„Sieh mal, da ist Rotkäppchen!" rief Lillebror und hob die staubige kleine Briefmarke schleunigst auf.
Karlsson sah zufrieden aus.
„So mach' ich das", sagte er. „Ich niese nur ein einziges Mal, und schon schaffe ich Sachen herbei. Vielleicht hörst du jetzt also auf, wegen Rotkäppchen zu zetern!"
Lillebror putzte seine Briefmarke sauber und freute sich sehr.
Da nieste Karlsson noch einmal, und eine Staubwolke wirbelte vom Fußboden auf.
„Der beste Nieser der Welt, rate, wer das ist!" sagte Karlsson.
„Ich kann allen Staub auf den Platz zurückniesen, wo er hinge-hört. Warte, du sollst mal sehen."
Lillebror hörte nicht zu. Er dachte jetzt nur noch an seine Briefmarke, die er schnell einkleben wollte.
Karlsson aber stand inmitten einer Staubwolke und nieste. Er nieste und nieste, und als er fertig geniest hatte, war fast der ganze Staubhaufen vom Fußboden weggeniest.
„Da siehst du, eine Papiertüte ist gar nicht nötig", sagte Karlsson. „Und jetzt liegt aller Staub da, wo er immer liegt. Ordnung muß sein, so gefällt es mir. Wenn ich es nicht ein bißchen säuberlich um mich habe, dann mach' ich nicht mit!"
Lillebror aber betrachtete nur seine Briefmarke. Die war jetzt eingeklebt. Oh, wie schön sie war!
„Muß man dir noch einmal die Ohren aussaugen?" fragte Karlsson. „Du hörst ja nicht zu."
»Was hast du gesagt?" fragte Lillebror.
„Ich habe gesagt: Es ist doch wohl nicht so gedacht, daß ich allein rackern und schuften soll, bis ich Blasen an den Händen kriege. Hier habe ich für dich geputzt und geputzt, da ist es nicht zuviel verlangt, daß du mit raufkommst und jetzt bei mir putzt."
Lillebror warf das Briefmarkenalbum hin. Mit aufs Dach hin-aufgehen - es gab nichts, was er lieber getan hätte! Er war nur ein einziges Mal in Karlssons kleinem Haus oben auf dem Dach gewesen. Damals hatte Mama gewaltigen Lärm geschlagen und die Feuerwehr gerufen, damit die ihn wieder herunterhole.
Lillebror überlegte. Das war lange her, er war jetzt ein so großer Junge geworden, daß er auf jedes beliebige Dach klettern konnte. Ob Mama das aber einsah, das hätte er gern gewußt. Sie war ja nicht zu Hause, daher konnte er sie nicht fragen. Wahrscheinlich war es klüger, wenn man es ließ.
„Na, kommst du mit?" fragte Karlsson.
Lillebror überlegte es sich noch einmal.
„Wenn du mich aber losläßt, während wir fliegen", sagte er besorgt.
Karlsson sah gar nicht besorgt aus.
„Na wenn schon", sagte er, „es gibt so viele Kinder. Eins mehr oder weniger, das stört keinen großen Geist."
Lillebror wurde richtig böse auf Karlsson.
„Bei mir stört es aber wohl einen großen Geist, wenn ich es nämlich bin, der runterfällt."
„Ruhig, nur ruhig", sagte Karlsson und streichelte ihm den Kopf. „Du fällst nicht runter. Ich halte dich genauso fest, wie meine Großmutter mich festgehalten hat. Wenn du auch nur ein schmuddeliger kleiner Junge bist, so gefällst du mir gewissermaßen doch ganz gut. Besonders jetzt, wo du großreingemacht worden bist und so."
Er streichelte Lillebror noch einmal.
„Ja, es ist komisch, aber du gefällst mir trotzdem, wenn du auch
'n dummer kleiner Junge bist. Wart nur, bis wir auf dem Dach sind, dann drücke ich dich, daß du blau im Gesicht wirst, genau wie meine Großmutter es mit mir gemacht hat."
Er drehte an den Knopf auf seinem Bauch, der Motor sprang an, und Karlsson umfaßte Lillebror mit festem Griff. Sie flogen zum Fenster hinaus und hinauf ins Blau. Die zerrissene Gardine bauschte sich leicht, so als wollte sie „auf Wiedersehen" sagen.
