Bolitho beobachtete, wie seine Leute das Broßbramsegel setzten und einander derbe Scherzworte zuriefen, als wären auch sie von Dumaresqs Erregung angesteckt. Aussicht auf Tod, Prisengeld, ein neues Land — alles war für sie Anlaß zur Fröhlichkeit.
Palliser rief vom Achterdeck:»Bringen Sie die Leute auf Trab, Mr. Bolitho, die haben heute ja Blei in den Knoche n.»
Bolitho wandte sich nach achtern und hatte schon eine ärgerliche Antwort auf der Zunge. Aber dann zuckte er die Schultern. Palliser wollte ihm auf die einzige Art helfen, die er beherrschte.
Nachdem sie die gefährlichen Untiefen von Bluff Point umfahren hatten, setzte die Destiny weitere Segel und nahm Kurs nach Westen. Später, als Bolitho die Nachmittagswache übernahm, studierte er die Karte und Gullivers sorgfältig eingetragene Berechnungen.
Fougeaux Island war sehr klein und gehörte zu einer weitverstreuten
Inselgruppe, gut 150 Meilen westnordwestlich von St. Christopher. Es war nacheinander von Frankreich, Spanien und England beansprucht worden, selbst die Holländer hatten sich eine Zeitlang dafür interessiert.
Jetzt war es keinem Land Untertan, denn allem Anschein nach gab es da nichts zu holen. Es fehlte an Bäumen für Bau- und Brennholz, und es mangelte laut Seehandbuch sogar an Trinkwasser. Ein kahles, feindliches Stück Land mit einer sichelförmigen Lagune als einzigem Vorzug. Sie konnte Schutz bei Sturm bieten, aber kaum mehr. Doch, wie Dumaresq bemerkt hatte, was verlangte Garrick auch sonst?
Bolitho beobachtete den Kommandanten, der so ruhelos an Deck auf und ab ging, als hielte er es in seinen Räumen nicht mehr aus, seit das Ziel so nahe lag. Gegenwind erschwerte ihr Vorwärtskommen und zwang das Schiff zu langen Kreuzschlägen, bei denen sie der Insel nur wenig näher kamen.
Aber die Aussicht, zumindest einen Teil des verlorenen Goldes zu finden, ließ sie die knochenbrechende Arbeit bei den dauernden Wendemanövern, das Durchholen der Brassen und das immer wieder neue Trimmen der Segel vergessen.
Wenn die Insel nun leer war oder gar nicht die richtige? Bolitho glaubte es nicht. Aurora mußte gewußt haben, daß nur Garricks Gefangennahme sie und ihren Mann vor seiner Rache schützen konnte. Und auch, daß Dumaresq sie ohne diese Information nie freigelassen hätte.
Am nächsten Tag dümpelte die Destiny mit schlappen Segeln bewegungslos in einer Flaute.
Weit weg an Steuerbord sah man den vagen Umriß einer Insel, aber sonst hatten sie den Ozean allein für sich. Es war so heiß, daß die Füße an den Decksnähten klebenblieben und die Kanonenrohre sich anfühlten, als hätten sie eine Schlacht hinter sich.
Gulliver sagte:»Bei einem nördlicheren Kurs hätten wir mehr Glück mit dem Wind gehabt, Sir.»
«Das weiß ich selbst, verdammt noch mal. «Dumaresq wandte sich ihm erbost zu.»Aber wir wären vielleicht auf ein Korallenriff gelaufen. Wollten Sie das riskieren? Wir sind eine Fregatte und kein flaches Fischerboot.»
Den ganzen Tag über und auch noch den halben nächsten rollte das
Schiff unbehaglich in der schwachen Dünung. Ein Haifisch glitt vorsichtig um ihr Heck, und einige Matrosen versuchten ihr Glück mit einem großen Angelhaken.
Dumaresq schien das Deck überhaupt nicht mehr verlassen zu wollen. Als er an Bolitho während dessen Wache vorbeiging, sah er, daß sein Hemd schweißgetränkt war; auf seiner Stirn hatte sich eine Blase gebildet, die er aber nicht zu bemerken schien.
Als die Nachmittagswache zur Hälfte um war, tastete der Wind sich wieder über die glitzernde Wasserfläche an sie heran, aber mit ihm kam eine Überraschung.
«Schiff, Sir! An Backbord achteraus!»
Dumaresq und Palliser beobachteten, wie die bräunliche Segelpyramide über den Horizont stieg. Das große rote Kreuz auf der Breit-fock hob sich deutlich ab und beseitigte alle Zweifel.
Palliser rief erbittert:»Der Don, Gott strafe ihn!»
Dumaresq ließ mit versteinertem Blick das Glas sinken.»Fitzpa-trick! Er muß es ihnen verraten haben. Sie sind auf Blut aus. «Er sah seinen Ersten Offizier an.»Wenn Don Carlos Quintana sich jetzt einmischt, wird es aber sein eigenes Blut kosten!»
