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Aber es war leer ohne ihn, furchtbar leer.

„Jetzt trinken wir Kaffee und kümmern uns nicht mehr um Karlsson", sagte Papa und strich Lillebror tröstend über die Wange.

Sie tranken den Kaffee immer im Wohnzimmer vor dem brennenden Kamin. Das taten sie heute abend auch, obwohl draußen warmer, heller Frühling war und die Linden auf der Straße schon kleine grüne Blättchen bekommen hatten. Lillebror machte sich nichts aus Kaffee, aber er fand es schön, mit Mama und Papa und Birger und Betty vor dem offenen Feuer zu sitzen.

„Mach einen Augenblick die Augen zu, Mama", sagte Lillebror, nachdem Mama das Kaffeetablett auf den kleinen

Tisch neben dem offenen Kamin gestellt hatte.

„Weshalb soll ich die Augen zumachen?"

„Ja, du hast doch gesagt, du möchtest nicht sehen, daß ich Zucker esse, und ich wollte mir gerade ein Stückchen

nehmen", sagte Lillebror.

Er brauchte etwas als Trost, das fühlte er deutlich. Warum war Karlsson nicht mehr da? Das konnte man wirklich nicht machen — verschwinden und nur einen kleinen Fleischkloß hinterlassen.

Lillebror saß auf seinem Lieblingsplatz auf dem Kaminsockel, so dicht neben dem Feuer, wie er nur konnte. Diese Kaffeestunde nach dem Essen war fast das Gemütlichste vom ganzen Tag. Man konnte mit Papa und Mama reden, und sie hörten zu, was man sagte. Dazu hatten sie sonst nicht immer Zeit. Es machte auch Spaß, Birger und Betty zuzuhören, wenn sie sich gegenseitig neckten und wenn sie von der „Penne" redeten. Die „Penne" war ohne Zweifel eine ganz andere und feinere Art von Schule als die Kleinkinderschule, in die Lillebror ging. Lillebror hätte gern auch von seiner „Penne" erzählt, aber außer Mama und Papa interessierte sich niemand dafür, was sich dort zutrug. Birger und Betty lachten nur darüber, und Lillebror hütete sich wohlweislich, etwas zu sagen, worüber Birger und Betty sich lustig machen konnten. Es hatte übrigens gar keinen Zweck, daß sie versuchten, ihn zu ärgern, — er war ein Meister darin, wiederzuärgern. Das mußte man können, wenn man einen Bruder hatte wie Birger und eine Schwester wie Betty.

„Na, Lillebror, konntest du heute deine Aufgaben?" erkundigte sich Mama.

Aus dieser Art von Unterhaltung machte Lillebror sich nichts. Da aber Mama eben nichts von dem Stück Zucker gesagt hatte, so mußte er es sich wohl gefallen lassen, daß sie so fragte.

„Ja klar, natürlich konnte ich die Aufgaben", sagte er mürrisch.

Er dachte die ganze Zeit an Karlsson. Wie konnte irgendein Mensch verlangen, daß er sich an die Aufgaben erinnern sollte, solange er nicht wußte, wo Karlsson vorhin geblieben war!

„Was hattet ihr zu heute auf?" fragte Papa. Lillebror wurde ärgerlich. Wollten sie die ganze Zeit so weitermachen? Deshalb saß man doch wohl nicht vor dem Feuer und hatte es gemütlich — damit die Leute von Schulaufgaben redeten.

„Wir hatten das Alphabet auf", sagte Lillebror schnell. „Das ganze lange Alphabet, und ich kann es — zuerst kommt A, und hinterher kommen all die anderen Buchstaben!" Er nahm sich noch ein Stück Zucker und dachte wieder an Karlsson. Die mochten um ihn herum reden und brummen, soviel sie wollten, Lillebror dachte an Karlsson und hätte gern gewußt, ob er ihn wohl wiedersehen würde. Betty weckte ihn aus seinen Träumen.

„Lillebror, hörst du nicht? Möchtest du dir fünfundzwanzig Öre[1] verdienen?"

Allmählich begriff Lillebror, was sie eigentlich sagte. Er hatte nichts dagegen, fünfundzwanzig Öre zu verdienen, aber es kam natürlich darauf an, was Betty von ihm verlangte. „Fünfundzwanzig Öre, das ist zu wenig", sagte er fest. „Wo heutzutage alles so teuer ist. Wieviel, denkst du denn, kostet zum Beispiel ein Fünfziger-Eis?"

„Ja, was soll ich da schätzen?" sagte Betty und machte ein pfiffiges Gesicht. „Etwa fünfzig Öre?"

