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»Mensch, Kleiner, was machst du denn für Sachen?«

Ich blinzle nach oben ins Licht und sehe direkt in Cheries Augen. Sie ist klitschnass und grinst mich an.

»Also, wenn du das nächste Mal ins Wasser springst und Hilfe brauchst, sag doch bitte vorher Bescheid. Dann achte ich nämlich darauf, dass ich keine Leine mehr am Halsband habe. Das war doch sehr lästig.«

Oh! Mein! Gott! Cherie hat mich gerettet. Okay, die Sache ist durch. Selbst wenn ich doppelt so groß wäre – nach dieser Aktion stehe ich garantiert nicht als Held da. Ich schließe die Augen wieder und wünschte, ich wäre einfach auf den Grund der Alster gesunken. Da stupst mich Cherie in die Seite.

»Was mich allerdings wirklich beeindruckt: Du hast immer noch den Ring in der Schnauze.«

Sag ich ja: Ein von Eschersbach ist ein echter Kämpfer! Auch wenn ich mich gerade überhaupt nicht so fühle.

»Herkules! Bist du von allen guten Geistern verlassen?!«

Jetzt sind auch Marc und Luisa am Steg angelangt, und insbesondere Marc scheint irgendwie sauer zu sein.

»Du kannst doch nicht einfach in die Alster springen! Um ein Haar wärst du abgesoffen! Wenn der Retriever dich nicht im letzten Moment rausgezogen hätte, wärst du jetzt tot. Du bist direkt vor den Ausflugsdampfer gesprungen – wie kann man nur so blöd sein?«

Okay, Marc ist sauer. Unter normalen Umständen würde ich mich jetzt möglichst schuldbewusst geben, aber ich bin zu erschöpft und bleibe einfach so liegen, wie mich Cherie auf den Steg geschleppt hat. Wenigstens Luisa scheint Mitleid zu haben, sie kniet sich neben mich und streichelt mich.

»Nicht so schimpfen, Papi. Du siehst doch, wie schlecht es Herkules geht.«

»So eine Dummheit aber auch! Wie ist er bloß auf die Idee gekommen?«

»Schimpfen Sie nicht mit ihm – das war eigentlich nicht seine Schuld.«

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Cheries Frauchen vom Tisch aufgestanden und auch auf den Steg gekommen ist.

»Hier hat eben jemand seinen Labrador ständig diesen Ring apportieren lassen. Offensichtlich wollte Ihr Kleiner es auch einmal versuchen. Dass das Schiff so nah an den Steg kommen würde, konnte er sicher nicht ahnen. Der Herr mit dem Labrador ist dann ganz fix verschwunden. Wahrscheinlich das schlechte Gewissen. Ist ja auch eine doofe Idee, eine Hundesportstunde im Gartenlokal abzuhalten.«

Genau! So gesehen bin ich gar nicht schuld.

»Da haben Sie Recht. Wenn der Retriever nicht gewesen wäre, hätte Herkules vielleicht das Zeitliche gesegnet.«

»Ja, unsere Cherie hat eine sehr zupackende Art.«

»Ach, ist das Ihr Hund? Vielen Dank! Da muss ich ja wohl mal eine Fleischwurst springen lassen für die Dame! Wissen Sie, unser Herkules neigt ab und zu zur Selbstüberschätzung. Ist halt noch ein Teenager.«

Pah! Ist das etwa Solidarität mit den eigenen Familienmitgliedern? Und was heißt hier Selbstüberschätzung? Immerhin habe ich den Ring sofort erwischt. Wenn das doofe Schiff nicht gekommen wäre, wäre das ein Ia-Auftritt meinerseits gewesen. Ich hebe den Kopf und versuche, Marc möglichst böse anzugucken, was der natürlich ignoriert. Stattdessen plaudert er auch gleich noch meine finstersten Geheimnisse aus.

»Bestimmt wollte er auch den größeren Hunden imponieren. Wissen Sie, Herkules ist ein Dackelmix, zu einer Hälfte Terrier. Und die fühlen sich doch gerne mal größer, als sie eigentlich sind. Mutige Hunde, aber manchmal etwas unvorsichtig.«

Vielen Dank, Marc. Jetzt weiß wenigstens auch Cherie, dass ich nicht reinrassig bin. Heute bleibt mir auch nichts erspart. Es mag Einbildung sein – aber ich glaube, Cherie guckt mich bereits abschätzig an. Ich lege den Kopf wieder auf den Steg. Was für ein furchtbarer Tag.

»Hm, er sieht aber noch ganz schön schlapp aus. Meinen Sie, er ist okay? Vielleicht gehen Sie besser mit ihm zum Tierarzt.«

Jetzt mischt sich Luisa ein.

