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»Und dann sind da noch die Schwarzen«, fuhr Urilla fort. »Der Norden befreit sie zwar aus der Sklaverei, weiß aber nicht, was er mit ihnen anfangen soll. Sie haben oft keinen Penny in der Tasche, wenn sie voller Hoffnung in der großen Stadt ankommen. Aber auch hier gibt es keine Arbeit für sie. Viele haben nichts gelernt außer Baumwolle zu pflücken. Und die findet man in der Stadt nun mal nicht, jedenfalls nicht an Sträuchern. Am Fluß hat General Ewing ein großes Lager errichten lassen. Alle Schwarzen, die mit weniger als zehn Dollar in der Tasche hier auftauchen, dürfen - oder müssen, wenn Sie so wollen - dort wohnen. Und wer mehr als zehn Dollar bei sich hat, ist das Geld schnell los. Dafür sorgen Einrichtungen wie der Lightheart Palace.«

Als sie das Asquith Trading Center erreichten, waren Jacob und Martin für einen Moment sprachlos. Sie hatten ein besonders großes Gebäude erwartet oder ein paar zusammenstehende Häuser, etwas in der Art. Aber das Center war eine richtige Stadt in der Stadt und nahm einen ganzen Block großer Steinhäuser ein.

Sie erreichten den Saloon über einen großen Innenhof, auf dem dieselbe Betriebsamkeit herrschte wie draußen auf den Straßen. Aus der Hufschmiede drang monotones Gehämmer. Ein Sattlergehilfe saß vor der Tür und fettete das schwarze Leder eines Texas-Sattels ein.

Der Barbier trat vor die Tür und verabschiedete einen Kunden, einen gutaussehenden Mann mit dunklem, lockigen Haar, der nach allerlei Duftwässern roch. Als er die beiden Deutschen und die Frau erblickte, blieb er stehen, lüftete seinen hellen, zu seinem Anzug passenden Hut und grüßte höflich, seine Augen auf Urilla fixiert.

Die Frau lächelte zurück und murmelte zu ihren Begleitern: »Der ist bestimmt nicht von hier. Er wäre mir aufgefallen.«

Martin quittierte diese Bemerkung mit einer sauren Miene und sah es mit Wohlwollen, als sich der Fremde entfernte.

Überall an den Wänden waren große Transparente aufgehängt, die auf das »Kansas City Pferderennen« hinwiesen, daß am nächsten Tag stattfinden sollte. Jedermann, der ein gutes Pferd besaß, wurde eingeladen, sich zum Rennen zu melden. Dem Sieger winkte eine Prämie von fünftausend Dollar, gestiftet von Homer C. Asquith.

»Eine hübsche Stange Geld«, stellte Martin fest.

»Asquith setzt sie jedesmal zum Unabhängigkeitstag aus«, sagte Urilla.

Martin kratzte sich unter seiner alten Mütze am Kopf. »Ich dachte immer, der Tag, an dem Amerika seine Unabhängigkeit begeht, sei der vierte Juli. Das Rennen ist doch am dritten.«

»Ein Trick von Asquith«, erklärte die junge Frau. »Einen Tag vor den großen Feiern lenkt er mehr Aufmerksamkeit auf das Rennen und damit auf sein Geschäft. Eine gute Werbung für Asquith und sein Trading Center.«

»Auch eine teure Werbung, wenn er dem Sieger fünftausend Bucks in die Hand drücken muß«, sagte Jacob.

»Das schnellste Pferd in der ganzen Gegend ist Silver Dollar«, erfuhren sie von Urilla. »Und dessen Besitzer heißt Homer C. Asquith. Er hat sein eigenes Rennen bis jetzt immer gewonnen.«

Jacob und Martin warteten auf dem Hof, während Urilla in eins der Häuser ging, um sich umzuziehen. Sie wollten die Frau dann zum Lagerplatz des Trecks mitnehmen. Schließlich konnte nicht ganz ausgeschlossen werden, daß sich der Riese und das Ledergesicht noch in der Gegend herumtrieben.

Martin schaute Urilla noch nach, als sie längst in dem großen Gebäude, in dem sich der Lightheart Palace befand, verschwunden war.

»Gefällt sie dir?« fragte Jacob.

Sein Freund sah ihn verwirrt an. »Wieso?«

»Weil du einen Ausdruck auf dem Gesicht hast, als hättest du zum erstenmal im Leben eine Frau gesehen.«

Martin errötete. »Ich glaube, du bildest dir etwas ein, Jacob.«

»Oder du dir«, entgegnete der junge Zimmermann mit einem breiten Grinsen.

*

Jacob und Martin mußten eine ganze Weile warten, bis Urilla zurückkehrte.

