Der Anführer der Sklavenjäger schüttelte seinen Kopf und ließ seinen Blick über Wagen und Zelte schweifen.
»Nicht ganz. Daß wir Jackson Harris nicht in diesem Wagen gefunden haben, bedeutet nicht, daß er nicht irgendwo hier im Lager versteckt ist.«
»Also wollen Sie doch das gesamte Lager durchsuchen«, stellte Zachary grimmig fest und warf Marshal Webb einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Vielleicht wird das nicht nötig sein«, meinte Stanton mit sich plötzlich aufhellender Miene.
Mit leuchtenden Augen blickte er einem kleinen, von zwei Pferden gezogenen Wagen entgegen, der langsam durch das Lager rumpelte. Vor dem Wagenkasten, einem hölzernen, geschlossenen Aufbau, hockte ein dürrer Mann, dessen längliches Gesicht von einem Ziegenbart beherrscht wurde.
»Da kommt ja unser Mr. Blesser endlich«, sagte Stanton und winkte dem Fahrer zu, sein Gefährt zu ihm zu lenken.
»Was soll das nun wieder bedeuten?« fragte Abner Zachary scharf mit Blick auf Webb.
»Mr. Blesser besitzt die besten Bluthunde der Stadt«, erklärte der Marshal.
Jacob fiel auf, daß bei der Erwähnung der Hunde ein Zucken durch Aretha Kelleys schmales, hübsches Gesicht lief.
Auch ihr Mann bemerkte die Erregung seiner Frau und nahm sie fest in die Arme. So standen sie da und starrten dem Wagen des spindeldürren Mr. Blesser mit bangem Blick entgegen.
»Wenn Mr. Blessers Hunde so gut sind, wie man sagt, werden wir bald wissen, ob sich Jackson Harris hier im Lager aufhält«, verkündete Stanton. »Blesser wollte uns sein bestes Tier bringen.«
Blesser hielt den Wagen an, sprang ab und öffnete die Verriegelung der Tür hinten am Kastenaufbau. Er holte einen wenig sympathisch aussehenden Hund an einer Leine heraus, den er Bud nannte. Das Tier wirkte häßlich und brutal mit seiner breiten Schnauze, der klobigen Nase, eng zusammenstehenden Augen und großen Ohren, die, wenn sie hochgestellt waren, fast wie die Hörner auf Satans Schädel wirkten.
Stanton holte etwas aus einer Satteltasche seines Rotfuchses, ein großes Stück Stoff.
»Das ist ein Hemd, das der Nigger kurz vor seiner Flucht getragen hat«, erklärte er und reichte es dem dünnen Mann. »Hoffentlich kann Ihr Bud etwas damit anfangen, Mr. Blesser.«
»Das werden wir gleich sehen«, sagte Blesser, nahm das zerknitterte Baumwollhemd, hielt es dem Hund unter die Nase und sagte dann zu ihm: »Such, Bud, such!«
Der Hund fletschte die großen Zähne, stieß ein gefährlich klingendes Knurren aus und lief los, ehe Blesser noch das Hemd an Stanton zurückgeben konnte. Der Weg den Hund und Herr zurücklegten, war nicht lang, nur wenige Yards. Er endete vor dem großen Prärieschoner der Kelleys. Wie toll sprang Bud, laut bellend, an ihm hoch, als versuchte er, ins Innere zu gelangen.
»Also doch!« stieß Stanton hervor und zog seinen Navy Colt aus dem Holster.
Auch seine beiden Gefährten zogen ihre Waffen. Brad Folsom stellte sich mit dem Rücken zum Wagen, beide Revolver auf die Auswanderer richtend, um sie davon abzuhalten, ihnen in die Quere zu kommen. Das Funkeln in seinen Augen verriet, daß er jetzt in seinem Element war und nur auf eine Gelegenheit zum Abdrücken wartete.
Als ein paar der Auswanderer ihre Waffen ziehen wollten, brachte sie ihr Captain mit ein paar beruhigenden Worten davon ab und wandte sich dann an Webb. »Besteht ein Grund, weshalb uns diese Männer mit ihren Waffen bedrohen, Marshal?«
»Nein!« sagte Webb hart und sah dabei die Sklavenjäger streng an. Als diese keine Anstalten trafen, ihre Waffen wieder einzustecken, fügte der Marshal hinzu: »Ich sorge hier für die ordnungsgemäße Durchführung der Suchaktion, Mr. Stanton. Also stecken sie endlich Ihre Schießeisen weg!«
Die harten und dennoch in einem ruhigen Tonfall gesprochenen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Erst stießen Stanton und Hatch Mc Pherson ihre Revolver zurück in die Holster. Schließlich tat es ihnen, wenn auch widerwillig, der ledergesichtige Folsom nach.
»Ich verlange, daß der Wagen noch einmal durchsucht wird, Marshal!« sagte Stanton mit vorgerecktem Kinn.
