Der Sklavenjäger schaffte es noch einmal, sein gemeines Grinsen aufzusetzen, und keuchte leise: »Fahren Sie. doch. zur Hölle.«
Dann fiel sein Kopf zur Seite. Er war tot.
»Von dem erfahren Sie nichts mehr, Marshal«, spottete McPherson.
»Ich habe ja noch euch«, sagte Webb scharf, als er sich erhob. »Entführung ist eine Sache. Aber wenn auch noch ein Mord dazukommt, ist euch der Strick sicher.«
»Wir haben nichts damit zu tun!« entgegnete Big Hatch empört.
»Mitgefangen, mitgehangen«, sagte Webb nur und tat, als interessierte ihn die Sache nicht weiter.
»Halt, Marshal!« rief der Riese. »Brad und ich waren wirklich nicht dabei!«
Webb drehte sich langsam zu ihm um und sah ihn fragend an. »Wobei?«
»Als Stanton den Sohn des alten Predigers getötet hat.«
»Warum wißt ihr dann, daß er es getan hat?«
»Stanton hat es uns erzählt. Im Saloon hat er Ärger mit dem Sohn des Predigers bekommen, weil Stanton sich an dieses Mädchen heranmachen wollte.«
»Urilla«, sagte der Marshal.
»Yeah, so hieß sie. Als Stanton diesen Zachary vor dem Saloon wiedertraf, kam es zum Streit. Zachary zog sein Messer, aber Stanton hat es ihm aus der Hand gerissen und ihn erledigt.«
»Wieso haben wir dann die Mütze des Deutschen bei der Leiche gefunden?«
»Stanton wollte besonders schlau sein. Er hatte gesehen, wie der Dutch seine Mütze bei der Prügelei im Saloon verloren hatte. Sie lag in der Nähe des Eingangs. Stanton holte sie und legte sie neben den Toten, bevor er wegritt.«
Jacob sah Webb an. »Ist mein Freund Martin jetzt entlastet, Marshal?«
Webb nickte. »Voll und ganz.«
*
Als die Posse nach Kansas City zurückkehrte, erregte sie großes Aufsehen. Folsom und McPherson wurden ins Gefängnis gesperrt, wo sich der Arzt um Folsoms verletzte Schulter kümmern sollte.
Martin war noch im Haus des Arztes. Er hatte sich von dem versuchten Lynchmord gut erholt. Noch viel besser ging es ihm, als er erfuhr, daß der schwere Mordverdacht nicht mehr auf ihm lastete.
Als Abner Zachary zum Haus des Arztes kam, blickten ihm Jacob, Martin, Irene und auch Marshal Webb skeptisch entgegen. Der Prediger wirkte gar nicht mehr so kräftig wie bisher. Er ging tief nach vorn gebeugt, was ihn ein ganzes Stück kleiner erscheinen ließ. Man sah ihm schon von weitem an, wie schwer ihn seine Tat bedrückte.
Er entschuldigte sich stammelnd bei Martin und sagte dann dem Marshal, daß er zu seiner Verfügung stände. »Ich habe die Leute aufgehetzt, Marshal. Die anderen trifft keine Schuld. Ich bin derjenige, der vor Gericht gehört.«
Webb sah Martin an.
»Was sagen Sie, Mr. Bauer? Wollen Sie gegen Mr. Zachary Anklage erheben?«
Ohne zu überlegen, schüttelte Martin den Kopf.
»Wäre mein Sohn ermordet worden, hätte ich vielleicht genauso gehandelt. Außerdem brauchen wir Mr. Zachary noch. Er ist unser Treck-Captain, und morgen soll es nach Oregon gehen.«
Früh am nächsten Morgen fand Adam Zacharys Beerdigung statt. Fast alle Auswanderer waren auf dem Friedhof zusammengekommen. Dazu gehörten jetzt auch Custis Hunter, Virginia Cordwainer, Melvin und Beth, die in den Treck aufgenommen worden waren und sich einen gemeinsamen Wagen gekauft hatten.
Abner Zachary hielt mit brüchiger Stimme, aus der jeder Donnerhall verschwunden war, die Grabrede. Er sprach viel von der Schuld, die der Mensch auf sich lud, und jedem war klar, daß er damit sich selbst meinte.
Als der grobe Brettersarg mit Erde bedeckt war, gingen die Auswanderer schweigend zurück zum Lager und machten sich zum Aufbruch bereit. Wenn Kansas City erwachte, um mit Jubel und Trubel den Unabhängigkeitstag zu begehen, wollten sie schon weit weg sein. Für sie war dies kein Tag zum Feiern.
Eilig wurden die Zelte abgebaut, die letzte Ausrüstung in den Wagen verstaut, das Vieh zusammengetrieben, die Pferde und Maultiere angespannt, die Ochsen ins Joch genommen, und dann ging es los.
»Auf nach Oregon!« brüllte der von den Auswanderern angeheuerte Scout, und der Ruf pflanzte sich von Wagen zu Wagen fort.
Die Fahrer trieben ihre Tiere mit lauten Zurufen oder dem Knallen der Peitsche an, und knarrend setzte sich der lange Zug in Bewegung.
Martin trieb die anfangs unwilligen Ochsen, die den leichten Wagen der Deutschen zogen, mit ein paar Schimpfwörtern an, während Jacob auf seinem Grauschimmel nebenherritt und einen letzten Blick zurückwarf.
Hinter den Wagen verschwand mit den Umrissen von Kansas City auch das, was man Zivilisation nannte, im Morgendunst. Vor ihnen lag die Wildnis: endlos weite Prärien, breite Ströme und die schroffen Gebirge der Rocky Mountains.
Voller Hoffnung auf eine neue Heimat und ein besseres Leben im Herzen blickten die Auswanderer zum fernen Horizont. Niemand dachte an die Strapazen der langen Reise, die vor ihnen lag - 2000 Meilen westwärts.
ENDE
Und so geht das Abenteuer weiter
Der Treck nach Oregon kann beginnen! Nach allen Gefahren der letzten Wochen erscheint er Jacob, Martin und Irene fast wie eine Erlösung.
Doch was sie bis jetzt an Abenteuern erlebten, verblaßt unter den Strapazen des Trecks. Es scheint, als hätte sich die Natur selbst gegen die Menschen verschworen. Von glühender Hitze über eine Büffelstampede bis hin zu tagelangem Regen, bei dem die schweren Wagen in den aufgeweichten Grund einsinken, wird ihnen jede Fährnis geboten. Aber das ist längst nicht alles. Denn der Treck hat einen Verfolger, einen bronzehäutigen Mann, der undurchschaubare Pläne verfolgt. Und eine weitere Gefahr lauert gar unter den Teilnehmern des Wagenzuges selbst.
IM LAND DER BÜFFEL von J.G. Kastner