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»Sie ist oben auf Ihrem Zimmer«, antwortete Frenchie mit seinem starken französischen Akzent. »Aber Sie sollten besser nicht hinaufgehen.«

»Auch wenn Adam Zacharys Tod Miß Anderson schwer getroffen hat, ich muß ihr unbedingt ein paar Fragen stellen. Schließlich geht es um den Kopf meines Freundes.« »Was wollen Sie Urilla fragen?« erkundigte sich ein großer, vollbärtiger Mann in abgetragener Kleidung und mit schwielenbedeckten Händen. »Etwa, wieso sie sich an jeden Auswanderer heranmacht, der durch diese Stadt kommt?«

»Was soll das heißen?« fragte Jacob nach.

»Gar nichts«, sagte Frenchie schnell. »Chuck Dullenty redet zuviel, wenn er vormittags schon Whiskey trinkt.«

»Was für Whisky?« fragte der Bärtige in einer Mischung aus Empörung und Betrübnis, während er sein leeres Glas von der Theke nahm und in der Luft umdrehte. »Da ist kein Tropfen mehr drin.«

»Darf ich Sie auf ein Glas einladen, Mr. Dullenty?« fragte Jacob, und der Bärtige nickte begeistert.

Der Auswanderer kratzte seine letzten Cents zusammen, um die Getränke bezahlen zu können. Jeder ein Glas Maiswhiskey in der Hand, zogen sie sich an einen ruhigen Ecktisch zurück, über dem die Reklametafel einer Brauerei an der Wand prangte. Sie weckte in Jacob unliebsame Erinnerungen an seine Heimatstadt Elbstedt und die Brauereifamilie Arning.

Die Männer an der Bar setzten ihre Gespräche fort, sahen dabei aber immer wieder neugierig zu dem Ecktisch herüber.

»Was meinten Sie eben mit Ihrer Bemerkung, Urilla würde sich an jeden Auswanderer in dieser Stadt heranmachen?« fragte Jacob den Bärtigen, nachdem sie sich zugeprostet und den ersten Schluck getrunken hatten.

»Ach, nichts«, winkte Dullenty zu Jacobs Enttäuschung ab. »Wie Frenchie schon sagte, ich rede manchmal zuviel.«

Der Bärtige nahm einen weiteren Schluck und genoß es sichtlich, wie das scharfe Gebräu durch seine Kehle rann.

»Wahrscheinlich haben Sie mit Ihrer Bemerkung auch ein bißchen übertrieben«, sagte Jacob wie beiläufig.

Dullenty knallte das Glas auf die Tischplatte und funkelte Jacob aus seinen rotgeäderten Augen an.

»Ich übertrieben? Daß ich nicht lache! Dieses Frühjahr ist noch kein Treck von Kansas City nach Westen abgefahren, dem sich Urilla nicht hätte anschließen wollen. Aber sie hat Pech und Clayton.«

»Was ist Clayton?«

»Nicht was, sondern wer, Freund. Alan Clayton ist der Mann, mit dem Urilla nach Kansas City gekommen ist. Clayton sorgt schon dafür, daß sie sich mit keinem anderen davonmacht. Für ihn ist Urilla eine Art Privateigentum. Außerdem lockt sie viele Opfer an seinen Tisch.«

»Opfer?«

»Yeah. Alan Clayton ist ein Kartenhai.«

»Ein Falschspieler?«

Dullenty lachte glucksend und leerte sein Glas.

»Das behauptet so mancher, dem er das letzte Hemd und die letzte Hose ausgezogen hat. Aber falls er falsch spielt, hat ihn bisher niemand erwischt. Und keiner würde es wagen, ihm ins Gesicht zu sagen, er sei ein Betrüger. Clayton kann nämlich sehr unangenehm werden.«

»Inwiefern?«

»Schießeisen, Messer, suchen Sie es sich auch, Mister. Clayton kann mit allem umgehen. Und obwohl er so schlanke Finger hat wie Murray, der hier jeden Abend auf dem Klavier herumklimpert, auch mit den Fäusten. Urilla kann ein Lied davon singen.«

»Wieso?«

»Weil sie öfter mal mit einem blauen Auge auftaucht.«

Jacob dachte an Martins Veilchen und fragte sich, ob da ein Zusammenhang bestand. Aber wenn Martin an Clayton geraten war, wieso hatte er es dann nicht gesagt?

»Waren Sie gestern abend auch hier, Mr. Dullenty?«

Der Bärtige grinste.

