Als ich am Abend Abt Bruno auf dem Klostervorplatz begegnete und er mir wie nebenbei erzählte, er habe vor, am nächsten Morgen für zwei Tage nach Köln zu fahren, um dort mit dem Kardinal zu reden, wusste ich, er wollte sich in Wahrheit absetzen! Ich stellte ihn zur Rede, er stritt nichts ab, und er war so unverschämt, mich auch noch auszulachen. Er fühlte sich völlig sicher. Aus irgendeinem Grund war er davon überzeugt, ich würde ihn nicht aufhalten. Er verspürte nicht die mindeste Reue, und es kümmerte ihn nicht, was seine Unterschlagungen für uns alle bedeuteten. Ich war außer mir vor Zorn und … zog den Hammer aus der Tasche meiner Kutte. Ich hatte gerade im Foyer einige neue Bilder aufgehängt. Und als der Abt mir den Rücken zuwandte, um mich einfach stehen zu lassen, schlug ich ihn nieder. Anschließend schaffte ich ihn durch die Kapelle in den Keller, wickelte ihn in die Plastikfolie und legte ihn in diesen Sarg.«
»Und dann haben Sie Ihren Mitbrüdern erzählt, der Abt sei nach Köln abgereist?«, fragte der Polizist.
Bruder Johannes nickte. »Ja. Als wir nichts mehr von ihm hörten und von unterschiedlichsten Stellen immer wieder nach dem Abt gefragt wurden, erkundigte sich Bruder Andreas in Köln nach ihm. Natürlich wusste man dort nichts von einem Termin mit Abt Bruno. Die anderen waren ratlos. Wir sahen in seinem Zimmer nach, ob es dort einen Hinweis auf sein Verschwinden gab, und dabei entdeckte ich dann ›zufällig‹ den besagten Kontoauszug. Wir fanden außerdem die gefälschten Anträge, und das brachte meine Brüder auf den Gedanken, er müsse wohl das Geld abgehoben und sich ins Ausland abgesetzt haben. Keiner von uns machte sich auf die Suche nach dem Abt, schließlich wusste niemand, wohin er sich gewandt haben könnte. Es gab ja keine Reiseunterlagen. Und die polizeilichen Ermittlungen liefen ins Leere.«
»Nur Kater Brown suchte ihn«, warf Alexandra ein und streichelte den Kater, der nun auf einem der anderen Särge saß und von dort das Geschehen interessiert verfolgte.
»Ja, der Kater sprang jedes Mal auf diesen Steinsarg, wenn er mit einem unserer Brüder in den Keller ging. Zum Glück wunderte sich niemand darüber, aber dann … dann veranstaltete er dieses Theater auf dem Brunnenrand, das Sie auf Herrn Wildens Leiche aufmerksam hatte werden lassen.«
»Und deshalb beschlossen Sie, den Kater zu vergiften, bevor er auch noch auf den toten Abt aufmerksam machen konnte?«, fragte Alexandra zornig.
Bruder Johannes hob hilflos die Arme. »Verstehen Sie denn nicht? Er hätte alles in Gefahr gebracht. Das musste ich verhindern. Zum Glück verwahrten wir in unserem Sanitätsraum noch Medikamente, die Bruder Elmar mitgebracht hatte, als er seine Tierarztpraxis aufgab und sich uns anschloss.«
Tobias schüttelte den Kopf. »Dann wären wir sicher die Nächsten gewesen?«
Bruder Johannes zuckte resignierend mit den Schultern, antwortete jedoch nicht.
Alexandra konnte nicht verhindern, dass ihr ein Schauder den Rücken hinunterlief.
»Zum Glück haben wir Wildens Handy noch rechtzeitig gefunden«, sagte Tobias, kam zu ihr und legte einen Moment den Arm um sie.