»Das brauchen wir nicht. Papa ist selbst Tierarzt.«

»Ach so? Das ist natürlich praktisch. Hier in der Nähe?«

»Ja, ich habe meine Praxis gleich hinter dem Helvetia-Park. «

»Das ist gut zu wissen – unser Tierarzt ist nämlich gerade in den Ruhestand gegangen und hat die Praxis aufgelöst. Jetzt suche ich einen neuen, falls mal was mit Cherie sein sollte.«

»Na, das wäre mir natürlich eine Ehre, die tapfere Lebensretterin zu behandeln. Warten Sie, ich glaube, ich habe eine Karte dabei.«

Er greift in die Hosentasche und zieht ein Stück Karton heraus.

»Bitte sehr – Marc Wagner. Ich würde mich freuen, Sie beide zu sehen.«

»Danke, ich heiße Claudia Serwe. Ich komme bestimmt bald mal mit Cherie vorbei. Spätestens bei der nächsten Wurmkur.«

Hm, das ist nun eine unerwartete, aber ausgezeichnete Wendung. Wenn Cherie erst mal in Marcs Praxis aufkreuzt, kann ich die Scharte von eben vielleicht auswetzen. Als Hund des Tierarztes genießt man doch ein gewisses Ansehen bei den Patienten. Das ist meine Chance, und ich werde sie nutzen!

SECHS

Komm Schatz, lass mich doch mit Herkules Gassi gehen. Wenn dein Fuß noch so weh tut, solltest du ihn lieber ein bisschen hochlegen, anstatt unserem Kampfdackel hinterherzuhinken.«

»Danke, das ist lieb von dir. Es geht zwar schon viel besser, aber so ganz in Ordnung ist mein Fuß tatsächlich noch nicht.«

Seit ihrem kleinen Unfall an der Alster lahmt Carolin. Und zwar gewaltig. Zudem hat sich herausgestellt, dass Marc sich zwar mit Pferdegelenken bestens auskennt, bei Menschen hingegen passen muss. Viel mehr als ein paar aufmunternde Worte und das Angebot, mit mir spazieren zu gehen, ist vom Herrn Doktor noch nicht gekommen. Das überrascht mich: Es kann doch nicht sein, dass Marc vom Hamster bis zum Elefanten alles behandelt, was durch seine Praxistür kommt, bei Carolin aber völlig ahnungslos ist. Ob er vielleicht keine Lust hat, sich um sie zu kümmern? Weil er mit seinen Patienten schon ausgelastet ist? Aber ein reines Zeitproblem kann es auch nicht sein: Immerhin hat sich Marc jetzt meine Leine geschnappt und scheint fest entschlossen, eine Runde mit mir zu drehen. Gut, ich muss nehmen, wen ich kriegen kann. Denn nicht nur, dass Caro schwächelt: Luisa ist dieses Wochenende gar nicht da.

Marc zieht sich eine Jacke über, dann geht es los. Wir steuern direkt auf den Park zu, das ist gewissermaßen unsere Stammstrecke. Nicht mehr besonders aufregend für mich, aber immer wieder gerne genommen. Kaum haben wir allerdings die ersten Bäume passiert, setzt sich Marc schon auf eine Parkbank. Ach nö – was soll das denn? Das ist doch wohl nicht wahr! Soll ich jetzt etwa im Kreis um die Bank laufen? Ich zerre an der Leine und belle.

»Keine Sorge, Herkules, es geht gleich weiter. Ich muss nur mal eben in Ruhe telefonieren. Dauert auch nicht lang.«

Okay, das kann sogar stimmen. Wenn Marc telefoniert, dann tatsächlich meist sehr kurz. Carolin hingegen kann stundenlang in das kleine Kästchen sprechen, das sie sich beim Telefonieren ans Ohr hält. Wie überhaupt alle Menschenfrauen, die ich bisher beim Telefonieren beobachtet habe, hier wesentlich mehr Ausdauer beweisen als Männer. Dann kann ich also nur hoffen, dass Marc nicht mit einer Frau telefonieren will. Ich setze mich neben die Bank.

»Hallo Sabine, Marc hier. Du hattest um Rückruf gebeten.«

Mist. Soweit ich weiß, ist Sabine ein Frauenname. Ich glaube, die eigentliche Mutter von Luisa heißt zum Beispiel so. Die Stimme, die ich dank meiner ausgezeichneten Ohren aus dem Telefon hören kann, ist auch tatsächlich die einer Frau. Das kann also dauern. Ich lege mich hin. Gähn. Vielleicht schlafe ich ein bisschen.