»Klar doch, wie jeden Abend.«

»Gab es am späten Abend eine Rauferei?«

»Das können Sie laut sagen, Freund. So wie gestern sind hier die Fäuste schon lange nicht mehr geflogen.« Er sah zur Theke hinüber. »Der arme Frenchie hatte schon Angst, sein ganzes Museum würde zu Bruch gehen.«

»Was war der Grund dafür?«

»Keine Ahnung.« Dullenty hob seine breiten Schultern und ließ sie wieder sinken. »Braucht man dazu einen Grund?«

»Wissen Sie, ob sich Mr. Clayton oder mein Freund Martin an der Schlägerei beteiligt haben?«

»No, Mister. Aber normalerweise hält sich Clayton solcher Dinge fern.«

»Sprechen die Gentlemen von mir?« bohrte sich eine scharfe Stimme in Jacobs Rücken.

Plötzlich spürte der Deutsche die Gegenwart eines anderen Mannes ganz dicht hinter sich. Aber er hatte ihn nicht kommen hören. Er mußte sich leise wie eine Katze herangeschlichen haben.

Dullenty riß die Augen auf und starrte den Mann hinter Jacob fast furchtsam an.

»Sie dürfen nichts falsches denken, Mr. Clayton. Ich habe dem Fremden hier nur ein paar Fragen beantwortet. Wirklich nur ein paar Fragen. Es wird jetzt Zeit für mich. Ich habe noch viel zu erledigen.«

Ohne Jacob noch einmal anzusehen, erhob sich der Bärtige und verließ den Saloon mit eiligen Schritten.

Jacob drehte sich auf seinem Stuhl um und sah den Mann an, dessen bloße Anwesenheit dem kräftigen Dullenty solche Angst eingejagt hatte. Auf den ersten Blick hätte man das nicht für möglich gehalten. Der Mann wirkte nicht besonders groß und nicht sehr kräftig. Sein schlanker, fast zierlicher Körper steckte in einem taubengrauen Dreiteiler. Auf seinem schmalen Kopf saß ein dunkler Hut. Aber der Mann besaß eine unheimliche Ausstrahlung. Sein Gesicht war so scharf gemeißelt, daß man glaubte, sich an seinen Zügen schneiden zu können wie an einem Rasiermesser. Scharf und stechend war auch der Blick, den er Jacob aus bernsteinfarbenen Augen zuwarf. Die Bedrohlichkeit, die von dem Mann ausstrahlte, war fast körperlich spürbar.

»Mr. Alan Clayton?« erkundigte sich Jacob.

»Yeah«, lautete die ganze Antwort. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«

Jacob nannte seinen Namen.

»Was hatten Sie mit dem Schwätzer Dullenty über mich zu reden, Mr. Adler?«

Jacob erklärte es ihm, bemühte sich aber, den Spieler nicht als Verdächtigen hinzustellen.

»Ich war an keiner Schlägerei beteiligt«, erklärte Clayton. »Und Ihren Freund kenne ich nicht. Im übrigen ist es nicht mein Problem, wenn er gehängt wird. Aber es ist mein Problem, wenn Sie Gerüchte über mich verbreiten. Ich muß Sie daher bitten, das in Zukunft zu unterlassen!«

Er schob seine Jacke über der rechten Hüfte zurück und entblößte ein schwarzledernes Holster, in dem ein vernickelter Revolver mit Perlmuttgriffschalen steckte. Dann wandte er sich um und ging zur Tür.

»Wenn mich jemand sucht, Frenchie, ich bin geschäftlich unterwegs, beim Pferderennen.«

Erst als Alan Clayton den Saloon verlassen hatte und die Männer ihre Gespräche wiederaufnahmen, wurde Jacob bewußt, daß vorher eine angespannte Stille geherrscht hatte. Aller Augen waren auf Jacobs Tisch gerichtet gewesen. Anscheinend hatte man nur darauf gewartet, daß sein Blut vergossen wurde.

Angewidert stand er auf. Trotz Claytons Warnung fragte er Frenchie nach Urillas Zimmernummer. Dann stieg er die Treppe zum Obergeschoß hinauf.

Als Jacob in nördlicher Richtung dem Startplatz für das große Pferderennen zustrebte, war auf den vollgestopften Straßen kaum noch ein Durchkommen. Ganz Kansas City war auf den Beinen und über den Missouri in den Westteil der Stadt gekommen, um das Schauspiel mitzuerleben und vielleicht bei einer Wette ein paar Dollars zu gewinnen - oder zu verlieren.

Aber nicht nur die Einwohner der Stadt erschwerten dem Deutschen das Vorankommen. Je mehr es auf den Mittag zuging, desto mehr Wagen rollten von den umliegenden Ortschaften, Plantagen und Farmen in die Stadt am Big Muddy. Selbst aus den angrenzenden Countys kamen die Menschen, um das Wettrennen zu sehen und den morgigen Unabhängigkeitstag mit Paraden, Konzerten, einem großen Markt und allerlei Wettbewerben in Kansas City zu verbringen. Hotels, Pensionen und private Quartiere waren innerhalb kürzester Zeit ausgebucht. Wo immer ein Dach vor dem Regen schützte, wollte sich ein Mensch für die Nacht zum Schlafen niederlassen.