Sie mußte doch begreifen, daß man nicht nein sagen konnte, wenn der beste Dampfmaschinenaufpasser der Welt sich erbot, einem die Dampfmaschine in Gang zu bringen.
„Man muß für das, was man getan hat, einstehen, Lillebror", sagte Papa, „und es nicht jemand in die Schuhe schieben, der Karlsson vom Dach heißt und den es nicht gibt."
„Wohl gibt's den", sagte Lillebror.
„Und fliegen kann er auch", sagte Birger höhnisch.
„Ja, denk mal, das kann er", sagte Lillebror. „Ich hoffe, er kommt wieder. Dann kannst du es selber sehen."
„Wenn er doch bloß morgen käme", sagte Betty. „Du be-kommst eine Tafel Schokolade von mir, Lillebror, falls ich Karlsson vom Dach sehen kann."
„Morgen kommt er sicher nicht", sagte Lillebror, „denn er wollte in eine Werkstatt gehen und sich durchölen lassen." „Ach, du scheinst mir wahrhaftig auch eine gründliche Ölung nötig zu haben", sagte Mama. „Schau, wie das Bücherbord aussieht!"
„Das stört keinen großen Geist, sagt Karlsson!" Lillebror holte überlegen mit dem Arm aus, genau so, wie Karlsson es getan hatte, damit Mama begriff, die Sache mit dem Bücherbord war wirklich nicht so schlimm, als daß man deswegen so schelten mußte. Aber das verfing nicht bei Mama.
„Aha, das sagt Karlsson", erwiderte sie. „Grüß Karlsson, und wenn er noch einmal seine Nase hier hereinsteckt, dann werde ich ihn durchölen, so daß er ewig daran denken wird." Lillebror gab keine Antwort. Er fand es abscheulich, daß Mama so von dem besten Dampfmaschinenaufpasser der Welt sprach. Aber es war ja nichts weiter, als was man an so einem Tag erwarten konnte, da sie sich ohne Zweifel alle miteinander entschlossen hatten, verdreht zu sein.
Lillebror hatte plötzlich Sehnsucht nach Karlsson. Karlsson, der munter und fröhlich war und mit dem Arm ausholte und sagte, ein Unglück, das störe keinen großen Geist und daraus brauche man sich nichts zu machen. Richtig große Sehnsucht hatte Lillebror nach Karlsson. Und gleichzeitig fühlte er sich etwas beunruhigt. Wenn nun Karlsson nie mehr wiederkam? „Ruhig, nur ruhig", sagte Lillebror zu sich selber, genau so, wie Karlsson gesagt hatte. Karlsson hatte es ja versprochen.
Und Karlsson war ein Mann, auf den man sich verlassen konnte, das war zu merken. Es dauerte nur ein paar Tage, da erschien er wieder. Lillebror lag in seinem Zimmer auf dem Fußboden und las, als er das Brummen wieder hörte, und da kam Karlsson durch das Fenster hereingebrummt wie eine riesengroße Hummel. Er summte eine fröhliche kleine Weise, während er an den Wänden entlang im Zimmer herumflog. Hin und wieder hielt er inne, um sich die Bilder anzusehen. Er legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen. „Schöne Bilder", sagte er. „Wirklich schöne Bilder! Wenn vielleicht auch nicht ganz so schön wie meine." Lillebror war aufgesprungen und stand nun da, wild vor Eifer. Er freute sich so, daß Karlsson wiedergekommen war. „Hast du viele Bilder oben bei dir?" fragte er.
„Mehrere Tausend", sagte Karlsson. „Male sie selber in meiner freien Zeit; voll von kleinen Gockelhähnen und Hühnern und Küken. Ich bin der beste Gockelhahnmaler der Welt", sagte Karlsson und landete mit einem eleganten Schwung neben Lillebror.
„Denk bloß mal an", sagte Lillebror. „Übrigens — kann ich nicht mit raufkommen und dein Haus und deine Dampfmaschinen und deine Bilder ansehen?"
„Natürlich", sagte Karlsson. „Selbstverständlich! Du bist herzlich willkommen. Gelegentlich." „Bald", bat Lillebror.
