»Ich glaube schon.«
Ich schüttele mich.
»Die arme Frau Wiese! Von meinem eigenen eintägigen Tierheimaufenthalt habe ich heute noch Albträume. Ich bin dort von zwei riesigen Kötern fertiggemacht worden. Boxer und Bozo. Das vergesse ich nie. Wenn mich Carolin nicht gerettet hätte, dann …«
»Ja, ja, dann hätte dein letztes Stündlein geschlagen. Die Geschichte hast du mir schon hundert Mal erzählt. Aber es geht hier gerade nicht um Frau Wiese.«
»Geht es nicht?«
Versteh einer diesen Kater.
»Nein. Es geht um MICH. Was wird nun aus MIR?«
Herr Beck macht eine sehr nachdrückliche Bewegung mit seiner Tatze. Stimmt, die Frage stellt sich natürlich. Wenn Frau Wiese nicht wiederkommt, muss Beck dann ausziehen? Vielleicht ins Menschenheim? Falls Tiere da überhaupt erlaubt sind. Jetzt bekomme ich es auch mit der Angst zu tun – ich will meinen Kumpel Beck auf keinen Fall verlieren! Er starrt mich düster an.
»Am schlimmsten wäre es, wenn ich wieder zu den drei kleinen Monstern zurückmuss. Das überlebe ich nicht.« Er holt theatralisch Luft. »Dann haue ich lieber ab und lebe auf der Straße.«
»Aber meinst du nicht, dass du bei Nina bleiben kannst? Ihr versteht euch doch super. Sie kocht jeden Tag für dich!«
Beck nickt.
»Ja, das wäre am schönsten. Nur kann ich sie das leider nicht selbst fragen, ich muss darauf vertrauen, dass sie es von allein anbietet.« Er stöhnt. »Gott! Ich fühle mich so hilflos! Weißt du, eigentlich bin ich sehr gerne ein Tier. Beziehungsweise: gerne ein Kater. Aber als Haustier letztendlich immer von den Menschen abhängig zu sein, das geht mir gegen den Strich. Aber gewaltig. Vielleicht sollte ich gleich abhauen.«
»Jetzt würde ich mal nichts überstürzen. Ich kann verstehen, dass du dir Sorgen machst. Aber so, wie ich die Sache sehe, will Nina dich bestimmt behalten. Ich wiederhole es nur ungern: Sie kocht jeden Tag für dich! Da könnte sich Carolin mal eine Scheibe von abschneiden.«
»Hoffentlich hast du Recht.«
»Bestimmt. Lass uns doch mal hören, was die Damen zu besprechen haben. Wo stecken die überhaupt?«
Wir müssen nicht lange suchen. Die beiden stehen in der Küche, Nina hat einen Kaffee aufgesetzt. Der Duft der Kaffeebohnen strömt langsam durch die ganze Wohnung. Carolin redet, Nina hört aufmerksam zu.
»Irgendwas ist komisch mit Marc. Ich habe ihm gestern erzählt, dass Luisa Schwierigkeiten hat, neue Freunde zu finden und dass ich mir ein bisschen Sorgen mache – da ist er gleich an die Decke gegangen. Du hättest ihn hören sollen! Dabei habe ich ihn wirklich nicht kritisiert. Es ging mir nur um Luisa.«
»Ich hab’s dir gesagt: Patchwork ist nicht so einfach, wie du vielleicht denkst.«
»Super, vielen Dank! Mal im Ernst – ich erzähle dir das nicht, damit du mit einem ich hab’s ja gleich gesagt um die Ecke kommst. Damit hilfst du mir überhaupt nicht.«
»Entschuldige, du hast Recht. Wahrscheinlich steht Marc unter einem gewissen Erfolgsdruck, und deine Vermutung, es könne Luisa nicht gut gehen, stresst ihn da noch zusätzlich.«
»Erfolgsdruck? Warum?«
»Na, immerhin muss er jetzt beweisen, dass er der Superpapi ist.«
»Das ist doch Quatsch. Ich weiß doch, dass er ein toller Vater ist.«
Nina schüttelt heftig den Kopf.
»Doch nicht dir, Caro. Seiner Ex, der muss er das beweisen. Schließlich wohnt das Kind zum ersten Mal seit der Trennung bei ihm, und es ist ja möglich, dass sie der Sache eher skeptisch gegenübersteht.«
Was genau mag eine Ex sein? Und was hat sie mit Luisa zu tun? Muss etwas Naheliegendes sein. Carolin jedenfalls weiß sofort, was gemeint ist.
»Kann eigentlich nicht – es war immerhin auch ihre Idee, dass Luisa zu Marc zieht. Sie ist Stewardess und wollte wieder mehr arbeiten. Das ist mit einem Kind zu Hause natürlich schwierig, zumal ihr Neuer als Pilot ähnlich oft unterwegs ist. Marc war natürlich begeistert, er wollte schon lange mehr Zeit mit Luisa verbringen.«
»Tja, wenn das so ist – dann weiß ich auch nicht, was das Problem ist. Also entweder es ist etwas, was er dir nicht erzählen will. Oder aber er hatte einfach einen schlechten Tag.«
Apropos Problem: Wenn sich die Damen mal eben des Anliegens meines besten Freundes annehmen könnten? Das wäre ganz reizend. Sonst gehen hier wieder Stunden mit Gesprächen über den menschlichen Nachwuchs ins Land, und wir wissen immer noch nicht, wo Herr Beck demnächst sein müdes Haupt betten kann. Der sieht offen gestanden schon ziemlich angeschlagen aus – die Sorge um seine Zukunft scheint ihm wirklich zuzusetzen. Nur: Wie lenken wir die Aufmerksamkeit von Nina und Carolin in diese Richtung?
Ach, ich versuche es einfach mal ganz platt. Ich fange an, zu bellen und mich an Herrn Beck zu reiben. Der springt überrascht zur Seite.
»Hey, was ist denn mit dir los?«
»Vertrau mir, ich habe jetzt auch schon ein paar Sachen über das menschliche Hirn gelernt. Wenn sich Nina überhaupt schon Gedanken gemacht hat, ob sie dich endgültig adoptieren soll, dann braucht sie dich bestimmt nur anzugucken und wird Carolin davon erzählen.«
»Und deswegen musst du mit mir kuscheln?« Beck faucht mich regelrecht an. Der muss wirklich runter mit den Nerven sein.
»Meine Güte, sei doch nicht so empfindlich. Es ist zu deinem Besten. Und so schlimm ist es auch nicht, mit mir auf Tuchfühlung zu gehen.«
»Was ist denn mit euch beiden los?«, wundert sich Nina. »Ihr versteht euch doch sonst so gut.« Genau, tun wir eigentlich auch – also, woran wird’s wohl liegen? Komm schon, Nina, denk mal nach. Du kommst bestimmt drauf.
Herr Beck schenkt mir einen Blick, der irgendwo zwischen »so wird das nie was« und »wird’s nun endlich was?« schwankt. Und dann ist es erstaunlicherweise Carolin, die auf die richtige Idee kommt.
»Wie gestaltet sich eigentlich deine WG mit Blecki?«
»Oh, gut. Vor allem habe ich inzwischen herausgefunden, dass das Viech Herr Beck heißt.«
»Stimmt. Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir auch wieder ein. Bist du denn jetzt auf den Geschmack gekommen und schaffst dir auch eine Katze an, wenn Frau Wiese wieder da ist?«
»Die arme Frau Wiese kommt gar nicht wieder. Ihr Neffe war da. Es geht ihr noch so schlecht, dass sie erst einmal in ein Pflegeheim zieht. Die Wohnung wird aufgelöst. Und ich habe mir überlegt, Herrn Beck zu behalten. Es ist nämlich der erste Mann in meinem Leben, mit dem das Zusammenleben richtig Spaß macht. Ich glaube, es ist was Ernstes.«
ACHT
Ich habe eine Superidee in Sachen Tussi-Club!«
Carolin fällt Marc um den Hals und küsst ihn, kaum dass wir durch die Praxistür gekommen sind. Normalerweise ist sie diesbezüglich etwas zurückhaltender und die Praxis erst recht nicht der Ort für innige Zweisamkeit bei den beiden. Aber es sind keine Patienten mit den dazugehörigen Menschen mehr da, also scheint das aus ihrer Sicht in Ordnung zu sein. Marc schaut zuerst etwas überrascht, dann erwidert er ihren Kuss.
»Na, erzähl mal. Ich bin gespannt.«
Ja? Ich nicht. Etwas Langweiligeres, als jetzt Carolins Ideen zu dieser Kinderveranstaltung zu lauschen, kann ich mir gerade nicht vorstellen. Viel spannender ist doch, dass Herr Beck nun dauerhaft bei Nina wohnen wird! Warum erzählt Carolin denn das nicht als Erstes?
»Luisa hat doch gesagt, dass diese Lena einen Pony-Geburtstag veranstaltet hat. Also offensichtlich stehen Pferde bei den Damen hoch im Kurs. Was hältst du davon, wenn wir den gesamten Club zu einem Außentermin mit Pferden und echtem Schloss einladen? Dafür müsstest du allerdings mal deine guten Verbindungen spielen lassen.«
Gähn! Pferde? Wen interessiert’s? Gut, ich weiß, dass meine Vorfahren oft auch Jäger begleitet haben, die mit Pferden unterwegs waren. Opili sagt, dass das immer die tollsten Erlebnisse waren – eine ganze Meute Hunde und die Menschen auf den Pferden natürlich viel schneller als sonst zu Fuß. Allerdings bin ich mir sicher, dass Carolin mit dem Tussi-Club keine Treibjagd plant. Ohne Jagd kann ich mit Pferden aber nichts anfangen. Auf Schloss Eschersbach standen auch so einige davon rum, mir persönlich kamen die immer ein wenig blöd vor. Marc runzelt die Stirn. Ob er meine Ansicht über Pferde teilt?