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»Ja, Herr Wilden macht es einem schwer, ihn zu mögen«, stellte Alexandra fest.

»Ach, niemand hier kann ihn leiden, nicht mal seine Angestellten. Er ist mit einer Gruppe leitender Angestellter im Hotel, damit sie gemeinsam einen unserer Motivationskurse absolvieren. Unserem Kursleiter fährt er ständig über den Mund und macht irgendwelche Verbesserungsvorschläge. Er nörgelt hier und kritisiert da.«

»Ja, das kann ich mir vorstellen. Dann werden Sie also jetzt die Bibliothek abschließen?«

»Die Bibliothek und jeden anderen Raum, in dem Wilden nichts zu suchen hat. Sie dürfen sich natürlich gern hier umsehen, aber solange er im Haus ist, bleibt diese Tür abgeschlossen.«

»Danke, auf das Angebot werde ich ganz bestimmt zurückkommen«, versicherte Alexandra ihm mit einem freundlichen Lächeln und verließ den Raum. »Oh, was machst du denn hier?«, entfuhr es ihr, als sie im Korridor vor der Bibliothek Kater Brown entdeckte. Er saß am Treppengeländer und schaute ihr entgegen, als hätte er auf sie gewartet. Prompt kam er zu ihr und strich um ihre Beine.

»Erstaunlich«, sagte Bruder Dietmar, der die Tür zur Bibliothek abschloss. »Das habe ich ja noch nie erlebt! Kater Brown ist normalerweise sehr zurückhaltend, vor allem gegenüber unseren Gästen. Sogar bei uns zieht er es meistens vor, uns aus sicherer Distanz zu beobachten. Eigentlich kommt er nur von sich aus näher, wenn sein Napf gefüllt wird.«

»Ich fühle mich geehrt, Kater Brown«, sagte Alexandra und hockte sich hin, um das weiche schwarze Fell des Katers zu streicheln. Er fing sogleich an zu schnurren und miaute zwischendurch immer wieder leise. »Du bist ja richtig gesprächig!«

»Ebenfalls vor allem dann, wenn es ums Essen geht«, bemerkte Bruder Dietmar lachend. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Klosterhotel, wenn Sie möchten. Oder hat Bruder Johannes Sie bereits herumgeführt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Dazu hatte er noch keine Gelegenheit.«

Gefolgt von Kater Brown, der offenbar nicht von Alexandras Seite weichen wollte, gingen sie an einem Büro vorbei, in dem man die Verwaltung des Klosterhotels eingerichtet hatte. Dort saßen zwei Mönche an hochmodernen Computern, ein Anblick, der Alexandra im ersten Moment ein wenig stutzig machte.

»Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich wundern. Der Raum wirkt wie ein Fremdkörper in diesen altehrwürdigen, schlichten Mauern«, bemerkte Bruder Dietmar mit einem Seitenblick auf Alexandra. »Aber wir wollen die Technik wirklich nur in dem Umfang einsetzen, der unbedingt nötig ist. Der Rest des Hauses entspricht ganz den Erwartungen unserer Gäste. Es soll alles bescheiden und einfach wirken. Außer Ihnen bekommt auch niemand die Verwaltung zu sehen, also wird die Illusion nicht gestört.« Bruder Dietmar schloss die Tür und gab Alexandra mit einer Geste zu verstehen, dass die Führung weiterging.

»Wenn man vom iPad am Empfang absieht«, fügte sie schmunzelnd an.

»Ach, das. Ja. Das Benutzen von Tablet-PCs war eine der Bedingungen, damit wir den Kredit bekommen. Und die Dinger ebenfalls.« Er griff in seine Kutte und holte ein Handy hervor – genauer gesagt, ein Smartphone. »Diese Kompromisse mussten wir eingehen.«

Alexandra runzelte die Stirn. »Aber warum?«

»Eine von Hand geführte Buchhaltung kann nicht auf Tastendruck die aktuellen Zahlen auswerfen, und die Leute von der Bank bestanden darauf, jederzeit diese Zahlen anfordern zu können, ohne erst tagelang auf die Unterlagen warten zu müssen.« Er zuckte bedauernd mit den Schultern. »Offenbar sind wir für die Bank trotz all unserer Bemühungen ein etwas wackliger Kandidat, und nach dem Debakel mit unserem Abt will man uns den Kredit immer nur in den Häppchen überlassen, die wir gerade benötigen. Offenbar will man so verhindern, dass noch mal jemand mit ein paar Millionen untertaucht.«

Alexandra nickte. »Na ja, aus Sicht der Bank kann man das verstehen. Aber wieso die Handys?«

