Dürfte für Bruder Andreas keine Schwierigkeit sein, dachte Alexandra. Laut sagte sie jedoch: »Entschuldigen Sie, aber ich war gerade im Begriff einzuchecken. Wenn Sie so freundlich wären …«
Wilden drehte sich ruckartig zu ihr um und kniff die Augen zusammen, als bemerkte er sie erst jetzt. »Schön, dass Sie sich bei mir entschuldigen«, knurrte er. »Wenigstens einer hier weiß, wie man sich benimmt.« Dabei warf er dem Mönch hinter dem Tresen einen missbilligenden Blick zu. »Und Sie …«
»Augenblick mal«, beschwerte sich Alexandra, die sich so nicht behandeln lassen wollte. »Ich stehe hier, um einzuchecken, und wenn Sie eine Beschwerde haben, dann warten Sie bitte schön, bis Sie an der Reihe sind.«
Der Mann schüttelte verständnislos den Kopf. »Sie werden doch noch fünf Minuten warten können, oder nicht? Ich erwarte einen Kurier, der mir äußerst wichtige Unterlagen bringt, und …«
»Und der noch nicht eingetroffen ist, wie ich eben gehört habe. Also sind Sie derjenige, der im Augenblick warten muss.«
»Hören Sie, Frau … wie auch immer Sie heißen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das Laurentius-Hilfswerk in Kaiserslautern ein Begriff ist, aber ich bin der Kreisgeschäftsführer dieser Einrichtung, und auch wenn ich nicht im Büro bin, laufen die Geschäfte weiter.«
»Das mag ja sein«, erwiderte sie, »doch offenbar läuft jetzt erst mal nichts, solange Ihr Kurier Ihnen nicht die Unterlagen gebracht hat. Sie können die Zeit vielleicht nutzen und einen Spaziergang an der frischen Luft unternehmen. Möglicherweise kommt Ihnen ja dann Ihr heiß ersehnter Kurier entgegen.«
»Für wen halten Sie sich, dass Sie mir Vorschriften machen wollen?«, fauchte Wilden.
»Für die Frau, die vor Ihnen an der Reihe ist. Lassen Sie mich also jetzt bitte einchecken!«
Wilden schaute sie ungläubig an. Dann zuckte er mit den Schultern und drehte sich wieder zum Empfang um. »Sagen Sie mir sofort Bescheid, wenn der Bote kommt, verstanden?«
Bruder Andreas nickte nur und blätterte angelegentlich im Gästebuch vor sich.
»Hach!«, machte Wilden, warf die Arme in die Luft und verließ mit stampfenden Schritten das Foyer.
Alexandra stellte sich wieder an den Tresen. »Nettes Kerlchen«, bemerkte sie.
»Tut mir leid«, begann der Mönch. »Aber Bernd Wilden ist … er ist mit einer größeren Gruppe hier, und … ich wollte ihn nicht verärgern …« Hilflos hob er die Schultern. »Wissen Sie, dieser Herr Wilden macht mich einfach rasend … und nicht nur mich.« Der Mönch wollte weitersprechen, aber dann verstummte er abrupt. »Bitte entschuldigen Sie, ich habe mich soeben völlig vergessen. Ich kann mich doch nicht bei Ihnen über einen anderen Gast beklagen.« Er grinste schief. »Sagen Sie, könnten Sie noch mal reinkommen und dabei so tun, als wären Sie noch nie hier gewesen? Ich glaube nämlich, wenn Sie Ihren Artikel nach dem ersten Eindruck schreiben, den Sie von mir bekommen haben, dann werden wir das Hotel demnächst schließen müssen, weil dann niemand mehr hier ein Zimmer bei uns haben will.« Wieder zuckte er mit den Schultern. »Das ist alles noch so neu für mich … Ich bin ins Kloster gegangen, um dem Herrn zu dienen, aber nicht, weil ich Pförtner spielen wollte. Ich … ich habe mich daran noch nicht richtig gewöhnt.«
Sie lächelte ihn aufmunternd an. »Schon gut, machen Sie sich keine Sorgen! Fangen wir also einfach noch mal von vorn an! Für mich ist ein Zimmer reserviert worden, entweder auf Alexandra Berger oder auf Traveltime oder auf die Verlagsgruppe DNK.«
Bruder Andreas nickte. »Verlagsgruppe DNK … hier ist es.« Er nahm ein farbiges Kärtchen aus einer Schachtel und steckte es an die Tafel, um das belegte Zimmer zu markieren. Plötzlich stutzte er. »DNK? Ach, dann gehören Sie zu dem anderen Gast, nicht wahr?«
»Zu welchem anderen Gast?«, fragte sie und versuchte, den Eintrag in dem Buch zu entziffern, in dem Bruder Andreas die Reservierung nachgeschlagen hatte.
»Ich meine Herrn Ro …« Weiter kam er nicht, da in diesem Moment eine männliche Stimme ertönte.