«An die Brassen und Schoten!»
Die Destiny erbebte und legte sich kräftig vor die auffrischende Brise. Mit neuerwachter Kraft warf sie Wolken von Gischt an ihrer weißen Galionsfigur hoch.
Dumaresq sagte:»Lassen Sie die Leute an den Geschützen exerzieren, Mr. Palliser. «Er starrte achteraus auf das andere Schiff. Es schien schon viel näher gekommen zu sein.
«Und setzen Sie bitte unsere Flagge. Ich will nicht, daß uns der verdammte Spanier in die Quere kommt.»
Rhodes dämpfte seine Stimme.»Und das meint er ernst, Richard. Dies ist sein großer Augenblick. Er wird lieber sterben, als ihn zu teilen.»
Einige Leute auf dem Achterdeck sahen einander an und machten ängstliche Bemerkungen. Die eingefleischte Verachtung, mit der sie jede andere Marine außer der eigenen beurteilten, war nach dem langen Aufenthalt in Basseterre etwas erschüttert. Die San Augustin besaß mindestens vierundvierzig Kanonen, die Destiny dagegen nur achtundzwanzig.
Dumaresq schimpfte:»Bringen Sie diese Tölpel auf Trab, Mr. Palli-ser! Unser Schiff entwickelt sich langsam zu einem Saustall!»
Einer von Bolithos Geschützführern flüsterte:»Ich dachte, wir wären nur hinter einem Piraten her?»
Stockdale zeigte grinsend die Zähne.»Feind ist Feind, Tom. Seit wann macht die Flagge einen Unterschied?»
Bolitho biß sich auf die Lippen. Was jetzt kam, war ein Musterbeispiel für die schwere Verantwortung eines Kommandanten. Wenn Dumaresq nichts unternahm, konnte er wegen Unfähigkeit oder Feigheit vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Wenn er mit dem Spanier ins Gefecht kam, konnte man ihn beschuldigen, einen Krieg provoziert zu haben.
Er sagte:»Macht euch bereit, Leute. Löst die Zurrings. «Stockdale hatte recht: Ihre einzige Sorge sollte es sein, zu gewinnen.
Bevor die Sonne am nächsten Morgen über den Horizont gestiegen war, wurden die Leute zum Frühstück und dann zum Deckwaschen geschickt.
Der Wind war leicht, aber stetig und hatte über Nacht auf Südwest gedreht.
Dumaresq war ebenso früh an Deck wie alle. Bolitho bemerkte die Ungeduld, mit der er immer wieder über das Achterdeck wanderte, einen Blick auf den Kompaß oder die Schiefertafel mit den Eintragungen des Steuermanns warf. Wahrscheinlich nahm er nichts davon wahr; aus der Art, wie Palliser und Gulliver ihm freie Bahn ließen, entnahm Bolitho, daß sie ihre Erfahrungen mit dieser Stimmung ihres Kommandanten hatten.
Zusammen mit Rhodes beobachtete Bolitho, wie der Oberbootsmann seine Arbeitsgruppen einteilte. Die Tatsache, daß ein weit überlegenes Kriegsschiff ihnen achteraus folgte und daß eine wenig bekannte Insel vor ihnen lag, änderte nichts an Mr. Timbrells Routine.
Pallisers rauhe Stimme schreckte Bolitho auf.»Lassen Sie die Rahen durch Ketten sichern, Mr. Timbrell!»
Einige Matrosen schauten zu den Rahen auf. Palliser gab keine weiteren Erklärungen, was für die dienstälteren Leute auch nicht erforderlich war. Die Ketten würden jede Rahe fester mit dem Mast verbinden als das Tauwerk, das sie normalerweise hielt, in einem Gefecht aber leicht zerschossen werden konnte. Außerdem mußten Netze über das
Oberdeck gespannt werden. Ketten und Netze waren der einzige Schutz vor herunterfallenden Spieren und Takelageteilen.
Vielleicht trafen sie auf dem Spanier jetzt genau die gleichen Vorbereitungen, obwohl nichts darauf hinzudeuten schien. Bisher hatte es lediglich den Anschein, als sei die San Augustin, seit sie zu ihnen aufgeschlossen hatte, gewillt, ihnen zu folgen und die Entwicklung zu beobachten.
Rhodes drehte sich abrupt um und eilte auf den ihm zugewiesenen Platz, wobei er leise hervorstieß:»Der >Herr und Meister<!»
Als Bolitho sich umwandte, stand er seinem Kommandanten gegenüber. Es war ungewöhnlich, ihm so weit weg von Achterdeck und Hütte zu begegnen, und die Seeleute, die in der Nähe arbeiteten, schienen sich vorsichtig zurückzuziehen, als wären sie durch Duma-resqs Gegenwart eingeschüchtert.