Überrascht schaute er auf den Säbel, den er immer noch in der Hand hielt.
Vielleicht hatte da Rhodes Jurys Frage für ihn beantwortet?
Epilog
Bolitho drückte seinen Hut fester und blickte zu dem großen grauen Haus empor. Von See blies ein kräftiger Wind, und der Regen, der ihm ins Gesicht klatschte, fühlte sich an wie Eisnadeln. So viele Monate, so langes Warten, und nun war er wieder zu Hause. Die Fahrt nach Falmouth, nachdem die Destiny in Plymouth geankert hatte, war lang und beschwerlich gewesen. Die Straßen waren ausgefahren, und der hochspritzende Matsch hatte die Fenster der Kutsche so verdreckt, daß es Bolitho schwergefallen war, einzelne Orte, die ihm seit seiner Kindheit vertraut waren, wiederzuerkennen.
Und nun, am Ziel, schien ihm alles unwirklich und — aus Gründen, die er selbst nicht erklären konnte — für ihn verloren.
Nur das Haus war unverändert und sah aus wie vor einem Jahr.
Stockdale, der ihn von Plymouth begleitet hatte, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
«Sind Sie sicher, daß es richtig war, mich mitzunehmen, Sir?»
Bolitho sah ihn an. Es war Dumaresqs letzte Geste gewesen, bevor er die Destiny der Schiffswerft zur gründlichen Überholung übergeben hatte und von Bord gegangen war:»Nehmen Sie Stockdale mit. Sie werden bald ein neues Kommando bekommen. Behalten Sie ihn bei sich, er ist ein brauchbarer Kerl.»
Bolitho antwortete ruhig:»Sie sind hier willkommen und werden es bald merken.»
Er schritt die ausgetretenen Stufen hinauf und sah, wie die zweiflüg-lige Tür sich nach innen öffnete. Es überraschte ihn nicht, denn er hatte schon gespürte, daß das ganze Haus ihn während der letzten Augenblicke schweigend beobachtet hatte.
Aber es war nicht die alte Mrs. Tremayne, ihre langjährige Haushälterin, die ihn begrüßte, sondern ein junges Hausmädchen, das er nicht kannte.
Sie knickste und errötete dabei:»Willkommen, Sir. «Fast im gleichen Atemzug setzte sie hinzu:»Käpt'n James erwartet Sie, Sir.»
Bolitho trat den Schmutz von seinen Schuhen und übergab dem Mädchen Hut und Bootsmantel.
Er schritt durch die getäfelte Eingangshalle in den großen Raum, den er so gut kannte. Da war das Kaminfeuer, munter prasselnd, als wolle es den Winter bezwingen; auf dem Sims schimmerte Zinngeschirr, und über allem hing ein Geruch, der — vermischt mit leichten Küchendüften — Geborgenheit ausstrahlte.
Kapitän James Bolitho löste sich vom Kamin und legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter.»Mein Gott, Richard, ich habe dich zuletzt als mageres Bürschchen in Kadettenuniform gesehen, und nun bist du als Mann zurückgekehrt.»
Bolitho war bestürzt über das schlechte Aussehen seines Vaters. Er war zwar darauf vorbereitet, daß ihm ein Arm fehlte, aber sein Vater hatte sich unglaublich verändert. Sein Haar war grau, die Augen lagen tief in den Höhlen. Wegen seines hochgesteckten leeren Ärmels hielt er sich eigenartig. Bolitho hatte diese Haltung auch bei anderen verkrüppelten Seeleuten gesehen. Vielleicht fürchteten sie, daß jemand gegen die Stelle stoßen könnte, wo einmal der Arm gewesen war.
«Setz dich, mein Junge. «Er betrachtete Bolitho so genau, als befürchte er, etwas zu übersehen.»Das ist aber eine schreckliche Narbe da auf deiner Stirn. Du mußt mir davon erzählen. «Aber es lag keine Bewegung in seiner Stimme.»Wer ist der Riese, mit dem ich dich kommen sah?»
Bolitho packte die Armlehnen seines Stuhls.»Ein Mann namens Stockdale. «Er wurde sich plötzlich der Stille im Haus bewußt und fragte:»Vater, ist etwas nicht in Ordnung?»
Sein Vater ging zu einem Fenster und starrte blicklos durch das regennasse Glas.
«Ich habe es dir selbstverständlich geschrieben. Die Briefe werden dich eines Tages erreichen. «Er wandte sich heftig um.»Deine Mutter ist vor einem Monat gestorben, Richard.»
Bolitho sah ihn entsetzt an, unfähig, sich zu bewegen, es zu begreifen.»Gestorben?»
