»Ja, mein Süßer, ich bin ja da«, redete Alexandra liebevoll auf den Kater ein. Er kam heraus und stellte sich auf die Hinterbeine, um seinen Kopf an ihrem Kinn zu reiben. Dabei schnurrte er zufrieden. »Es ist ja alles wieder gut. Wir müssen nur noch den bösen Menschen schnappen, der dir das angetan hat.«
»Ich nehme an, Sie würden gern wissen, was meine Untersuchung des Fleischs ergeben hat«, sagte die Ärztin. »Also, der Attentäter ist bei seinem Bemühen, den Kater zu ermorden, glücklicherweise über sein Ziel hinausgeschossen. Ich habe in jedem der Fleischbrocken eine große Menge eines hochkonzentrierten Betäubungsmittels gefunden. Es muss in das Fleisch injiziert worden sein, weil die Konzentration im Inneren am höchsten ist und nach außen immer stärker abnimmt. Dieses Mittel hat einen leicht stechenden Geruch, der eine Katze normalerweise davon abhalten würde, von dem Fleisch zu fressen. Weil es aber injiziert wurde, dringt der Geruch kaum nach außen. Jedenfalls ist das unmittelbar nach der Behandlung der Fall. Je länger das Fleisch nach dem Präparieren liegen bleibt, desto stärker wird es von dem Mittel durchdrungen. Der Attentäter war aber offenbar der Meinung, dass die Nase des Katers zu empfindlich sein könnte. Also hat er die Fleischbrocken in einer Fischsoße gewälzt. Das hat Ihrem Kater Brown das Leben gerettet. Er reagiert nämlich allergisch auf einen Bestandteil dieser Soße, den ich auf die Schnelle noch nicht bestimmen konnte. Ich werde Ihnen diese Information aber nachreichen, damit Sie zukünftig darauf achten können, dass er mit dieser Substanz nicht mehr in Berührung kommt.«
Dr. Paressi streichelte den Kater ebenfalls. »Durch diese Soße wurde bei ihm zunächst eine heftige allergische Reaktion ausgelöst, nachdem er nur ein paar kleine Bissen von einem Fleischstück geschluckt hatte. Diese Reaktion äußerte sich in einem massiven Anschwellen der Schleimhäute, verbunden mit schwerer Atemnot. Das hat eine Ohnmacht ausgelöst, die ihn aber glücklicherweise daran hinderte, mehr zu fressen. Wie Sie ja selbst sagten, hatte er ein wenig erbrochen, aber das bisschen, was in seinen Magen gelangt war, reichte aus, um ihn in einen tiefen Schlaf sinken zu lassen. Mit der Dosis des Betäubungsmittels, die sich in der ganzen Fleischportion auf dem Teller befand, hätte man zwei Kühe umbringen können.«
Alexandra schlug vor Schreck die Hand vor den Mund.
»Dann hat ihm also seine Allergie das Leben gerettet«, sagte Tobias kopfschüttelnd.
Die Ärztin nickte.
»Und müssen wir jetzt irgendetwas beachten?«, fragte Alexandra. »Muss Kater Brown noch Medikamente nehmen?«
»Nein«, erklärte Dr. Paressi. »Ich habe ihm etwas gegen die allergische Reaktion gespritzt und seinen Magen ausgepumpt. Außerdem hat er eine Infusion mit einem harntreibenden Mittel erhalten, damit die Reste des Betäubungsmittels aus dem Blutkreislauf gespült werden. Seit heute früh ist er wieder topfit. Deshalb habe ich Ihnen auch das Foto geschickt.«
»Ja, das war wirklich eine sehr nette Idee«, sagte Alexandra und trat einen Schritt zur Seite, damit Tobias den Kater ebenfalls ausgiebig streicheln konnte.
»Sie müssen natürlich darauf achten, dass der Attentäter keine Gelegenheit mehr bekommt, einen zweiten Versuch zu unternehmen«, betonte die Ärztin. »Ich könnte den Kater auch noch ein paar Tage hier in der Praxis unterbringen, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Das Angebot würden wir gern annehmen«, sagte Tobias. »Aber ich glaube, wir möchten auf Kater Browns Spürnase nicht verzichten. Es könnte ja sein, dass er uns noch einmal auf eine brauchbare Fährte führt.« Er schilderte in groben Zügen, was sich im Klosterhotel zugetragen hatte.
Die Tierärztin betrachtete das Tier nachdenklich, dann hatte sie eine Idee. »Wie wär’s, wenn wir ihn an die Leine legen?«
Zehn Minuten später verließen sie die Praxis. Kater Brown trug ein weinrotes Geschirr, an dem eine Ausziehleine befestigt war, die es ihm erlaubte, sich über zehn Meter von Alexandra und Tobias zu entfernen, ohne dass er ihnen entwischen konnte.
