„Wenn man aber Ohrenschmerzen hat, dann darf man", sagte Lillebror und kletterte auf Mamas Schoß.
Da läutete es an der Tür. Es war Fräulein Bock. Lillebror durfte nicht länger auf Mamas Schoß sitzen. Aber während Fräulein Bock bei Mama war, stand er die ganze Zeit neben Mamas Stuhl und legte das kranke Ohr gegen ihren Arm, und wenn es hin und wieder im Ohr stach, wimmerte er leise.
Lillebror hatte gehofft, Fräulein Bock wäre jung und hübsch und nett, so ungefähr wie die Lehrerin in der Schule. Aber sie war eine mürrische ältere Dame, die sehr energisch auftrat, und sie war groß und füllig, hatte mehrere Kinne und außerdem solche
„bösen Augen", vor denen Lillebror große Angst hatte. Er fühlte sofort, daß er sie nicht mochte. Das fühlte Bimbo offenbar auch, denn er bellte, so laut er konnte.
„Aha, hier ist ein Hund im Hause", sagte Fräulein Bock.
Mama sah beunruhigt aus.
„Mögen Sie Hunde nicht, Fräulein Bock?" fragte sie.
„O doch, wenn sie wohlerzogen sind", sagte Fräulein Bock.
„Ob Bimbo nun gerade wohlerzogen ist, weiß ich allerdings nicht", sagte Mama verlegen.
Fräulein Bock nickte energisch.
„Das wird er aber werden, falls ich mich entschließe, diese Stellung anzunehmen. Ich habe schon öfter mit Hunden zu tun gehabt."
Lillebror hoffte von ganzem Herzen, daß sie sich nicht entschließen möge. Da stach es gerade wieder in seinem Ohr, und er konnte ein leises Jammern nicht unterdrücken.
„Jaja, Hunde, die jaulen, und Kinder, die maulen", sagte Fräulein Bock und verzog den Mund. Es sollte wohl ein Scherz sein, Lillebror fand den Scherz aber nicht weiter komisch, und er sagte leise, so mehr vor sich hin:
„Und meine Schuhe knarren auch."
Mama hörte es. Sie wurde rot und sagte schnelclass="underline"
„Ich hoffe, Sie mögen Kinder gern, Fräulein Bock, oder nicht?"
„Ja, wenn sie wohlerzogen sind", sagte Fräulein Bock und sah Lillebror fest an.
Wieder sah Mama so sonderbar verlegen aus.
„Ob Lillebror nun gerade wohlerzogen ist, weiß ich nicht", murmelte sie.
„Das wird er aber werden", sagte Fräulein Bock. „Warten Sie nur ab, ich habe schon öfter mit Kindern zu tun gehabt."
Lillebror bekam Angst. Ihm taten diese Kinder leid, mit denen Fräulein Bock schon öfter zu tun gehabt hatte. Jetzt würde er selbst so ein Kind werden, kein Wunder, daß ihm unbehaglich zumute war.
Mama schienen auch Bedenken zu kommen. Sie strich Lillebror liebevoll über das Haar und sagte:
„Bei Lillebror kommt man mit Freundlichkeit am weitesten."
„Das nützt aber nicht immer", sagte Fräulein Bock. „Kinder brauchen auch eine feste Hand."
Darauf sagte Fräulein Bock, wieviel Lohn sie haben wollte, und verlangte, daß man sie „Haushälterin" nennen solle und nicht „Hausgehilfin", und dann war die Sache abgemacht.
In diesem Augenblick kam Papa vom Büro nach Hause, und Mama stellte vor:
„Unsere Haushälterin, Fräulein Bock!"
„Unser Hausbock", sagte Lillebror. Dann schlüpfte er zur Tür hinaus, so schnell er konnte. Bimbo sauste wild bellend hinterdrein.
Und am nächsten Tage fuhr Mama zur Großmutter. Alle weinten, als sie wegfuhr, am allermeisten Lillebror.
„Ich will nicht mit dem Hausbock allein sein", schluchzte er.
So würde es aber kommen, das wußte er. Birger und Betty waren bis zum späten Nachmittag in der Schule, und Papa kam auch nicht vor fünf Uhr vom Büro nach Hause. Viele, viele Stunden täglich würde Lillebror allein gegen den Hausbock kämpfen müssen. Deswegen weinte er. Mama gab ihm einen Kuß.
„Versuch nun, tapfer zu sein - mir zuliebe! Und was du auch sonst anstellen magst - nenne sie nicht Hausbock!"
Schon am nächsten Tage begann das Elend, als Lillebror von der Schule heimkam. Keine Mama stand in der Küche und hatte Kakao und Zimtwecken bereit, sondern nur Fräulein Bock, und sie sah keineswegs erfreut aus, als sie Lillebror sah.
