was aus Egmont und seiner Frau wurde? Oder benutzte er sie nur als Lockvögel für seine
Falle?
Abseits der Residenz gab es zwei oder drei kleine Bungalows, die normalerweise höheren Beamten oder Offizieren, die zur Inspektion herkamen, zur Verfügung standen.
Bolitho nahm an, daß solche Besucher selten waren; wenn sie kamen, brachten sie sicher alles zu ihrer Bequemlichkeit Erforderliche selbst mit. Das Haus, das ihm zugewiesen worden war, bestand praktisch nur aus einem Raum. Die Moskitofenster waren voller Löcher, die eine nie ermüdende Armee von Insekten gebohrt hatte. Palmenwedel streiften Dach und Wände, und er vermutete, daß bei einem heftigen Gewitter das Wasser wie durch ein Sieb eindringen würde.
Er hatte sich vorsichtig auf das große, handgeschnitzte Bett gesetzt und putzte eine Lampe. Insekten schwirrten herbei und flogen gegen das heiße Glas. Ihm taten die weniger begünstigten Menschen auf der Insel leid, wenn selbst der Gouverneur vom Fieber gepackt werden konnte.
Vor der nur lose schließenden Tür knarrten die Bodenbretter, und Stockdale schaute herein. Er war mit sechs weiteren Männern an Land gekommen, um ein» wachsames Auge auf Wind und Wetter «zu haben, wie er es ausdrückte.
Mit seiner keuchenden Stimme meldete er:»Alles eingeteilt, Sir. Wir gehen abwechselnd Wache. Josh Little übernimmt die erste. «Er lehnte sich gegen den Türrahmen, und Bolitho hörte, wie das Holz protestierend knarrte.»Ich habe zwei Leute an dem anderen Haus postiert. Es ist ganz ruhig dort.»
Bolitho dachte daran, wie Aurora ihn angesehen hatte, als sie und ihr Mann von Bedienten des Gouverneurs eilig in den Nachbarbungalow geleitet wurden. Sie schien beunruhigt, verängstigt durch den plötzlichen Wechsel der Ereignisse. Es hatte geheißen, Egmont besäße Freunde in Basseterre, aber man hatte ihm nicht erlaubt, sich zu ihnen zu begeben; statt dessen war er immer noch ihr Gast. Oder besser: ihr Gefangener.
Bolitho sagte:»Gehen Sie schlafen. «Er berührte seine Narbe und zog eine Grimasse.»Mir ist, als wäre das erst heute geschehen.»
Stockdale grinste.»Saubere Arbeit, Sir. Ein Glück, daß wir den alten Knochensäger hatten.»
Er trollte sich nach draußen, und Bolitho hörte ihn leise vor sich hin pfeifen, als er einen Platz fand, an dem er sich ausstrecken konnte. Seeleute vermochten überall zu schlafen.
Bolitho legte sich zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und starrte in die Schatten jenseits der nur schwach brennenden Flamme.
Es war alles vergebens gewesen. Garrick hatte die Insel bestimmt schon verlassen. Er mußte besser unterrichtet gewesen sein, als Duma-resq vermutete. Nun konnte er sich ins Fäustchen lachen, wenn er an die britische Fregatte und ihre spanische Begleiterin dachte, die da unschlüssig vor Anker lagen, während er.
Bolitho fuhr mit einem Ruck hoch und griff nach seiner Pistole, als die Planken vor der Tür wieder knarrten. Er beobachtete, wie sich der Türgriff senkte, und fühlte sein Herz gegen die Rippen schlagen, als er die Entfernung schätzte und überlegte, ob er schnell genug auf die Füße kommen konnte, um sich zu verteidigen.
Die Tür öffnete sich einige Zentimeter, und er sah ihre schmale Hand am Rand.
In Sekunden war er aus dem Bett. Als er die Tür ganz aufzog, hörte er sie flüstern:»Bitte, mach das Licht aus!»
Einen verwirrenden Augenblick lang hielten sie einander hinter der wieder geschlossenen Tür umschlungen. Außer Auroras heftigen Atemzügen gab es keinen Laut. Bolitho wagte nichts zu sagen, aus Angst, damit den unglaublichen Traum zu vertreiben.
Sie flüsterte:»Ich mußte kommen. Es war schon schlimm genug auf dem Schiff. Aber zu wissen, daß du hier bist, während…«Mit leuchtenden Augen schaute sie zu ihm auf.»Verachte mich nicht, weil ich schwach geworden bin.»