Tobias nahm ihn hoch, stieg ein und legte den Kater auf seinen Schoß. »Ich gebe dir die Hälfte zu den Behandlungskosten dazu.«
»Ach was, das ist nicht nötig.«
»Mag sein, aber ich möchte es so«, beharrte er. »Eigentlich müssten wir Bruder Johannes die Rechnung vorlegen, doch die Mönche haben sowieso kein Geld.«
Alexandra bedachte ihn mit einem überraschten Blick, dann erklärte sie sich einverstanden, startete den Motor und lenkte den Wagen auf die Landstraße in Richtung Lengenich.
Kater Brown genoss es, auf Tobias’ Oberschenkeln zu liegen. Zugegeben, er hätte Alexandras Schoß vorgezogen, aber sie hielt ja das Lenkrad in der Hand – da war es bei Tobias schon gemütlicher.
Notfalls hätte er sich auch wieder unten in den Fußraum gelegt – alles war besser als diese harte Kiste in der grellen Farbe, in der er die Nacht hatte verbringen müssen, oder der kalte Tisch, auf dem er gelegen hatte. Und zum Glück roch es hier im Auto nicht so unangenehm wie bei der Frau in dem weißen Kittel, die die Erste gewesen war, die er zu sehen bekommen hatte, nachdem er aus diesem eigenartigen bleiernen Schlaf aufgewacht war.
Dass er jetzt dieses sonderbare Ding um den Leib trug, gefiel Kater Brown eigentlich gar nicht. So etwas Albernes hatte er des Öfteren mal an Hunden gesehen und sich im Stillen darüber lustig gemacht. Aber Alexandra hatte es ihm angelegt und gesagt, das müsse sein. Also musste es irgendeinen Sinn haben. Vielleicht war es ja nur vorübergehend, doch das würde sich zeigen.
Er sah noch einmal Alexandra und Tobias an, die beide einen erleichterten Eindruck machten, dann ließ er den Kopf auf die Vorderpfoten sinken und schloss die Augen. Alles war wieder gut, und er konnte sich entspannen.
17. Kapitel
Gegen halb eins, als sie den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Klosterhotel abstellten, waren die Angestellten des Laurentius-Hilfswerks noch immer mit ihren Drachen beschäftigt. Alexandra und Tobias hatten zuvor an einer Tankstelle angehalten und zwei Paletten Dosenfutter für Kater Brown und eine Auswahl an Fertigsalaten, Sandwiches und Würstchen im Glas sowie eine Kiste Wasser und einige Flaschen Cola für sich selbst gekauft. Ganz egal, was aus der Klosterküche kommen würde, sie würden davon nichts mehr anrühren. Vielleicht waren sie beide ja nun auch zur Zielscheibe des Giftattentäters geworden.
Sie wollten gerade aussteigen, da klingelte Tobias’ Handy. Er unterhielt sich einige Minuten mit jemandem, dann steckte er das Telefon wieder in die Hemdtasche. »Das war Ekki«, sagte er. »Er hat an diesem Sonderheft mitgearbeitet, von dem wir gesprochen haben. Ekki hatte Wildens Handynummer bekommen, und siehe da – er hat das Handy gefunden!«
Alexandras Augen leuchteten auf. »Wo ist es?«
»Langsam, langsam«, erwiderte er. »Ekki hat die letzte bekannte Position des Handys feststellen können, aber ich muss dich vorwarnen: Wir können uns nicht auf ihn berufen; er würde alles abstreiten. Seine Methoden sind nicht ganz legal. Er arbeitet mit Programmen, mit denen er sich in alle möglichen Rechner einklinken kann, um Infos zu sammeln.«
»Und wo ist das Handy?«
»Irgendwo hier in Klosternähe. Der Sendemast oben im Glockenturm …«
»Da ist ein Sendemast eingebaut?«, wunderte sie sich. »Woher weißt du das?«
»Auch von Ekki. Also, der Sendemast hat gestern in den frühen Morgenstunden das letzte Mal ein Signal von Wildens Handy empfangen, irgendwann zwischen drei und vier Uhr. Das haben andere Sendemasten auch, und anhand ihrer Position hat Ekki feststellen können, dass sich das Handy in einem Abstand von maximal rund hundert Metern nördlich des Klosters befunden hat. Das heißt, es ist nicht im Brunnen gelandet.«
»Befunden hat?«, fragte sie.
»Ja. Wenn der Täter es dann abgeschaltet und mitgenommen hat, befindet es sich folglich nicht mehr an dieser Stelle. Und da das Gerät seitdem nicht mehr eingeschaltet wurde, lässt sich auch nicht sagen, wo es jetzt ist.«