»Aber Sie haben ihn doch gerade ausgiebig durchsucht«, entgegnete Webb. »Ohne Erfolg.«
Stanton drehte sich zu Blesser um. »Kann es sein, daß Ihr Köter sich irrt?«
»Bud irrt sich niemals!« widersprach der Dürre mit einer Spur von Empörung. »Entweder befindet sich der Gesuchte in dem Wagen oder etwas, das ihm gehört hat.«
»Wie meinen Sie das?« wollte der Anführer der Sklavenjäger wissen.
»Es kann sein, daß sich in dem Wagen ein Kleidungsstück des Gesuchten befindet, etwas in der Art. Etwas, dessen Witterung Bud aufgenommen hat.«
»Ja«, sagte Aretha Kelley und machte einen Schritt nach vorn. »Das kann gut sein. George trägt ein paar Sachen von seinem Onkel auf.« Sie sah ihren Sohn an. »Das stimmt doch, George?«
»Ja, Ma«, bestätigte ihr ältester Sohn mit eifrigem Nicken.
Plötzlich hatte Brad Folsom mit einer Geschwindigkeit, die fast zu schnell für das menschliche Auge war, wieder seine Revolver gezogen und sie auf den Wagenkasten des Prärieschoners gerichtet.
Auch Webbs Hand glitt an seine Hüfte und kam mit einem schwarzglänzenden 44er zurück. Der Marshal zog den Hahn zurück und richtete den Sechsschüsser auf den hageren Beidhandmann.
»Was soll das bedeuten, Mann?« fuhr er Folsom an. »Ich habe Ihnen doch gerade befohlen, die Schießeisen wegzustecken!«
»Schießen Sie ruhig auf mich, Marshal«, erwiderte Folsom unbeeindruckt. »Aber ich schwöre Ihnen, daß ich vorher mindestens zwei Schüsse aus jeder Waffe auf den Wagen abgebe.«
Webb sah ihn irritiert an.
»Wozu soll das gut sein?«
»Sie sollten sich den Wagen einmal von innen ansehen, Marshal«, sagte Folsom, als hätte er dessen Frage überhört. »Von draußen sieht er unglaublich tief aus, aber von innen merkt man nichts davon. Man sollte nicht glauben, wie einen der Eindruck täuschen kann.«
Der Marshal überlegte kurz, betrachtete dabei den Prärieschoner und fragte dann: »Mr. Kelley, hätten Sie etwas dagegen, daß dieser Mann ein paar Schüsse auf Ihren Wagen abgibt?«
Der Schmied antwortete nicht. Hilfesuchend wanderte sein Blick zwischen seiner Frau, Abner Zachary und dem Marshal hin und her.
»Marshal, was soll dieses Schauspiel bedeuten?« polterte der graubärtige Treckführer.
»Mischen Sie sich nicht ein, Zachary«, sagte Webb und richtete seinen Blick wieder auf den Schmied. »Ich warte auf eine Antwort von Mr. Kelley.«
»Ich.«, begann der Schmied und brach dann wieder ab. Man sah dem verzweifelten Gesicht des kräftigen Mannes die Qualen an, die er durchlitt.
Seine Frau schob sich vor Folsoms Revolverläufe und sagte erregt: »Ich lasse nicht zu, daß man auf unseren Wagen schießt!«
Kaum hatte sie ausgesprochen, als aus dem Innern des Planwagens Geräusche nach draußen drangen, ein Knarren und Poltern. Dann streckte ein Schwarzer in den Dreißigern seinen Lockenkopf nach draußen.
»Schießen Sie nicht«, bat er und kletterte nach draußen. »Ich ergebe mich.«
Mit Tränen in den Augen fiel ihm Aretha um den Hals und schluchzte: »O Jack! Warum bist du nicht im Wagen geblieben?«
»Es hatte keinen Sinn mehr«, erwiderte der Schwarze leise. Ein schwaches Lächeln spielte um seine aufgeworfenen Lippen. »Außerdem wurde es mir da drin langsam zu eng und zu stickig.«
»Sind Sie Jackson Harris?« fragte Marshal Webb den Mann.
»Und ob er das ist!« stieß Stanton hervor, sprang zu dem Mann und riß ihm das Hemd von der Schulter, so daß es in Fetzen an seinem Arm hing.
Der Sklavenjäger entblößte ein großes Brandzeichen auf der Hinterseite der linken Schulter, wie es Jacob nur von Rindern kannte. Es war ein verschnörkeltes »P«.
Einige der umstehenden Frauen wandten ihren Blick von dem schrecklichen Mal ab. Auch Irene, die ihren kleinen Sohn an sich drückte. Aber es waren nur weiße Frauen, die der Anblick schockierte. Wer dunkler Hautfarbe war, kannte solche Brandzeichen, trug sie oft sogar noch am eigenen Leib.