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Alexandra, Tobias, Bruder Johannes und der Notarzt sahen dem Polizeiauto schweigend nach.

»Wenn es ein Mord war, dann hat der Täter also jetzt die Gelegenheit, unbehelligt zu entkommen«, murmelte Tobias nach einer Weile ärgerlich.

»Ganz genau.« Alexandra drehte sich zu Bruder Johannes um.

Der schüttelte nur betrübt den Kopf, ehe er erklärte: »Ich habe davon gehört, dass es aufgrund seiner Dienstzeiten in Pallenbergs Ehe Probleme gibt, vielleicht ist das ja der Grund, dass er so reagiert.«

Dr. Randerich räusperte sich. »Herr Pallenberg war in letzter Zeit großem Stress ausgesetzt. Sie haben vielleicht von diesem schrecklichen Unfall mit einem Reisebus am Grenzübergang Vetschau gehört … Ich weiß, das ist keine Entschuldigung für Pallenbergs Verhalten, aber manchmal verschwört sich einfach alles gegen einen. Im Ort erzählt man sich, dass er sich schon seit einiger Zeit um einen Termin beim Polizeipsychologen bemüht.«

Tobias war hellhörig geworden. »Der Unfall mit den vierzehn Toten?«

»Neunzehn«, sagte der Arzt. »Darunter befanden sich vier von Pallenbergs Kollegen. Das Ganze glich einem Massaker. Herr Pallenberg war bei der Bergung der Toten dabei.«

Alexandra schüttelte den Kopf. Zugegeben, der Polizist schien es tatsächlich nicht leicht zu haben, aber dennoch blieb sie bei ihrer Meinung: Polizeiobermeister Pallenberg hatte den Todesfall vorschnell zu einem Unfall erklärt und gab so einem möglichen Täter die Gelegenheit, Beweise zu vernichten und ungeschoren davonzukommen! Hätte der Polizist sich nur ein Mal kurz umgehört, hätte er herausgefunden, dass es mehr als genug Kandidaten gab, die Wilden zu Lebzeiten liebend gern den Hals umgedreht hätten. Sie selbst hatte innerhalb kürzester Zeit gleich mehrere unerfreuliche Begegnungen mit diesem Mann gehabt. Wie musste es da erst für seine Mitarbeiter gewesen sein, ständig Wildens Attacken ausgesetzt zu sein und sich nicht dagegen zur Wehr setzen zu können?

Bruder Johannes’ Handy kündigte den Eingang einer SMS an, und er sah kurz auf das Display. »Frau Berger, wären Sie so freundlich, zusammen mit Doktor Randerich hier zu warten, bis der Leichenwagen Herrn Wilden abgeholt hat? Es wäre ein wenig pietätlos, wenn wir den Toten einfach da liegen lassen würden. Ich werde jetzt in einer wichtigen Angelegenheit im Kloster gebraucht, und …«

»Ja, schon gut, ich warte hier«, versicherte sie ihm. »Aber hoffentlich kommt der Bestatter bald! Ich möchte nämlich nicht noch heute Mittag hier stehen und Totenwache halten.«

Langsam ging sie zurück zur Bank, auf der Kater Brown inzwischen eingeschlafen war. Als sie sich zu ihm setzte und vorsichtig seinen Bauch zu kraulen begann, schreckte der Kater mit einem leisen Fauchen hoch. Doch als er Alexandra erkannte, reckte er sich und kletterte dann auf ihren Schoß, um sich dort zusammenzurollen.

Tobias wechselte derweil ein paar Worte mit Dr. Randerich, dann ging er recht zielstrebig zum Parkplatz, wo er sich eine Zeitlang an Wildens Wagen aufhielt. Schließlich kam er gemächlich zurück und setzte sich neben Alexandra. Langsam streckte er eine Hand aus und strich Kater Brown vorsichtig über den Rücken.

»Keine Angst, der kratzt nicht«, sagte Alexandra.

»Angst hab ich nicht, ich habe nur keine Erfahrung mit Katzen. Meine Eltern hatten immer Hunde, auch jetzt noch. Aber ich habe mir nie einen eigenen zugelegt, weil ich weiß, dass ich durch den Job niemals genug Zeit hätte, mich um das Tier zu kümmern.«

»Ja, so geht’s mir mit Katzen«, gestand sie ihm. »Ich würde gern ein Pärchen bei mir aufnehmen, doch dann hätte ich zum Beispiel für dieses Wochenende jemanden bitten müssen, sich um die beiden zu kümmern.« Sie grinste schief. »Und wahrscheinlich hätte ich jetzt trotzdem keine Ruhe, weil ich ständig darüber nachdenken würde, ob es ihnen gut geht oder ob sie vielleicht irgendetwas angestellt haben.«

Tobias verzog den Mund. »Das sind halt die Opfer, die man für seinen Traumjob bringen muss.«

»Tja, man kann nicht alles haben«, murmelte sie und wechselte das Thema. »Du hast dir Wildens Wagen angesehen?«

Tobias nickte. »Ich weiß nicht. Auf dem Kiesuntergrund kann man keine Spuren ausmachen, allerdings habe ich ein paar Stellen entdeckt, an denen irgendetwas Rötliches oder Bräunliches auf die Steine getropft ist.«

»Blut?«

Er hob die Schultern. »Ich denke ja. Ich habe ein paar der Steine in ein Taschentuch gewickelt, aber das müsste in einem Labor untersucht werden. Außerdem sind mir eben am Rand des Brunnens blutige Schleifspuren aufgefallen …«

Alexandra schob den Kater vorsichtig vom Schoß und lief aufgeregt zu dem alten Brunnen hinüber. Schnell hatte sie die roten Spuren entdeckt und betrachtete sie nachdenklich.