»Wir sollen wie die Mitarbeiter in jedem anderen Hotel jederzeit erreichbar sein. Es geht nicht, dass wie früher in einem einzigen Raum in unserem Kloster ein klobiges altes Telefon mit Wählscheibe steht, das keine Anrufe aufzeichnen und keine SMS empfangen kann.« Bruder Dietmar wiegte den Kopf hin und her. »Anfangs war ich ziemlich skeptisch, weil das ja etwas … etwas sehr Weltliches ist, aber mittlerweile bin ich wie die meisten meiner Brüder von dieser Technik richtig begeistert.« Sie hatten das Ende des Korridors in diesem Trakt erreicht, der Gang bog nach links ab. Bruder Dietmar öffnete eine Tür mit der Aufschrift Saal I, und mit einem Mal wurde Stimmengewirr laut.

Gut ein Dutzend Männer und Frauen standen vor im Kreis angeordneten Staffeleien und traktierten Leinwände mit Ölfarbe. Ein paar der Anwesenden wandten sich kurz um und nickten Bruder Dietmar und Alexandra zu, die sich suchend umschaute.

»Wo ist denn das Modell oder das Stillleben, das sie malen sollen?«, fragte sie.

Der Mönch schüttelte den Kopf. »Wir arbeiten in diesem Kurs nicht mit Modellen oder vorgegebenen Motiven. Die Teilnehmer sollen auf der Leinwand Gefühle zum Ausdruck bringen oder malerisch bestimmte Themen umsetzen. Heute geht es um den Begriff ›Teamwork‹.« Er deutete auf die Leinwand einer Frau mit kurzen schwarzen Haaren, die ein Spektrum aus verschiedenen Farben gemalt hatte. »Sehen Sie, wenn ich diese Arbeit richtig verstehe, ist hier folgender Aspekt von Teamwork dargestellt: Die Farben geben sich gegenseitig Halt und stützen einander. Würde eine der Farben sich an einer anderen Position befinden oder fehlen, wäre das Spektrum fehlerhaft und damit unbrauchbar.«

»Aha«, sagte Alexandra nur und ließ sich von dem Mönch aus dem Saal führen.

»Das ist übrigens die Gruppe, mit der Herr Wilden hier ist«, erläuterte er, als sie weiter durch den Korridor gingen. »Sie belegen im Augenblick die meisten Zimmer, die übrigen sind Gäste, die allein oder zu zweit hergekommen sind. Sie unternehmen ausgedehnte Wanderungen, wofür sich die Lage des Klosters natürlich hervorragend eignet. Oder sie nehmen am Schweigekreis teil.«

»Schweigekreis?«

»Ja, der trifft sich immer in Saal IV, den wir deshalb auch nicht betreten können. Die Teilnehmer sitzen dort ein bis zwei Stunden im Kreis und schweigen, um die innere Ruhe wiederzufinden, die ihnen im Alltag abhandengekommen ist.«

Alexandra nickte. »Wenn alle Gästezimmer belegt sind, kann man aber doch sagen, dass Ihr Klosterhotel gut ankommt, oder?«

»Das ja«, bestätigte Bruder Dietmar. »Wir haben regen Zulauf. Dennoch wird es noch Jahre dauern, bis wir wirklich rentabel arbeiten können.«

»Ja, ich habe davon gelesen, dass das Kloster kurz vor dem Ruin stand. Wie konnte es überhaupt dazu kommen?«

»Das ist eine lange, unrühmliche Geschichte oder besser gesagt: Sie hat vor langer Zeit begonnen. Abt Bruno hat über Jahre hinweg die Bücher gefälscht und Gelder beiseitegeschafft, die unter anderem aus Förderprogrammen der EU stammten. Solche Zahlungen hat er dann auf ein zweites Konto überweisen lassen, weshalb das Geld bei uns nie angekommen ist. Die Verwendungsnachweise für diese Gelder waren von vorn bis hinten gefälscht, einschließlich der Belege beispielsweise für angebliche Umbauarbeiten. Unter anderem soll der komplette Dachstuhl erneuert worden sein, was Abt Bruno mit Scheinrechnungen belegt hat. In Wahrheit ist das Dach seit dem späten neunzehnten Jahrhundert nicht mehr umfassend saniert worden. Und als auf einmal eine Betriebsprüfung anstand, hat der Abt sich einfach abgesetzt. Er hat uns im Stich gelassen, uns wurde vom Finanzamt der Status der Gemeinnützigkeit aberkannt. Die Bank ist heute im Grunde genommen der wahre Eigentümer der gesamten Anlage, weil sie uns auf Vermittlung des Erzbischofs einen Kredit über mehrere Millionen bewilligt hat. Das sage ich selbstverständlich ganz im Vertrauen, das wissen Sie doch, nicht wahr?«