„Ruhig, nur ruhig", sagte Karlsson. „Ich muß erst ein bißchen aufräumen, aber es dauert nicht lange. Der beste Schnellaufräumer der Welt, rat mal, wer das ist", fragte Karlsson schalkhaft. „Das bist du vielleicht?" sagte Lillebror. „Vielleicht", schrie Karlsson, „vielleicht? Daran brauchst du keine Minute zu zweifeln! Der beste Schnellauf räumer der Welt, das ist Karlsson vom Dach. Das weiß doch jeder." Und Lillebror glaubte gern, daß Karlsson „der beste der Welt" in allen Dingen war. Sicherlich war er auch der beste Spielkamerad der Welt, das Gefühl hatte man. Krister und Gunilla waren zwar sehr nett, aber sie waren nicht so aufregend wie Karlsson vom Dach. Lillebror beschloß, Krister und Gunilla von Karlsson zu erzählen, wenn sie das nächste Mal von der Schule zusammen nach Hause gingen. Krister redete immer so viel von seinem Hund, der Joffa hieß. Lillebror war längst schon auf Krister neidisch wegen dieses Hundes. Wenn er aber morgen mit seinem alten Joffa ankommt, dann erzähle ich ihm von Karlsson, dachte Lillebror. Was ist Joffa gegen Karlsson vom Dach, werde ich sagen.
Und dennoch gab es nichts auf der Welt, wonach Lillebror sich so sehr sehnte wie gerade nach einem eigenen Hund. — Karlsson unterbrach seine Grübeleien.
„Ich fühle mich zu einem Spaß aufgelegt", sagte er und sah sich neugierig um. „Hast du nicht noch eine Dampfmaschine?" Lillebror schüttelte den Kopf. Die Dampfmaschine! Jetzt hatte er Karlsson ja hier, jetzt konnten Mama und Papa sehen, daß es Karlsson gab. Und Birger und Betty auch, falls sie zu Hause waren.
„Willst du mitkommen und Mama und Papa guten Tag sagen?" fragte Lillebror.
„Mit tausend Freuden", sagte Karlsson. „Es wird ihnen ein Vergnügen sein, mich kennenzulernen, so schön und durch und durch gescheit, wie ich bin!"
Karlsson spazierte im Zimmer auf und ab und sah zufrieden aus.
„Auch gerade dick genug", fügte er hinzu. „Ein Mann in meinen besten Jahren. Wird deiner Mama ein Vergnügen sein, mich kennenzulernen."
In diesem Augenblick spürte Lillebror den ersten schwachen Geruch von frisch gebratenen Fleischklößen aus der Küche, und er wußte, daß es jetzt gleich Zeit zum Abendessen war. Lillebror beschloß, bis nach dem Abendessen zu warten und erst dann Karlsson zu Mama und Papa zu bringen. Es ist nie gut, Mütter zu stören, wenn sie Fleischklöße braten. Außerdem konnte es ja sein, daß Mama oder Papa die Absicht hatte, mit Karlsson über die Dampfmaschine zu reden und die Flecke auf dem Bücherbord. Und das mußte vermieden werden. Das mußte um jeden Preis vermieden werden. Bei Tisch würde Lillebror auf irgendeine listige Weise seinen Eltern beibringen, wie man sich gegen den besten Dampfmaschinenaufpasser der Welt benimmt. Er brauchte nur etwas Zeit dazu. Nach dem Essen — das würde richtig sein. Dann wollte er die ganze Familie mit in sein Zimmer nehmen. Bitte sehr, hier habt ihr Karlsson vom Dach, wollte er sagen. Wie die staunen würden! Es würde wirklich Spaß machen, ihr Erstaunen zu sehen.
Karlsson war stehengeblieben. Er stand still und schnupperte wie ein Hühnerhund.
„Fleischklöße", sagte er, „kleine gute Fleischklößchen ess' ich sehr gerne!"
Lillebror wurde etwas verlegen. Da gab es eigentlich nur eins, was man darauf sagen konnte. Willst du dableiben und bei mir zu Abend essen — das war es, was er eigentlich sagen mußte. Aber er wagte nicht, so ohne weiteres Karlsson zum Essen mitzubringen. Etwas ganz anderes war es, wenn Krister und Gunilla bei ihm waren. Da konnte er, wenn es sich so traf, im letzten Augenblick, wenn die ganze übrige Familie sich schon gesetzt hatte, kommen und sagen: Liebe Mama, Krister und Gunilla dürfen doch auch ein bißchen Erbsen und Pfannkuchen mitessen?
Aber ein völlig unbekannter kleiner dicker Mann, der eine Dampfmaschine kaputtgemacht und Flecken auf das Bücherbord gemacht hatte — nein, das ging wirklich nicht an. Andererseits hatte dieser kleine dicke Mann gerade gesagt, er esse gute Fleischklößchen so gern. Es war Lillebrors Sache, zu versuchen, ob er nicht welche bekommen konnte, sonst mochte Karlsson vielleicht nicht mehr mit Lillebror zusammen sein. Ach, eine ganze Menge hing von Mamas Fleischklößen ab!