Die junge Frau hatte alle Spuren des Überfalls beseitigt, jedenfalls äußerlich. Sie trug jetzt eine cremefarbene Jacke zu einem langen dunklen Rock und einen dunklen Hut. Auch die Blässe war von ihren Wangen verschwunden.

Auf dem Weg zum Treck trafen sie Ben und Johnny Miller. Der Farmer hatte vom Arzt eine große Flasche Medizin verschrieben bekommen. Sein Sohn trug schwer an einem dicken Bücherbündel.

»Hoffentlich wird unser Wagen nicht zu schwer durch dieses viele Papier«, meinte Ben Miller. »Ob wir die Bücher auch wirklich brauchen? Steht denn in ihnen so viel Verschiedenes drin?«

Der Treck kampierte vor den letzten Häusern der Stadt, wo die weite, offene Prärie, die es in den kommenden Wochen zu durchqueren galt, sich nach Westen zu erstrecken begann. Beim ersten Anblick der Planwagen und Zelte, die in scheinbar willkürlicher Anordnung über eine große Fläche verteilt waren, fühlte sich Jacob an einen Hafen erinnert, Hamburg oder auch New York, und die lange, gefahrvolle Reise über den Atlantik wurde wieder in ihm wach. Die hellen Planen wirkten wie ein Meer von Segeln. Tatsächlich bestanden sie häufig aus Segeltuch. Einer der Gründe, weshalb man die großen Wagen auch Prärieschoner nannte.

Beim Nähertreten erkannte Jacob, daß die auf den ersten Blick so gleich wirkenden Fahrzeuge so verschieden waren, daß kaum ein Wagen dem anderen glich. Die unterschiedlichsten Größen und Formen waren vertreten, und einige der Wagen wirkten, als seien sie von ihren Besitzern selbst zusammengezimmert worden. Jacob hatte als Zimmermann ein Auge dafür.

Er und Martin waren überrascht, das Lager wie ausgestorben vorzufinden. Lediglich bei den ein paar hundert Yards abseits des Lagers friedlich vor sich hingrasenden Pferden, Maultieren und Ochsen standen einige Halbwüchsige und bewachten die Herde.

Dann aber stießen sie auf die Auswanderer, die sich im hinteren Teil des Lagers um einen großen Conestoga-Wagen versammelt hatten und einer Rede lauschten, die ein auf dem Wagenkasten stehender Mann in flammenden Worten hielt. Nein, es war keine Rede, sondern eine regelrechte Predigt.

Der Mann auf dem Wagen, der das Gelobte Land Oregon in leidenschaftlichen Worten pries, war ein großer, breitschultriger Mittfünfziger mit einer wallenden, ergrauten Haarmähne und einem gleichfarbigen Bart, der ihm tief auf die Brust fiel. Sein ganzes Gesicht wirkte grau. Unter weit hervorstehenden, buschigen grauen Brauen blitzten eisgraue Augen auf, die verrieten, welch ungeheure Kraft in dem Prediger steckte.

Beim Nähertreten zeigte Jacob auf den Graubart im dunklen Anzug und fragte Ben Miller: »Ist das Abner Zachary?«

»Yeah. Woher wissen Sie.?«

»Nach allem, was Sie mir über ihn erzählt haben, mußte er es sein.«

Die Männer, Frauen und Kinder, die Zacharys Worten gebannt lauschten, waren etwa zu drei Vierteln weißer und zu einem Viertel schwarzer Hautfarbe. Es mochten an die zweihundert Menschen sein, die im Gelobten Land Oregon eine neue Heimat zu finden hofften.

Eine junger Mann löste sich aus dem Pulk der Zuhörer und ging den Neuankömmlingen schnellen Schrittes entgegen. Er trug ebenfalls einen dunklen Anzug und wirkte fast wie eine jüngere Ausgabe des Predigers, war ebenso groß gebaut und breit in den Schultern. Nur war sein Gesicht glatter als das faltige Antlitz Abner Zacharys und wies keinen Bartwuchs auf.

Ben Miller stellte ihm die beiden Deutschen vor und sagte dann zu ihnen: »Und das ist Adam, Abner Zacharys ältester Sohn.«

Der dunkelhaarige Endzwanziger grüßte freundlich, wandte sich dann Urilla zu und legte seine Hände fest auf ihre Schultern, was in Martins Gesicht ein unwilliges Zucken hervorrief.

»Du kommst spät, Urilla. Ich hatte gehofft, du würdest dir mit mir Vaters Predigt anhören - und er würde dich dabei sehen.«

Adam löste seine Hände von der jungen Frau und zog eine goldene Taschenuhr hervor, die an einer ebenfalls goldenen Kette befestigt war. Als er den Deckel aufspringen ließ, ertönte eine leise, liebliche Melodie.