„Ja, siehst du, das stimmt genau", sagte Lillebror. „Und da wirst du einsehen, daß fünfundzwanzig Öre zu wenig sind." „Du weißt ja noch gar nicht, worum es sich handelt", sagte Betty. „Es ist nichts, was du tun sollst — sondern etwas, was du gerade nicht tun sollst." „Was soll ich denn nicht tun?"

„Du sollst dich heute abend nicht hier im Wohnzimmer zeigen."

„Peter kommt, mußt du wissen", sagte Birger. „Bettys neuer Freund!"

Lillebror nickte. Aha, so hatten sie sich das also gedacht. Mama und Papa wollten ins Kino gehen und Birger zu einem Fußballwettkampf, und Betty wollte mit Peter allein im Wohnzimmer sitzen, und Lillebror sollte in sein Zimmer verwiesen werden — gegen eine lumpige Entschädigung von fünfundzwanzig Öre. Nette Familie, die man hatte.

„Was hat er für Ohren?" fragte Lillebror. „Stehen die ebenso weit ab wie bei deinem früheren Freund?" So mußte man es machen, wenn man Betty ärgern wollte. „Da kannst du's mal hören, Mama", sagte sie. „Verstehst du jetzt, weshalb ich Lillebror aus dem Wege haben will? Er vertreibt jeden einzigen, der zu mir ins Haus kommt." „Oh, das tut er doch gar nicht", sagte Mama begütigend. Sie mochte es nicht, wenn ihre Kinder sich zankten. „Doch tut er das", versicherte Betty. „Hat er nicht etwa Jens vertrieben? Vor den hat er sich eine ganze Weile hingestellt und ihn angestarrt, und dann hat er gesagt: ,Solche Ohren kann Betty nicht leiden.' Das müßt ihr doch einsehen, daß Jens nachher nicht mehr herkommen mochte." „Ruhig, nur ruhig", sagte Lillebror in genau dem gleichen Tonfall wie Karlsson. „Ruhig, nur ruhig! Ich werde in meinem Zimmer bleiben, und ich mach's umsonst. Ich laß mir nichts bezahlen dafür, daß die Leute mich nicht sehen wollen." „Prächtig", sagte Betty. „Deine Hand darauf! Deine Hand darauf, daß du dich den ganzen Abend nicht zeigst." „Hier meine Hand", sagte Lillebror. „Ich bin nicht so wild auf alle deine Peters, das denk man bloß nicht. Ich würde eher fünfundzwanzig Öre dazubezahlen, damit ich sie nicht zu sehen brauche!"

Ein Weilchen später saß Lillebror ganz richtig drinnen in seinem Zimmer — völlig gratis. Mama und Papa waren ins Kino gegangen, Birger war verschwunden, und aus der Wohnstube konnte Lillebror, wenn er seine Tür aufmachte, ein leises Gemurmel hören. Das war Betty, die dort drinnen mit ihrem Peter murmelte. Lillebror machte die Tür ein paarmal auf und versuchte zu verstehen, was sie sagten, aber das ging nicht. Da stellte er sich denn ans Fenster und schaute in die Dämmerung hinaus. Er guckte auf die Straße, um nachzusehen, ob Krister oder Gunilla draußen war. Aber er sah nur ein paar große Jungen, die sich balgten. Es war ganz interessant, er hatte Unterhaltung, solange die Balgerei dauerte, aber leider hörten die Jungen ziemlich bald auf, sich zu hauen, und hinterher war alles wieder genauso langweilig. Da vernahm er ein himmlisches Geräusch. Er hörte das Brummen eines Motors, und allsogleich kam Karlsson zum Fenster hereingesegelt.

„Heißa hopsa, Lillebror", sagte er unbefangen.

„Heißa hopsa, Karlsson", sagte Lillebror. „Wo warst du denn hin?"

„Wieso? Was meinst du?" fragte Karlsson.

„Ja, du warst doch verschwunden", sagte Lillebror. „Als du Mama und Papa guten Tag sagen solltest. Warum bist du ausgerückt?"

Karlsson stemmte die Hände in die Seiten und sah richtig ärgerlich aus.

„Nein, hat man nun so was schon gehört", sagte er. „Darf man sich denn nicht mal um sein Haus kümmern? Ein Hausbesitzer muß doch nach seinem Hause sehen — was wären das sonst für Zustände? Kann ich was dafür, daß deine Mama und dein Papa mir ihre Aufwartung machen wollen, ausgerechnet wenn ich weg bin und mich um mein Haus kümmern muß?

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