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Mit einem Male sah er auf die Uhr. Es war wenige Minuten vor drei. Lillebror fing an zu lachen.

„Jetzt kommt Fräulein Bock bald und schließt meine Tür wieder auf. Oh, ich wünschte, ich könnte sie sehen, wenn sie in mein Zimmer kommt und ich nicht da bin!"

Karlsson klopfte ihm freundlich auf die Schulter.

„Komm mit deinen kleinen Wünschen nur ruhig zu Karlsson, der regelt alles für dich. Lauf eben rein und hole mein Fernglas.

Es hängt, vom Sofa aus gerechnet, an dem vierzehnten Nagel, ganz hoch oben. Steig auf die Hobelbank."

Lillebror kicherte. „Ja, ich habe doch aber Weckenfieber! Muß man dann nicht stilliegen?"

Karlsson schüttelte den Kopf.

„Stilliegen und kichern - du denkst, das hilft bei Weckenfieber!

Im Gegenteil, je mehr du an den Wänden und auf dem Dach herumkletterst, desto schneller wirst du gesund, das kannst du in jedem Ärztebuch nachlesen."

Und da Lillebror sein Weckenfieber gern loswerden wollte, rannte er gehorsam ins Haus, kletterte auf die Hobelbank und holte das Fernglas herunter, das, vom Sofa aus gerechnet, am vierzehnten Nagel hing. An demselben Nagel hing auch ein Bild mit einem kleinen roten Gockelhahn in der einen Ecke. Karlsson hatte es selbst gemalt. Lillebror fiel jetzt ein, daß Karlsson der beste Gockelhahnmaler der Welt war. Hier hatte er ein „Porträt von einem sehr einsamen kleinen roten Gockelhahn" gemacht -

so stand auf dem Bild zu lesen. Und fürwahr, der Gockelhahn war einsamer und kleiner und röter als irgendeiner, den Lillebror je in seinem Leben gesehen hatte. Er hatte jedoch keine Zeit mehr, ihn sich noch länger anzusehen, es war bald drei, und er hatte es sehr eilig.

Karlsson stand flugbereit, als Lillebror mit dem Fernglas kam, und schon schwirrte er mit ihm los, quer über die Straße, und landete auf dem Hausdach gegenüber.

Jetzt begriff Lillebror.

„Uh, das ist aber ein feiner Aussichtsplatz, wenn man ein Fernglas hat und in mein Zimmer gucken möchte."

„Das hat man, und das möchte man", sagte Karlsson und nahm das Fernglas an die Augen. Dann durfte Lillebror es ebenfalls einmal haben. Und er sah sein Zimmer so deutlich, als wäre er drinnen. Bimbo lag in seinem Körbchen und schlummerte, dort stand Lillebrors Bett, da war der Tisch mit den Schulbüchern und dort die Uhr an der Wand. Die schlug jetzt drei. Fräulein Bock aber war nicht zu erblicken.

„Ruhig, nur ruhig", sagte Karlsson. „Sie ist unterwegs, denn ich spüre ein Gruseln am Rückgrat, und ich kriege eine Gänsehaut."

Er riß Lillebror das Fernglas aus den Händen und hielt es an die Augen.

„Was habe ich gesagt? Jetzt geht die Tür auf, da kommt sie, lieb und goldig wie ein Kannibalenhäuptling."

Er gluckste vor Lachen.

„O ja, jetzt sperrt sie die Augen auf! Wo ist Lillebror? Er ist doch nicht etwa aus dem Fenster gestürzt?"

Das dachte Fräulein Bock wahrscheinlich, denn sie rannte völlig entsetzt ans Fenster. Sie tat Lillebror richtig leid. Jetzt lehnte sie sich hinaus und blickte auf die Straße hinunter, als vermutete sie, Lillebror dort unten zu sehen.

„Nein, da ist er nicht", sagte Karlsson. „Pech, was?"

Fräulein Bock sah beruhigt aus. Sie ging wieder ins Zimmer hinein.

„Jetzt sucht sie", sagte Karlsson. „Sie sucht im Bett - und hinter dem Tisch — und unter dem Bett, haha, hihi. Paß auf, jetzt kriecht sie in den Wandschrank hinein! Sie denkt sicher, du liegst da drinnen wie ein kleines Häufchen Unglück und weinst."

Karlsson gluckste von neuem.

„Es wird Zeit, daß wir ihr einen Streich spielen", sagte er.

„Wie denn?" fragte Lillebror.

„Na so", sagte Karlsson. Und wieder schwirrte Karlsson mit ihm los, quer über die Straße, und hinein in Lillebrors Zimmer.

„Heißa hopsa, Lillebror, sei nett zum Hausbock!" sagte Karlsson. Und dann flog er seiner Wege.

