Aber als Asquith mit einer kleinen versilberten Pistole das Startsignal gegeben hatte, schafften es George Kelley und sein Rappe aus dem Stand, hinter Silver Dollar und Golden Sun den dritten Platz zu belegen. Jackson Harris drückte seinem Neffen fest die Daumen, als er, tief über Black Thunders schlanken Hals gebeugt, aus der Stadt galoppierte.
Die Pferde waren gerade aus seinem Sichtfeld verschwunden, als Jackson seinen Namen zu hören glaubte. Er drehte sich um und sah eine junge Schwarze, fast noch ein Mädchen, die in einer nahen Gasse stand und nach ihm rief. Verwundert stieg er von der Kiste und ging auf sie zu.
Woher kannte sie seinen Namen? Gehörte sie zum Treck? Er konnte sich nicht an sie erinnern. Dabei hatte sie ein hübsches Gesicht.
Bevor er sie erreicht hatte, verschwand sie in der Gasse und winkte ihm, ihr zu folgen. Als er das tat und um eine Ecke bog, war die junge Frau verschwunden. Dafür sah er sich einer bösen Überraschung gegenüber.
Drei Männer, die er nur zu gut kannte, versperrten ihm den Weg: der gut gekleidete Everett Stanton, der ledergesichtige Brad Folsom und der Riese Hatch McPherson. Folsom hielt seine beiden Revolver auf Jackson gerichtet und zog die Hähne mit einem bedrohlichen Klicken zurück. Auf den Gesichtern der Sklavenjäger lag ein diabolisches Grinsen.
»Hallo, Mr. Sklave«, begrüßte ihn Stanton mit falscher Freundlichkeit.
»Ich bin kein Sklave mehr!«
»Sobald du wieder auf der Penrose-Plantage bist, kräht danach kein Hahn.«
»Sie können mich nicht dorthin zurückbringen. Ich bin ein freier Mann!« Jackson zog den Lederbeutel mit seiner Freikaufurkunde aus der Hosentasche, kramte das Papier hervor und hielt es Stanton unter die Nase. »Hier steht es.«
»Nicht mehr«, meinte der Anführer der Sklavenjäger nur und riß ihm die Urkunde aus der Hand, die er in kleine Stücke zerfetzte. Die Papierschnipsel segelten auf den schmutzigen Boden, teilweise in eine große Pfütze.
»Sie Schwein!« heulte der Schwarze auf und wollte sich auf Stanton stürzen.
Aber Big Hatch war schneller. Der Riese packte Jackson, warf ihn hart gegen eine steinerne Hauswand und bog seine Arme auf den Rücken, so daß Stanton ihm eiserne Handschellen anlegen konnte.
»Was wollen Sie von mir?« fragte Jackson, aus dessen Nase Blut floß.
»Das habe ich dir doch schon gesagt, Nigger«, antwortete Stanton. »Wir bringen dich zurück zu deinem Herrn. Hast du etwa geglaubt, wir würden uns die fünfhundert Dollar Prämie entgehen lassen?«
»Aber der Freikauf!«
Stanton grinste noch mehr. »Eine hübsche Stange Geld für meine Freunde und für mich.«
»Der Marshal wird Mr. Penrose von der Sache unterrichten.«
»Nicht wenn wir schnell sind und die Telegrafenleitung zerstören.«
Stanton gab Folsom ein Zeichen. Der Mann mit dem Ledergesicht trat vor, hob die Rechte und ließ einen Revolver schwer auf Jacksons Hinterkopf krachen. Benommen fiel der Schwarze zu Boden.
Big Hatch holte die vier Pferde, die in einem Hinterhof gestanden hatten. Nur drei waren gesattelt, das vierte ein Packpferd. Die Sklavenjäger steckten ihr Opfer einfach in einen großen Mehlsack, banden ihn zu und schnürten ihn auf dem Packpferd fest.
Während ganz Kansas City gebannt dem Pferderennen zusah, ritten sie durch kleine Seitenstraßen unbehelligt aus der Stadt.
*
Das Pokerspiel schleppte sich mühsam dahin. Keiner der drei Männer im Büro des Stadtgefängnisses war richtig bei der Sache. Alle weilten mit den Gedanken beim Pferderennen, daß sie wegen dieses Deutschen verpaßten.
Moses Peacham, der alte, graubärtige Gefängniswärter, hätte zwar sowieso hier sein müssen, um die paar Betrunkenen und Randalierer zu bewachen, die derzeit im Jail einsaßen. Aber die beiden Deputy Marshals, Grant Begley und Bill Stoner, die zusätzlich Wache schoben, waren nur hier, um Martin Bauer zu beschützen.
