„Eier ausgebrütet — nein! Dagesessen und über meine Sünden nachgedacht — nein! Auf dem Bord gelegen und mich ausgeruht — ja", sagte Karlsson.
Lillebror vergaß ganz, daß er wütend war. Er freute sich nur, daß Karlsson doch wieder zum Vorschein gekommen war.
„Dieser Wandschrank ist prächtig zu brauchen, wenn man Versteck spielen will", sagte Karlsson. „Das tun wir, ja? Ich leg' mich wieder auf das Bord, und du rätst, wo ich bin."
Bevor Lillebror noch eine Antwort geben konnte, war Karlsson im Wandschrank verschwunden, und Lillebror hörte, wie er kletterte, um auf das Bord zu kommen. „Jetzt such!" schrie Karlsson.
Lillebror öffnete die Schranktür sperrangelweit und fand Karlsson ohne weitere Schwierigkeiten auf dem Bord. „O pfui, bist du aber gemein!" schrie Karlsson. „Du kannst doch schließlich erst mal im Bett suchen und unterm Tisch und überall woanders. Ich spiel' nicht mit, wenn du'« so machst. Pfui, wie bist du gemein!"
In dieser Sekunde läutete es an der Wohnungstür, und kurz darauf rief Mama vom Korridor her:
„Lillebror, Krister und Gunilla sind da."
Mehr brauchte es nicht, um Karlsson wieder in gute Laune zu versetzen.
„Denen wollen wir einen Streich spielen", flüsterte er. „Mach die Tür hinter mir zu."
Lillebror schloß die Schranktür, und kaum hatte er das getan, da kamen Gunilla und Krister. Sie wohnten in derselben Straße wie Lillebror und waren in der Schule in derselben Klasse. Lillebror hatte Gunilla sehr gern, er redete immer wieder einmal mit seiner Mutter von ihr und wie „phenominonal goldig" sie sei. Krister mochte er auch und hatte ihm schon die Beule an der Stirn verziehen. Es kam ziemlich häufig vor, daß er sich mit Krister prügelte, aber hinterher waren sie immer gleich wieder gute Freunde. Übrigens geriet Lillebror nicht nur mit Krister in Prügeleien; er hatte mit fast allen Kindern auf der Straße wilde Sträuße ausgefochten.
Aber auf Gunilla ließ er nichts kommen. „Wie kommt es eigentlich, daß du Gunilla nie verhaust?" fragte ihn seine Mutter einmal.
„Nee, sie ist so phenominonal goldig, das brauche ich nicht", sagte Lillebror.
Aber Gunilla konnte ihn selbstverständlich auch hin und wieder piesacken. Gestern, als sie von der Schule kamen, hatte Lillebror von Karlsson vom Dach erzählt, und da hatte Gunilla gelacht und gesagt, Karlsson sei nur eine Einbildung, nur ein Gedanke. Und Krister hatte ihr recht gegeben, so daß Lillebror gezwungen war, ihn zu verhauen, und da war es dann passiert, daß Krister dem Lillebror jenen Stein an den Kopf geschmissen hatte.
Aber jetzt kamen sie zu ihm, und Krister hatte Joffa mitgebracht. Und um Joffas willen vergaß Lillebror sogar Karlsson, der auf dem Bord im Wandschrank lag. Hunde waren das Süßeste, was es auf der Welt gab, fand Lillebror. Joffa sprang hoch und bellte, und Lillebror legte die Arme um seinen Hals und streichelte ihn. Krister stand daneben und sah ruhig zu. Er wußte ja, das Joffa sein Hund war und niemand anderem gehörte, und darum mochte Lillebror ihn streicheln, soviel er wollte.
Als Lillebror gerade im besten Streicheln war, sagte Gunilla mit einem spöttischen Kichern:
„Wo hast du denn deinen alten Karlsson vom Dach? Wir dachten, er wäre hier."
Erst jetzt fiel es Lillebror ein, daß Karlsson auf dem Bord im Wandschrank lag. Da er aber nicht wußte, was für einen Streich Karlsson diesmal vorhatte, konnte er es Krister und Gunilla nicht erzählen. Darum sagte er nur:
„Pfff, du sagst ja, Karlsson vom Dach ist nur eine Einbildung.
Du sagtest gestern, er sei nur ein Gedanke."
„Ja, das ist er doch auch nur", sagte Gunilla und lachte so, daß die beiden Grübchen zum Vorschein kamen, die sie in den Wangen hatte.
„Denk mal, und dabei ist er das nicht", sagte Lillebror. Er sah sehr überlegen aus.
„Doch ist er es", sagte Krister.
„Das ist er gerade gar nicht", sagte Lillebror.