Lillebror fand diese Art und Weise, ihr einen Streich zu spielen, nicht gerade nett. Aber er mußte ja nun mitmachen, so gut er konnte. Daher schlich er leise durch das Zimmer und setzte sich an den Tisch und klappte das Rechenbuch auf. Er hörte Fräulein Bock im Wandschrank rumoren. Voller Spannung wartete er darauf, daß sie herauskäme.

Und sie kam. Das erste, was sie sah, war Lillebror. Da wich sie erschrocken bis zur Schranktür zurück und blieb hier völlig sprachlos stehen. Sie starrte ihn an und zwinkerte ein paarmal mit den Augen, um sich zu vergewissern, daß sie sich nicht täusche. „Wo in aller Welt hattest du dich versteckt?" fragte sie schließlich.

Lillebror blickte mit unschuldsvoller Miene von seinem Rechenbuch auf.

„Ich habe mich nicht versteckt. Ich sitze nur hier und mache meine Rechenaufgaben. Ich konnte doch nicht wissen, daß Sie Versteck spielen, Fräulein Bock. Aber warum nicht... Kriechen Sie nur wieder in den Schrank, ich will gerne suchen."

Darauf erwiderte Fräulein Bock nichts. Sie stand eine Weile stumm da und dachte nach.

„Ich werde doch hoffentlich nicht krank", murmelte sie. „In diesem Haus geht so viel Merkwürdiges vor sich."

Gerade da hörte Lillebror, wie jemand leise die Tür von außen abschloß. Lillebror kicherte. Der beste Hausbockbändiger der Welt war offenbar zum Küchenfenster hineingeflogen, um dem Hausbock eine Lehre darüber zu erteilen, wie es ist, wenn man eingeschlossen wird.

Fräulein Bock hatte nichts gemerkt. Sie stand nur stumm da und grübelte. Zuletzt sagte sie:

„Seltsam! Na ja, du kannst jetzt nach unten gehen und spielen, während ich das Essen mache."

„O ja, gern, vielen Dank", sagte Lillebror. „Dann werde ich jetzt nicht mehr eingeschlossen?"

„Nein, du wirst nicht mehr eingeschlossen", sagte Fräulein Bock und ging zur Tür. Sie legte die Hand auf den Türgriff und drückte ihn hinunter, einmal, dann noch einmal. Aber die Tür wollte sich nicht öffnen lassen. Da warf sie sich mit voller Wucht dagegen. Es nützte nichts. Die Tür war und blieb verschlossen.

„Wer hat die Tür abgeschlossen?" schrie Fräulein Bock.

„Das werden Sie wohl selbst getan haben, Fräulein Bock", sagte Lillebror.

Fräulein Bock fauchte.

„Unsinn! Wie kann die Tür von außen abgeschlossen sein, wenn ich drinnen bin!"

„Weiß ich nicht", sagte Lillebror.

„Ob Birger oder Betty es getan hat?" fragte Fräulein Bock.

„Nöö, die sind noch in der Schule", versicherte Lillebror.

Da ließ Fräulein Bock sich schwer auf einen Stuhl fallen.

„Weißt du, was ich glaube?" sagte sie. „Ich glaube, es gibt hier im Haus einen Geist."

Lillebror nickte. Ach, wie schön, wenn Fräulein Bock meinte, Karlsson sei ein Geist! Dann zog sie vielleicht ihrer Wege. Denn sie wollte doch sicher nicht in einem Haus bleiben, in dem Geister waren.

„Fürchten Sie sich vor Geistern?" fragte Lillebror.

„Im Gegenteil", sagte Fräulein Bock. „Ich hab' sie gern! Denk mal, jetzt komme ich vielleicht auch ins Fernsehen! Du weißt, da machen sie eine Sendung mit Leuten, die von ihren Spukereien erzählen, und was ich heute hier an einem einzigen Tag erlebt habe, das reicht für zehn Fernsehprogramme."

Fräulein Bock machte ein sehr befriedigtes Gesicht.

„Da wird sich meine Schwester Frieda ärgern, das kannst du glauben. Frieda ist nämlich im Fernsehen gewesen und hat von lauter Geistern erzählt, die sie gesehen hat, und von Geisterstimmen, die sie gehört hat, und was weiß ich alles. Jetzt werde ich sie aber gründlich ausstechen."

„Haben Sie denn Geisterstimmen gehört?" erkundigte sich Lillebror.

„Ja, weißt du nicht noch, wie es vorhin vor dem Fenster muhte, als die Wecken verschwanden? Ich werde versuchen, das im Fernsehen nachzumachen, damit die Leute hören, wie es klang."

Und Fräulein Bock begann so zu muhen, daß Lillebror vom Stuhl hochsprang.