Bei Karlsson daheim
Kleine Häuser, die auf Dächern stehen, können richtig gemütlich' sein, vor allem so eins wie Karlssons. Karlssons Haus hat grüne Fensterläden und eine kleine Vortreppe oder einen Vorplatz, auf dem man großartig sitzen kann. Man kann dort abends sitzen und sich die Sterne ansehen und tagsüber dort Saft trinken und Kuchen essen, das heißt, sofern man Kuchen hat. Nachts kann man dort schlafen, falls es im Hause zu heiß ist, und morgens kann man dort erwachen und die Sonne über den Dächern von Östermalm aufgehen sehen.
Ja, es ist wirklich ein gemütliches Haus, und es steht zwischen einem Schornstein und einer Brandmauer so gut versteckt, daß man es kaum sieht. Es sei denn, man geht gelegentlich oben auf dem Dach umher und gerät ausgerechnet hinter den Schornstein.
Das tut aber selten jemand.
„Es ist alles so verändert hier oben", sagte Lillebror, als Karlsson mit ihm auf dem Treppenvorplatz seines Hauses gelandet war.
„Ja, Gott sei Dank", sagte Karlsson.
Lillebror blickte sich um.
„Mehr Dach und so was", sagte er.
„Mehrere Kilometer Dach", sagte Karlsson, „auf denen man herumgehen und so viele Streiche machen kann, wie man will."
„Wollen wir nicht ein bißchen Streiche machen?" fragte Lillebror eifrig. Es fiel ihm wieder ein, wie aufregend es das vorige Mal gewesen war, als er und Karlsson oben auf dem Dach zusammen Streiche gemacht hatten.
Aber Karlsson sah ihn streng an.
„Damit du nicht zu putzen brauchst, was? Ich soll mir zuerst die Seele aus dem Leibe schuften, damit es unten bei dir ein bißchen säuberlich aussieht, und dann läufst du den Rest des Tages herum und machst Streiche. So hattest du dir das wohl gedacht, was?"
Lillebror hatte sich überhaupt nichts gedacht.
„Ich will gern beim Putzen helfen, wenn es nötig ist", sagte er.
„Aha, so", sagte Karlsson.
Er machte die Tür zu seinem Haus auf, und Lillebror trat bei dem besten Karlsson der Welt ein.
„Doch, auf jeden Fall", sagte Lillebror, „wenn es nötig ist, dann ..."
Er stand lange Zeit stumm da, und seine Augen wurden ganz groß.
„Es ist nötig", sagte er schließlich.
In Karlssons Haus gab es nur einen Raum. In diesem Raum hatte Karlsson eine Hobelbank stehen, zum Hobeln und zum Essen und zum Ablegen von Sachen. Und dann ein Sofa zum Schlafen und Draufherumhüpfen und zum Aufbewahren von Sachen. Und dann zwei Stühle zum Sitzen und zum Draufstellen von Sachen und zum Draufsteigen, wenn er irgendwelche Sachen in seinen Schrank stopfen wollte. Das ging aber nicht, denn der Schrank war schon voll von anderen Sachen, von denen, die nicht auf dem Fußboden stehen und nicht an den Wänden hängen
konnten, weil dort schon andere Sachen an Nägeln hingen - und zwar eine ganze Menge. Karlsson hatte einen Kamin mit Sachen darin und mit einem eisernen Rost, auf dem er kochen konnte.
Oben auf dem Kaminsims standen viele Sachen. Nur an der Decke hingen fast gar keine Sachen. Bloß ein Drehbohrer und ein Beutel mit Nüssen und eine Knallkorkenpistole und eine Kneifzange und ein Paar Pantoffeln und eine Säge und Karlssons Nachthemd und der Abwaschlappen und der Schürhaken und ein kleiner Rucksack und ein Beutel mit getrockneten Kirschen, sonst gar nichts weiter.
Lillebror blieb lange auf der Schwelle stehen und sah sich um.
„Da bleibt dir die Sprache weg, was?" sagte Karlsson. „Hier sind Sachen! Nicht so wie bei dir unten, wo fast gar keine Sachen sind."
„Ja wahrhaftig, hier sind Sachen", sagte Lillebror. „Aber ich dachte, du willst putzen."
Karlsson warf sich aufs Sofa und legte sich bequem zurecht.
„Das könnte dir so passen", sagte er. „Ich will nicht putzen. Du willst putzen - nachdem ich mich unten bei dir abgerackert habe.
Oder etwa nicht?"
„Willst du denn überhaupt nicht helfen?" fragte Lillebror zag-haft.