„Zwischen den Mahlzeiten zu essen verdirbt den Appetit", sagte sie. „Wecken gibt's nicht."
Und dabei hatte sie sogar Wecken gebacken. Am offenen Fenster stand ein ganzer Kuchenteller voll zum Abkühlen.
„Ja, aber ...", sagte Lillebror.
„Kein Aber", sagte Fräulein Bock. „Übrigens will ich Kinder in der Küche nicht haben. Geh in dein Zimmer und mach deine Schularbeiten, häng die Jacke auf, und wasch dir die Hände!"
Lillebror ging in sein Zimmer, wütend und hungrig. Bimbo lag in seinem Körbchen und schlief, fuhr aber hoch wie eine Rakete, als Lillebror kam. Es war wenigstens einer da, der sich freute, ihn zu sehen. Lillebror schlang die Arme um Bimbo.
„Ist sie dir auch dumm gekommen? Oh, ich kann sie nicht aus-stehen! ,Häng die Jacke auf, und wasch dir die Hände' - soll ich nicht auch die Sachen lüften und mir die Füße waschen, was?
„Ich hänge immer die Jacke auf, ohne daß mir's einer sagt, verstanden!"
Er schmiß die Jacke in Bimbos Korb, und Bimbo legte sich sofort darauf und knabberte ein bißchen an dem einen Ärmel.
Lillebror trat ans Fenster und schaute hinaus. Da stand er nun und spürte so richtig, wie traurig er war und wie sehr er sich nach Mama sehnte. Plötzlich sah er etwas, was ihn aufmunterte.
Über dem Hausdach jenseits der Straße machte Karlsson Flugübungen. Er kreiste zwischen den Schornsteinen umher und schlug ab und zu einen Purzelbaum in der Luft.
Lillebror winkte ihm eifrig zu, und Karlsson kam mit solcher Geschwindigkeit durch das Fenster gebraust, daß Lillebror beiseite springen mußte, wenn er ihn nicht an den Kopf kriegen wollte.
„Heißa hopsa, Lillebror", sagte Karlsson. „Hab' ich dir etwa was getan, oder weshalb machst du so ein saures Gesicht? Ist dir nicht wohl?"
„Nein, wahrhaftig nicht", sagte Lillebror. Und nun erzählte er Karlsson von seinem Kummer. Daß Mama verreist sei und daß sie statt dessen einen Hausbock bekommen hätten, so einen, der schimpfte und meckerte und so geizig war, daß man nicht mal einen Wecken kriegte, wenn man von der Schule nach Hause kam, obgleich eine ganze Platte mit frisch gebackenen Wecken am Fenster stand.
Karlssons Augen begannen zu funkeln.
„Du hast Glück", sagte er, „der beste Hausbockbändiger der Welt, rate, wer das ist!"
Lillebror erriet gleich, daß es Karlsson sein müsse. Wie Karlsson aber Fräulein Bock bändigen wollte, das konnte er sich nicht vorstellen.
„Ich fange damit an, daß ich sie tirritiere", sagte Karlsson.
„,Irritiere', meinst du", sagte Lillebror.
Solche dummen Bemerkungen mißfielen Karlsson.
„Hätte ich ,irritierenc gemeint, dann hätte ich es gesagt. ,Tirri-tieren' ist ungefähr dasselbe, nur noch teuflischer, das hörst du dem Wort schon an."
Lillebror probierte es und mußte Karlsson recht geben. „Tirri-tieren" klang teuflischer.
„Ich glaube, ich fange mit einem bißchen Wecken-Tirritierung an", sagte Karlsson. „Und du mußt helfen."
„Wie denn?" fragte Lillebror.
„Geh einfach nur in die Küche und unterhalte dich mit dem Hausbock."
„Ja, aber ...", sagte Lillebror.
„Kein Aber", sagte Karlsson. „Unterhalte dich mit ihr, so daß ihre Augen ein Weilchen von der Weckenplatte abgelenkt sind."
Karlsson gluckste vor Lachen. Dann drehte er am Startknopf, und der Motor begann zu brummen. Munter glucksend steuerte Karlsson zum Fenster hinaus.
Und Lillebror ging kühn in die Küche. Jetzt hatte er den besten Hausbockbändiger der Welt, und nun fürchtete er nichts mehr.
Diesmal war Fräulein Bock noch weniger erfreut, ihn zu sehen.
Sie war nämlich dabei, sich Kaffee zu kochen, und Lillebror merkte, sie wollte es sich jetzt ein Weilchen behaglich machen mit Kaffee und frischen Wecken. Es waren anscheinend nur Kinder, denen es schlecht bekam, wenn sie zwischen den Mahlzeiten etwas aßen.