Als sie zu Tobias zurückkehrte, waren ihre Wangen vor Aufregung gerötet. »Du, die ganze Sache wird immer ominöser. Ich glaube nicht mehr an einen Unfall! Eigentlich müssten wir jetzt Pallenberg anrufen.«

Tobias winkte ab. »Der dann herkommt und Fotos von den Kieselsteinen und der Blutspur macht. Nee, das bringt nichts.«

»Dieser Polizist ist ein echter Idiot«, brummte sie. Eindringlich schaute sie Tobias an. »Stell dir vor, wir haben recht und jemand hat Wilden tatsächlich ermordet …«

»Dann hat derjenige sicher eine Menge Leute sehr glücklich gemacht«, warf Tobias ein.

»Das will ich gar nicht abstreiten, aber trotzdem soll der Täter nicht ungestraft davonkommen. Ich finde das einfach nicht richtig.« Sie setzte sich und brütete düster vor sich hin. »Hör mal, das klingt jetzt völlig … verrückt. Aber stell dir mal vor, Wilden wurde tatsächlich umgebracht und Pallenberg selbst war der Täter … oder jemand, den er schützen will.«

»Du hältst es für möglich, dass ein Polizist einen Mord begeht und ihn dann höchstpersönlich zu einem Unfall erklärt?« Tobias zog die Brauen zusammen. »Ich habe schon Mühe, mir den ersten Teil deiner Theorie vorzustellen! Ein Polizist, der hingeht und einen anderen umbringt …«

»Polizisten sind auch nur Menschen«, wandte sie ein. »Nur weil sie das Gesetz vertreten, heißt das nicht, dass sie vor niederen Regungen gefeit sind. Es hat beispielsweise schon Eifersuchtsdramen unter Polizisten gegeben. Außerdem reden wir hier über einen Mann wie Bernd Wilden. Der hat sich mit jedem im Kloster angelegt, mit dem Personal genauso wie mit uns. Ich glaube nicht, dass er vor einem Streit mit einem Polizisten zurückgeschreckt wäre. Angenommen, er hat sich im Ort von Pallenberg ungerecht behandelt gefühlt und ihm damit gedroht, sich bei seinen Vorgesetzten bis hin zum Polizeipräsidenten oder an noch höherer Stelle zu beschweren, oder angenommen, er hatte sogar was gegen Pallenberg in der Hand, was den Polizeiobermeister seinen Posten gekostet hätte, dann … na ja, dann wäre das doch ein Grund, Wilden aus dem Weg zu räumen und das Ganze als Unfall abzutun, damit niemand auf die Idee kommt, gegen ihn zu ermitteln.«

Tobias fuhr sich mit der freien Hand durchs Haar und sah sie prüfend von der Seite an. »Du hast doch irgendetwas vor, richtig?«

Sie rang sekundenlang mit sich, ob sie ihm sagen sollte oder nicht, welchen Entschluss sie soeben gefasst hatte. Aber dann sah sie ein, dass es nichts bringen würde, wenn sie es ihm verschwieg. Tobias musste ihr nur eine Weile auf den Fersen bleiben. Spätestens dann würde ihm klar werden, was sie vorhatte. »Ich glaube, ich werde ein bisschen Detektiv spielen und selbst auf Spurensuche gehen.«

Kater Brown hob den Kopf und schaute blinzelnd von Alexandra zu diesem Tobias. Der Mann streichelte ihn so zaghaft! Wirklich angenehm war das nicht. Am liebsten hätte Kater Brown die Krallen ausgefahren und diesem Zauderer einen leichten Hieb versetzt. Aber davon wollte er vorerst noch mal absehen. Der Mann schien Angst vor ihm zu haben. Kater Brown schnupperte an dem Männerarm. Na, das hätte er sich ja denken können! Auch wenn der Duft nur sehr schwach an ihm haftete, roch Tobias eindeutig nach Hund! Bestimmt war das der Grund für seine Angst: Mit diesen dummen Hundeviechern, die sich von den Menschen dressieren und herumkommandieren ließen, kannte Tobias sich aus. Aber er hatte keine Ahnung, wie er mit einem Exemplar einer höheren Spezies umgehen sollte. Na gut, zumindest begegnete er Katzen mit Respekt und Interesse. Nun, da wollte Kater Brown mal nicht so sein und ihn gewähren lassen. Später konnte er noch immer versuchen, Alexandra die andere Entdeckung zu zeigen, die er gemacht hatte. Das musste ja nicht sofort sein. Auf Alexandras Schoß war es viel zu gemütlich …