Er überlegte, ob es einen Sinn hätte, dies „vernünftige Gespräch" fortzusetzen, oder ob es nicht ebenso gut wäre, Krister gleich eine runterzuhauen. Aber ehe er sich noch hatte entscheiden können, hörte man aus dem Wandschrank drinnen ein lautes und vernehmliches „Kikiriki".
„Was war denn das}" fragte Gunilla und sperrte ihren Mund, der klein und rot wie eine Kirsche war, vor Verwunderung weit auf.
„Kikiriki", machte es noch einmal, und es hörte sich genau wie ein richtiger Gockelhahn an.
„Hast du einen Hahn im Schrank?" fragte Krister betroffen. Joffa knurrte. Aber Lillebror lachte. Er konnte kein Wort hervorbringen, so lachte er. „Kikiriki", kam es aus dem Wandschrank. „Ich mache auf und sehe nach", sagte Gunilla. Sie machte die Tür auf und guckte hinein. Und Krister sprang hinzu und guckte ebenfalls hinein. Zuerst sahen sie nichts weiter als einen Haufen Kleidungsstücke, die hier hingen. Aber dann hörten sie von oben ein Gekicher, und als sie hinaufblickten, bekamen sie einen kleinen dicken Mann zu Gesicht, der oben auf dem Bord lag. Er lag bequem auf den einen Ellenbogen gestützt und ließ das eine kurze dicke Bein baumeln, und er hatte vergnügte blaue Augen, die hell leuchteten.
Weder Gunilla noch Krister sagten zunächst ein Wort, nur Joffa knurrte von neuem. Als Gunilla aber ihre Sprache wiedergefunden hatte, sagte sie: „Wer ist das?"
„Nur eine kleine Einbildung", sagte die absonderliche Gestalt da oben auf dem Bord und ließ das eine Bein noch mehr baumeln. „Eine kleine Einbildung, die hier liegt und sich ausruht. Kurz gesagt — ein Gedanke!"
„Ist das ... ist das ...", stammelte Krister.
„'n kleiner Gedanke, der daliegt und kräht, schlicht und recht, nichts weiter", sagte der kleine Mann.
„Ist es Karlsson vom Dach?" fragte Gunilla flüsternd.
„Ja, was denkst du sonst?" sagte Karlsson. „Denkst du, es sei die alte Frau Gustafsson aus Nr. zweiundneunzig, die sich hier heraufgeschlichen und für eine Weile zusammengerollt hat?"
Lillebror lachte nur, weil Gunilla und Krister dastanden, die Münder aufsperrten und so dumm aussahen.
„Jetzt glaube ich, ihr habt eins drauf gekriegt, so daß ihr künftig schweigt", sagte Lillebror endlich.
Karlsson hopste mit einem leichten Satz vom Bord herunter. Er trat auf Gunilla zu und kniff sie schelmisch in die Wange.
„Was ist denn das hier für ein kleiner alberner Gedanke, was?" sagte er.
„Wir ..." begann Krister.
„Was hast du eigentlich sonst noch für einen Namen außer August?" fragte Karlsson.
„Ich heiße nicht August", sagte Krister.
„Gut, mach so weiter", sagte Karlsson.
„Die heißen Gunilla und Krister", sagte Lillebror.
„Ja, es ist kaum zu glauben, was den Leuten so alles
widerfahren kann", sagte Karlsson. „Aber laßt es euch nicht
verdrießen — alle können ja leider nicht Karlsson heißen."
Er blickte sich neugierig um und fuhr fort, ohne Atem zu holen:
„Ich fühle mich zu einem kleinen Schabernack aufgelegt. Können wir nicht die Stühle aus dem Fenster schmeißen oder so was Ähnliches?"
Lillebror meinte, das sei nicht gerade gut, und er war sicher, daß es auch Mama und Papa nicht gefallen würde. „Nein, wer altmodisch ist, der ist eben altmodisch", sagte Karlsson, „dabei ist nichts zu machen. Dann müssen wir uns eben etwas anderes ausdenken, denn einen Schabernack will ich machen. Sonst spiel' ich nicht mehr mit", sagte er und kniff eigensinnig den Mund zusammen.
„Ja, wir können uns vielleicht was anderes ausdenken", sagte Lillebror bittend.
Aber Karlsson war offenbar entschlossen, zu maulen. „Hütet euch, daß ich euch nicht davonfliege", sagte er. Sowohl Lillebror als auch Krister und Gunilla waren sich darüber klar, welch ein Unglück das sein würde, und sie flehten und bettelten Karlsson, bei ihnen zu bleiben. Karlsson saß eine Zeitlang da und sah noch immer ziemlich bockig aus.