Alexandra wehrte sich nicht dagegen. »Es gibt noch etwas, was mich interessiert. Bruder Dietmar und Bruder Siegmund, was treiben Sie beide hinter dem Rücken von Bruder Johannes?«
Die beiden Mönche schraken zusammen, als sie plötzlich wieder im Mittelpunkt des Interesses standen, und schauten sich an. Ihre schuldbewussten Mienen sprachen Bände. Dann räusperte sich Bruder Dietmar und gestand leise:
»Nun, es ist so … da ist dieser belgische Getränkegroßhändler, der uns das Trappistenbier von der Abbaye de Walthéry liefert. Nach der zweiten Lieferung hat er uns einen Vorschlag gemacht …« Der Mönch sah kurz zu Bruder Johannes hinüber, dann blickte er betreten zu Boden. »Er hat ein Imitat im Angebot, das aus China importiert wird und das vom Geschmack und von der Farbe her nicht vom Original zu unterscheiden ist. Es kostet im Einkauf nicht einmal ein Zehntel des Originals, und der Großhändler liefert uns sogar die Etiketten, die täuschend echt wirken. Zu jeder Palette Duc de Walthéry bekommen wir zwei Paletten Billigbier. Wir kleben die falschen Etiketten auf und verkaufen es zum üblichen Preis.« Er hob entschuldigend die Arme. »Aber wir stecken den Gewinn nicht in die eigene Tasche. Vielmehr steigern wir so die Einnahmen unseres Klosters.«
»Ihr täuscht und betrügt unsere Gäste?«, rief Bruder Johannes aufgebracht. Sein Gesicht war vor Zorn gerötet.
»Es hat niemand gemerkt«, rechtfertigte sich Bruder Siegmund. »Nicht einmal dir ist es aufgefallen. Wir wollten nur einen Beitrag dazu leisten, die Schulden möglichst zügig abzubauen.«
»Ich muss schon sagen, Sie haben ein seltsames Empfinden von Recht und Unrecht«, murmelte Pallenberg kopfschüttelnd, als Bruder Johannes so aufbrauste, und legte ihm wieder die Handschellen an. »Frau Berger, Herr Rombach, ich … also … ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich hätte nach dem Auffinden der ersten Leiche am Samstagmorgen durchaus gründlicher ermitteln müssen. Es tut mir leid.«
Alexandra nickte nur stumm. Wer konnte schon sagen, ob das entscheidende Beweisstück, das Handy mit der entlarvenden Aufnahme, früher gefunden worden wäre, wenn Polizeiobermeister Pallenberg gleich die Ermittlungen aufgenommen hätte? Sie selbst hatten es bei der ersten Durchsuchung von Wildens Wagen ja auch nicht entdeckt. Sie reichte dem Polizeiobermeister ihre Visitenkarte und notierte auch noch rasch Tobias’ Handynummer darauf. »Falls Sie noch Fragen an uns haben, rufen Sie uns an.«
Pallenberg bedankte sich, dann verabschiedete er sich und führte Bruder Johannes ab.
Alexandra nahm Kater Brown auf den Arm und drückte ihn an sich. Der warme Katzenkörper fühlte sich seltsam tröstlich an, und einen Moment verbarg sie das Gesicht in dem weichen Fell des Tieres. Dann stiegen auch Tobias und sie ins Erdgeschoss hinauf.
Die Mönche und die Hotelgäste hatten sich auf dem Platz vor dem Kloster versammelt und sahen schweigend zu, wie Bruder Johannes von Polizeiobermeister Pallenberg zum Streifenwagen geführt wurde.
Als der Polizeiwagen davonfuhr, blickte Bruder Johannes starr vor sich hin. Seine Mitbrüder würdigte er keines Blickes mehr.
»Tja, das war’s dann wohl«, sagte Alexandra leise, während sie langsam in Richtung Parkplatz schlenderten.
»Unsere erste Zusammenarbeit«, ergänzte Tobias. »Das wird ein interessanter Artikel. Mal sehen, wem wir die Story von den Klostermorden verkaufen können! Bin schon gespannt, was uns als Nächstes erwartet.«
Sie sah ihn überrascht an. »Habe ich das gerade richtig verstanden? Was uns als Nächstes erwartet?«
»Na ja, wir sind doch ein gutes Team, oder nicht?«
Einen Moment schwieg Alexandra, dann konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ja, das waren wir tatsächlich.« Spontan beugte sie sich vor und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Er fiel kürzer aus als ursprünglich beabsichtigt. Aber sie wollte keine falschen Hoffnungen in Tobias wecken. »Danke für deine Hilfe.«
»Ich danke dir«, erwiderte er, und seine Augen strahlten. »Und was machen wir jetzt?«
»Was du jetzt vorhast, weiß ich nicht, ich werde jedenfalls noch heute Abend abreisen. Ich verbringe keine Minute länger hinter diesen Klostermauern.« Sie setzte Kater Brown auf den Boden und wollte gerade die Leine aus ihrer Handtasche nehmen, als der Kater wie ein Blitz davonschoss und auf eine Amsel zujagte, die im Erdreich unter einer der Hortensien gepickt hatte und nun panisch aufflog.