«Sie war nur kurze Zeit krank. Ein heftiges Fieber. Wir taten alles, was wir konnten.»
Bolitho sagte leise:»Ich glaube, ich habe es geahnt. Gerade eben, vor dem Haus. Sie hat ihm immer das Licht gegeben.»
Tot. Er hatte sich überlegt, was er ihr sagen wollte, wie er ihre Sorgen wegen seiner Verwundung zerstreuen konnte.
Wie aus weiter Ferne sagte sein Vater:»Dein Schiff wurde uns schon vor einigen Tagen gemeldet.»
«Ja. Aber dann kam Nebel auf. Wir mußten draußen ankern.»
Er sah plötzlich die Gesichter der Destiny vor sich, die er verlassen hatte. Wie sehr er sie in diesem Augenblick gebraucht hätte: Duma-resq, der zur Admiralität gefahren war, um den Verlust des Schatzes zu erklären oder dafür beglückwünscht zu werden, daß er ihn dem Feind entzogen hatte. Palliser, der das Kommando über eine in Spithead liegende Brigg bekommen hatte. Der junge Jury, dessen Stimme übergekippt war, als sie einander zum letztenmal die Hände geschüttelt hatten.
«Ich habe von euren Unternehmungen gehört. Dumaresq scheint sich einen Namen gemacht zu haben. Ich hoffe wenigstens, daß die Admiralität es so sieht. Dein Bruder ist auf See.»
Bolitho versuchte, seine Gefühle zu beherrschen. Worte, nur Worte. Er wußte, daß sein Vater so war:»Haltung. «Es war immer eine Frage der» Haltung «für ihn, zuerst und vor allem.
«Ist Nancy zu Hause?»
Sein Vater sah ihn kühl an.»Auch das kannst du nicht wissen: Deine Schwester hat den jungen Lewis Roxby, den Sohn des Squires, geheiratet. Deine Mutter sagte, das sei die beste Lösung nach der anderen Geschichte. «Er seufzte:»So ist das also.»
Bolitho lehnte sich im Stuhl zurück und preßte die Schultern gegen das geschnitzte Eichenholz, um seinen Schmerz zu bändigen.
Sein Vater hatte die See verloren, und jetzt war er auch noch allein in diesem großen Haus mit der Aussicht auf die Hänge von Pendennis Castle und auf das Kommen und Gehen auf der Reede von Car-rick. Alles eine ständige Erinnerung an das, was er verloren hatte, was ihm genommen worden war.
Er sagte vorsichtig:»Die Destiny ist außer Dienst gestellt, Vater. Ich kann bleiben.»
Es war, als hätte er einen furchtbaren Fluch ausgestoßen. Captain James marschierte vom Fenster auf ihn zu und blickte auf ihn herab.
«Das will ich nicht hören! Du bist mein Sohn und ein Offizier des Königs. Seit Generationen sind wir von diesem Hause ausgezogen, und einige sind niemals zurückgekommen. Es liegt Krieg in der Luft, da werden alle unsere Söhne gebraucht. «Er machte eine Pause und setzte dann sanft hinzu:»Vor zwei Tagen kam ein Bote: Ein neues Kommando wartet auf dich.»
Bolitho stand auf und ging durch den Raum, berührte dabei vertraute Dinge, ohne es zu spüren.
Sein Vater fuhr fort:»Auf der Trojan, einem Linienschiff mit achtzig Kanonen. Wenn sie das Schiff in Dienst stellen, muß Krieg vor der Tür stehen.»
«Sicherlich.»
Keine schlanke Fregatte, sondern ein dickes Linienschiff. Eine neue Welt, die zu erkunden und zu meistern war. Vielleicht war es ganz gut so. Etwas, das ihn ausfüllte, ihn in Bewegung hielt, bis er alles verarbeitet hatte, was geschehen war.
«Nun sollten wir ein Glas zusammen trinken, Richard. Klingle nach dem Mädchen. Du mußt mir alles berichten. Vom Schiff, von den Menschen, alles. Das ist das einzige, was ich noch habe: Erinnerungen.»
Bolitho sagte:»Gut, Vater. Es ist ein Jahr her, daß ich nach Plymouth auf die Destiny unter Kapitän Dumaresq kam…»
Als das Hausmädchen mit Gläsern und Wein aus dem Keller kam, sah sie den grauköpfigen Captain James seinem jüngsten Sohn gegenübersitzen. Sie sprachen über Schiffe und ferne Länder und ließen sich weder Kummer noch Verzweiflung anmerken.
Aber sie wußte es nicht besser. Es war eben alles nur eine Frage der Haltung.
Ende