Daß der alte Moses die meisten Pokerrunden und damit das meiste Geld gewann, war alles anderes als geeignet, um die miese Stimmung der beiden Deputys zu heben.
Der pferdegesichtige Stoner hatte gerade endgültig die Nase von dem Spiel voll und sammelte die wenigen Geldmünzen ein, die ihm übriggeblieben waren, als ein schwerer Schlag die verschlossene Bürotür erbeben ließ.
Die drei Männer sprangen von den Stühlen auf und griffen nach ihren Waffen, als die hölzerne Tür abermals erbebte und aufsprang. Sie gab den Blick frei auf eine große Auswandererschar, angeführt von Abner Zachary. Ein paar Männer hatten die Tür mit einem als Rammbock benutzten Baumstamm aufgesprengt und ließen ihr schweres Hilfsmittel auf den hölzernen Boardwalk krachen.
Die Deputys und der Gefängniswärter richteten ihre Waffen auf die hereinströmenden Männer. Aber die waren auch bewaffnet und in der eindeutigen Überzahl, etwa zehn zu eins.
Nur der Prediger war unbewaffnet. Aber das stimmte nicht ganz. Seine Waffen waren seine Trauer, sein Zorn und die
Macht, die er über seine Leute hatte.
»Keinen Schritt weiter!« stieß Begley hervor, während er versuchte, die Übermacht mit seinem sechsschüssigen Kerr-Revolver in Schach zu halten.
»Sie können auf uns schießen, Deputy« , sagte Abner Zachary. »Aber sie können nicht uns alle umbringen. Wenn Sie schießen, müssen Sie auch darauf gefaßt sein zu sterben!«
Langsam ging der Prediger auf Begley zu, den stählernen Blick seiner grauen Augen geradezu in die Augen des Deputys bohrend.
»Wollen Sie sterben, Deputy?« fragte Zachary. »Lohnt es sich, sein Leben für einen gemeinen Mörder zu lassen?«
Der Prediger stand jetzt dicht vor Begley und streckte seine Hand aus.
»Geben Sie mir Ihre Waffe, Deputy, und schon ist alles für Sie vorbei!«
Grant Begley zögerte. Er dachte an den deutschen Auswanderer, dessen Sicherheit Marshal Webb ihm anvertraut hatte. Aber lohnte es sich, für ihn zu sterben, wenn er wirklich ein Mörder war? Und wenn nicht er, wer sonst sollte der Mörder sein? Andererseits hatte Begley geschworen, notfalls mit seinem Leben für die Wahrung der Gesetze einzutreten.
Während der Deputy noch nachdachte, waren ein paar Männer des Mobs in den Rücken der drei Wächter geschlichen. Jetzt krachten die Kolben und Läufe von Revolvern auf ihre Köpfe, schickten sie zu Boden und nahmen ihnen die schwere Entscheidung ab.
»Was sollen wir mir ihnen machen, Vater?« fragte Aaron Zachary. »Wenn sie zu früh aufwachen, verraten sie uns.«
»Sperrt sie in eine Zelle!« entschied der Prediger.
Die Auswanderer holten Martin aus seiner Zelle und sperrten an seiner Stelle seine bewußtlosen Aufpasser hinein.
»Was habt ihr mit mir vor?« fragte Martin den alten Zachary, in dessen grauen Augen der Haß auf den Mörder seines Sohns funkelte.
»Wir bringen dich ins Lager« , teilte ihm der Prediger mit. »Und dort wirst du gehängt!«
*
Die Landschaft flog nur so an dem tief über Black Thunders Hals hängenden George Kelley vorbei, während seine Augen, seine Nase und sein Mund von Staub verklebt wurden.
Es hatte jetzt einige Tage nicht geregnet, und die heiß vom blauen Himmel herabbrennende Sommersonne trocknete den Boden schnell wieder aus. Das gab dem Jungen einen Vorgeschmack auf die langen Tage, die der Wagenzug durch die Weiten der Prärien rumpeln würde.
Aber daran dachte George jetzt nicht. Sein Denken wurde nur von der Frage beherrscht, wie er den Schimmel und den Palomino, deren Hufe vor ihm den Boden aufwühlten, endlich einholen konnte.
Jetzt, auf der Hälfte der Strecke, waren alle anderen Teilnehmer weit abgeschlagen. Es war klar, daß sich das Rennen zwischen Silver Dollar, Golden Sun und Black Thunder entscheiden würde.