»Alexandra? Alexandra Berger! Da bist du ja!«
Alexandra erstarrte, denn sie hatte die Stimme sofort erkannt. Nein, dachte sie. Bitte nicht! Nicht Tobias Rombach! Ganz langsam, als könnte sich ihre Vermutung doch noch als Irrtum entpuppen, wandte sie den Kopf. Aber das Schicksal meinte es heute offenbar gar nicht gut mit ihr.
In der Tür, die aus dem Foyer tiefer ins Kloster hineinführte, stand ein Mann, den sie nur allzu gut kannte. Er war in etwa so groß wie Alexandra, von schlanker Statur und dunkelhaarig, und rein objektiv betrachtet hätte man ihn durchaus als gut aussehend bezeichnen können. Alexandra fand jedoch, dass ihm das gewisse Etwas fehlte. Besonders nervig war aber die Machodenkweise, die seinen Verstand fest im Griff hatte.
»Tobias?«, fragte sie. »Wieso bist du hier?«
Tobias Rombach kam auf sie zu und streckte die Arme aus, als wollte er sie wie eine gute alte Freundin an sich drücken. Bevor er ihr zu nahe kommen konnte, streckte sie ihm die Hand entgegen, ergriff die seine und schüttelte sie.
»Ich soll für unser Magazin BMI einen Artikel über das Klosterhotel schreiben«, antwortete er. »Herr Hütter war der Ansicht, wenn wir schon beide über die ›Innere Einkehr‹ schreiben, dann wäre es sinnvoller, wenn wir zur gleichen Zeit hier übernachten. So recherchieren wir sozusagen unter denselben ›Bedingungen‹.«
Alexandra nickte nachdenklich. Grundsätzlich war das ein Argument, dem sie nicht widersprechen konnte. Eine Reisereportage war genauso wie eine Restaurantkritik immer nur eine Momentaufnahme, in die unendlich viele Faktoren einflossen. Man musste nur an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in einem Lokal essen, und es konnten zwei völlig verschiedene Kritiken dabei herauskommen. Allerdings wusste sie auch, dass Florian Hütter, ihr Chefredakteur, ein ehemaliger Studienfreund von Tobias war, was der bekanntlich gern mit der Formulierung »Herr Hütter« zu verschleiern versuchte, wenn er einen lukrativen Auftrag ergattert hatte. Das hier war aber weder lukrativ, noch lag ein Urlaub in einem Kloster auf Tobias’ Linie, also konnte dem Ganzen nur ein anderes Motiv zugrunde liegen. Und über dieses Motiv brauchte Alexandra auch gar nicht lange zu rätseln: Tobias hatte bei diesem Auftrag wieder einmal die Gelegenheit gewittert, sich an sie heranzumachen! Und da war es für ihn wahrscheinlich ein Leichtes gewesen, Hütter entweder mit einem Pseudoargument oder mit der Wahrheit davon zu überzeugen, beim Chefredakteur von BMI ein gutes Wort für ihn einzulegen.
»Und wieso wollt ihr eure Manager ausgerechnet in dieses Kloster schicken?«, fragte sie. »Die stehen doch bekanntlich gar nicht auf Bescheidenheit.«
»Womit du den Beweis geliefert hast, dass du gar nicht weißt, wofür unser Magazin steht«, hielt Tobias triumphierend dagegen. »Es geht nicht immer nur darum, den starken Mann von Welt zu mimen. Genauso wichtig ist, dass man zwischendurch auch mal die Seele baumeln lässt und sich Urlaub vom Alltag nimmt.«
Während er redete, verdrehte sie Augen. Wie oft hatte sie solche und ähnliche Floskeln schon gehört! Doch Tobias ließ sich nicht beirren.
»Und genau das kann man hier machen. In der ›Inneren Einkehr‹ erfährt man Ruhe und kann neue Energie tanken, hier …«
»Ja, ja, schon gut, ich habe verstanden«, unterbrach sie ihn, da er offenbar mit seiner Litanei noch lange nicht am Ende war. »Ihr habt mit zwanzig Jahren Verspätung die New-Age-Philosophie entdeckt. Meinen Glückwunsch.«
»Spotte du nur!«, brummte Tobias. »Du willst ja bloß nicht zugeben, dass ich recht habe.«
Bruder Andreas nutzte die Redepause, die entstanden war. »Wenn Sie sich bitte hier eintragen würden, Frau Berger. Ich sage Bruder Jakob Bescheid, damit er Sie zu Ihrem Zimmer bringt.« Er schob Alexandra etwas hin, das sie stutzig werden ließ. Es war ein Tablet-PC, der in einer Hülle aus hartem, dunkelbraunem Leder steckte, was ihm etwas eigenartig Rustikales verlieh. Auf dem Display war ein Formular zu sehen, in das sie mit dem Stift, den der Mönch ihr hinhielt, ihre Personalien eintragen konnte. Sie begann, in Druckbuchstaben zu schreiben, und bevor sie ihrer Verwunderung über dieses moderne Gerät, das so gar nicht zum Ambiente zu passen schien, Ausdruck verleihen konnte, bemerkte Tobias: