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Carolin steht auf einmal neben mir. »Alles okay bei dir, Herkules? Du warst so unruhig heute Nacht. Ich habe dich ab und zu heulen hören. Oder musst du nur ganz dringend raus? Vielleicht sollten wir für diese Fälle mal ein Katzenklo besorgen. Nina hat ja nun eines in ihrer Wohnung stehen, ich frage sie mal, wo sie das besorgt hat.«

Katzenklo? Kein Hund mit einem Funken Ehre im Leib würde sich auf so ein Teil hocken. Das wäre ja noch schöner ! Aber typisch Mensch: immer schön bequem. Was ich in solchen Fälle brauche, ist ein Baum, keine Plastikwanne. Jawollja! Ich lege den Kopf auf die Vorderläufe und knurre ein bisschen. Carolin lacht.

»Na gut, also kein Katzenklo. Kannst ja gleich auf dem Weg in die Werkstatt den nächsten Baum aufsuchen. Wir gehen heute mal zu Fuß, ich glaube, das kriege ich wieder hin.«

Hm, das klingt nicht schlecht. Wobei ich mir doch gerade überlegt hatte, einfach hierzubleiben. Ach, was soll’s – ausruhen kann ich mich auch noch in der Werkstatt. Ich komme mit!

Schnell hüpfe ich aus meinem Körbchen und schüttele mich, dann laufe ich in die Küche. Marc und Luisa sitzen auch schon dort, Luisa kritzelt in einem Heft herum, Marc liest Zeitung und trinkt Kaffee. Es sieht ziemlich idyllisch aus – eben doch nach Happy End. Wahrscheinlich habe ich mir völlig umsonst Sorgen gemacht. Liegt bestimmt an meiner Übermüdung.

Carolin geht zum Kühlschrank, holt mein Fresschen und verfrachtet es in die Mikrowelle. Pling! Sie stellt mir ein Schälchen vor die Füße. Ich schnuppere daran. Hm, Herz. Lecker! Okay, die Nacht war schlimm. Aber der Tag lässt sich dafür umso besser an.

Es klingelt. Erst kurz. Dann länger. Dann durchgehend. Marc und Carolin schauen sich fragend an.

»Erwartest du irgendjemanden?«, will Carolin wissen.

»Um halb acht? Natürlich nicht. Keine Ahnung, wer das ist.«

Aber ich weiß es: die Verrückte. Sie ist zurück, ich bin mir ganz sicher. Sie wird versuchen, Luisa zu holen. Genau wie in meinem Traum. Sofort lasse ich mein Fressen Fressen sein und rase zur Tür. Diese Frau wird keinen Fuß über unsere Schwelle tun, ich werde persönlich dafür sorgen.

»Hoppla, Herkules! Fast wäre ich über dich gestolpert – was ist denn los mit dir?« Marc muss mich zur Seite schieben, um überhaupt die Tür öffnen zu können. Das wollte ich eigentlich verhindern, aber auf dem Parkettboden kann ich mich leider nicht festkrallen, und so schiebt mich Marc mitsamt der Tür zur Seite. Jetzt kann ich noch nicht einmal sehen, wer geklingelt hat, geschweige denn verhindern, dass dieser Jemand in die Wohnung kommt.

»Guten Morgen! Sie kenne ich doch, oder?«

»Ja, ich bin Claudia Serwe. Meine Hündin hat neulich Ihren Dackel aus der Alster gefischt. Entschuldigen Sie diese frühe Störung, aber Cherie ist eben von einem Auto angefahren worden. Ich wusste nicht, wo ich mit ihr hinsoll, und dann fiel mir wieder ein, dass Ihre Praxis gleich um die Ecke ist. Ich hatte gehofft, dass Sie vielleicht schon da sind. Ja, und dann habe ich auf dem Klingelschild gesehen, dass Sie auch hier wohnen.«

Mir wird heiß und kalt. Cherie! Ihr ist etwas zugestoßen! Die Frau klingt atemlos und verzweifelt. Ich drücke mich an Marcs Beinen vorbei, um sie mir genauer anzuschauen. Sie hat geweint, ihre Augen sind ganz rot. Marc legt ihr eine Hand auf die Schulter.

»Gut, dass Sie gleich gekommen sind. Wo ist das Tier denn?«

»Sie liegt bei mir auf dem Rücksitz, mein Auto steht direkt vor der Tür. Ich habe solche Angst um sie!«

»Frau Serwe, ich sehe sie mir sofort an.«

Und ich komme mit! Ich lasse dich nicht allein, Cherie! Auf keinen Fall.

ZEHN

Ich hatte schon fast vergessen, wie sie riecht. Oder vielleicht hatte ich es auch verdrängt, um nicht ständig an sie zu denken. Und jetzt liegt sie hier, direkt vor mir, und als Frau Serwe die Autotür noch ein bisschen weiter öffnet, werde ich von dem Geruch regelrecht überrollt. Sofort ist er wieder da, der Tag an der Alster – Cherie und ich auf dem Steg, ihr spöttisches Lachen, ihre Berührungen, ihr federnder Gang. Mein Herz fängt an zu rasen, und ich muss mich kurz schütteln, um wieder im Hier und Jetzt anzukommen.

Von der Rückbank höre ich ein leises Wimmern, es klingt kläglich und auch ängstlich. Ich dränge mich noch weiter nach vorne, versuche, mit meinen Vorderläufen ins Wageninnere zu kommen. Das gelingt mir auch, und so reiche ich mit meiner Schnauze fast bis zum Polster der Bank. Von hier aus kann ich Cheries Kopf sehen. In ihr wunderschönes blondes Haar hat sich Blut gemischt, das sich wie ein dünnes Rinnsal vom Ohr bis zu ihrer Nasenspitze zieht.

Marc beugt sich nach vorne in den Wagen.

»Wie ist das passiert?«

»Ich wollte heute vor dem Büro noch eine kurze Runde mit ihr drehen. Wir kommen aus der Haustür – und werden fast von einem Fahrradkurier über den Haufen gefahren. Der war auf dem Bürgersteig unterwegs und so schnell, dass sich Cherie wahnsinnig erschreckt hat. Ich mich ehrlich gesagt auch. Aber Cherie ist auf die Straße gesprungen. Genau vor ein Auto. Die Fahrerin konnte nicht mehr bremsen und hat sie noch seitlich erwischt. Cherie ist richtig durch die Luft geflogen.« Claudia Serwe fängt wieder an zu weinen. »Ich dachte schon, sie sei tot.«

Marc legt seinen Kopf auf Cheries Brustkorb.

»Also, ihr Atem ist sehr flach, aber einigermaßen regelmäßig. « Er greift mit einer Hand an die Innenseite ihres Hinterlaufs und wartet einen Moment. »Hm, der Puls ist sehr schnell, schätze mal ungefähr hundert Schläge pro Minute. Das ist viel für einen so großen Hund, aber noch nicht dramatisch. Ich habe in der Praxis eine Trage, damit können wir Cherie in den Untersuchungsraum transportieren, ohne sie unnötig zu bewegen. Bin gleich wieder da.«

Er zieht seinen Kopf aus dem Wagen und verschwindet ins Innere des Hauses. Claudia Serwe geht um das Auto herum und holt irgendetwas von ihrem Sitz. Ich nutze die Gelegenheit und hüpfe jetzt ganz ins Wageninnere. Vorsichtig lege ich meine Schnauze neben Cheries Kopf.

»Alles wird wieder gut, bestimmt! Marc ist ein toller Arzt, mach dir keine Sorgen.«

Cherie versucht den Kopf in meine Richtung zu drehen. »Wer bist du?«

»Herkules. Der Dackel, den du aus der Alster gerettet hast.«

Sie fängt an zu schnaufen, dann stöhnt sie.

»Werden die Schmerzen schlimmer?«, will ich besorgt wissen.

»Nein. Ich hätte nur fast gelacht, und das tut weh.«

Also, wenn sie ihren Sinn für Humor noch hat, besteht Hoffnung. Ein gutes Zeichen!

»Dieser blöde Radfahrer. Ich habe ihn echt nicht gesehen. Er war so schnell. Dann wollte ich zur Seite springen – und ab da kann ich mich an nichts mehr erinnern.«

»Du bist unter ein Auto gekommen. Aber dein Frauchen hat dich gleich zu Marc gefahren. Und der wird dich bestimmt schnell wieder auf die Beine bringen.«

»Dein Optimismus ehrt dich, Kleiner. Momentan fühlt es sich nur leider nicht so an. So mit schnell auf die Beine bringen, meine ich.«

Marc kommt mit der Trage an, das heißt, er rollt an. Seine Trage hat nämlich ausklappbare Beine mit Rollen, was sie nun entfernt wie einen Einkaufswagen aussehen lässt.

»Herkules, tröstest du unsere Patientin ein bisschen? Bist ein guter Hund, aber jetzt musst du mal zur Seite gehen, sonst kriege ich Cherie nicht auf die Trage gehoben.«

Er taucht Richtung Rückbank, nimmt Cherie behutsam auf den Arm und legt sie dann auf die blanke Metallfläche der Trage. Claudia Serwe stellt sich daneben und streichelt Cherie vorsichtig.

»Schh, schh, wird alles wieder gut, meine Süße.«

Marc rollt die Trage Richtung Praxiseingang. Hier, auf dem Bürgersteig, stehen auch Carolin und Luisa. Obwohl ich selbst sehr aufgeregt bin, sehe ich, dass Luisa zittert.