»Papa, was ist denn mit dem armen Hund?«
»Er ist von einem Auto angefahren worden. Ich muss ihn untersuchen, um festzustellen, wie schwer seine Verletzungen sind.«
»Und wird er wieder ganz gesund werden?«
»Ich tue mein Bestes, Schatz.«
»Soll ich irgendwie helfen? Der Hund tut mir so leid.«
»Das ist ganz lieb, Luisa, aber am meisten hilfst du mir, wenn du jetzt zur Schule gehst. Zu viele aufgeregte Menschen sind auch nicht gut für unsere tierische Patientin.«
Luisa nickt und setzt den Schulranzen auf, der schon neben ihr steht. Marc wendet sich an Carolin.
»Sag mal, ist Frau Warnke denn noch nicht da? Es ist doch bestimmt schon nach acht Uhr, oder?«
Carolin nickt.
»Ja, gleich Viertel nach.«
»Mist. Wo bleibt die denn? Sie müsste längst da sein. Sie soll mir jetzt assistieren, und gleich beginnt auch die normale Sprechstunde.«
»Kann ich dir vielleicht helfen?«
Marc überlegt kurz. »Ja, wenn es dir nichts ausmacht, wäre das gut.«
Im Behandlungsraum rollt Marc ein kleines Schränkchen neben die Trage.
»So, Frau Serwe, ich mache jetzt einen Ultraschall von Cheries Brustraum und Unterbauch, um innere Verletzungen auszuschließen. Dann versorge ich die Platzwunde am Kopf, die muss ich wahrscheinlich nähen. Meine Frau wird mir dabei assistieren. Wären Sie so freundlich und würden so lange im Wartezimmer Platz nehmen?«
Frau Serwe nickt. »Ja, sicher. Aber sagen Sie mir gleich Bescheid, wenn Sie etwas klarer sehen?«
»Natürlich.«
»Soll ich den Dackel mitnehmen?«
»Nein, der stört mich eigentlich nicht, und Ihren Hund scheint er eher zu beruhigen. Nach der Nummer an der Alster bilden die beiden ja offensichtlich so eine Art Schicksalsgemeinschaft.«
Er lächelt schief, was Frau Serwe erwidert. Dann geht sie ins Wartezimmer. Marc zieht einen langen, dicken Stab aus dem Schränkchen.
»So, hier oben ist der Schallkopf«, erklärt er Carolin, »damit werde ich jetzt Brustkorb und Bauchraum schallen, damit wir uns die gute Cherie von innen mal genauer ansehen können.«
Unglaublich – mit diesem Stab kann sich Marc Cherie von innen anschauen? Hoffentlich muss er dafür nicht ein Loch in sie bohren. Ich merke, dass mir unwohl wird. Nicht, dass Marc Cherie noch mehr weh tut – wo ich ihr doch versprochen habe, dass Marc ihr helfen wird. Als könne er meine Gedanken lesen, streichelt Marc Cherie einmal kurz über den Rücken.
»Ganz ruhig, meine Liebe, das tut nicht weh. Carolin, bleib bitte oben beim Kopf stehen und halte sie am Halsband fest, falls sie aufspringen will. Ich kann ihr wegen der Kopfverletzung leider gerade keinen Maulkorb anlegen. Also sei ein bisschen vorsichtig.«
»Was hältst du denn davon, wenn wir Herkules neben sie setzen? Ich hatte auch den Eindruck, dass er sie beruhigt.«
Marc kratzt sich am Kopf.
»Hm, ja, warum nicht. Wir können es probieren, vielleicht funktioniert es.«
Er hebt mich nun ebenfalls auf die Trage, so dass ich direkt neben Cheries Kopf sitze, dann klappt er die Türen des Schränkchens auf – zum Vorschein kommt ein Fernseher. Aha? Was passiert denn jetzt?
»Ich konzentriere mich vor allem auf Lunge, Milz und Leber. Bei Unfällen mit Autos sind innere Verletzungen an diesen Organen leider häufig. Der Hund kann daran verbluten. Eigentlich müsste ich Cherie für ein besseres Bild vorher rasieren, aber hier am Bauch ist ihr Fell etwas dünner. Und wenn sich aus den ersten Bildern kein entsprechender Verdacht ergibt, würde ich ihr das gerne ersparen. So, ich trage erst ein wasserhaltiges Gel auf, damit die Schallwellen auch wirklich bis zu den Organen vordringen und nicht unterwegs verloren gehen. Vorsicht, Cherie, jetzt wird’s erst ein bisschen kalt am Bauch, und dann lege ich los.«
Er fährt mit dem kugeligen Ende des Stabs über Cheries Bauch, die zuckt zusammen und wimmert ein bisschen.
»Ich bin bei dir«, flüstere ich ihr zu, »nur Mut! Es dauert bestimmt nicht lang.« Ich habe zwar keine Ahnung, ob das tatsächlich stimmt, aber es kann bestimmt nicht schaden, ein wenig Zuversicht zu verbreiten.
»Danke, dass du da bist«, flüstert Cherie zurück, dann schließt sie die Augen.
»So, das hier sieht schon mal gut aus. Keine Einblutungen zu sehen. Jetzt gehe ich weiter Richtung Leber … Moment …«, Marc schaut sehr konzentriert auf den kleinen Fernseher, »sieht auch gut aus.«
Neugierig geworden, riskiere ich ebenfalls einen Blick Richtung Bildschirm. Wie mag Cherie wohl von innen aussehen? Zu meiner Enttäuschung kann man auf dem Fernseher eigentlich gar nichts erkennen. Wie kann sich Marc da so sicher sein, dass alles in Ordnung ist? Ich sehe nur helle und dunkle Flecken, die mal größer, mal kleiner werden.
»Dass du da überhaupt etwas erkennen kannst«, merkt nun auch Carolin an. Ihr scheint es genauso zu gehen wie mir. Marc lacht.
»Na, ein bisschen Übung braucht man schon. Im Prinzip ist es so: Blut und die meisten anderen Flüssigkeiten werfen den Schall nicht so stark zurück zum Schallkopf, deswegen erscheinen sie auf dem Bildschirm schwarz, Gewebe mit hoher Dichte, wie zum Beispiel Knochen, reflektieren dagegen ziemlich gut und tauchen deswegen auf dem Bild viel heller auf.«
Ich versteh kein Wort, und auch Carolin sieht so aus, als könne sie nicht ganz folgen.
»Okay, mal ein Beispieclass="underline" Hier siehst du Cheries Rippen.«
»Stimmt, das kann ich erkennen.«
»Die kann ich jetzt zählen und auch nachschauen, ob sie von der Struktur her in Ordnung sind. Sind sie übrigens. Hier weiter unten sehen wir die Leber. Wenn sich jetzt irgendwo Blut angesammelt hätte, wo es nicht hingehört, würde ich das als schwarze Fläche sehen. Aber es ist alles so, wie es sein soll. Bittest du kurz Frau Serwe herein?«
»Klar, mache ich.«
Kurz darauf steht auch Claudia Serwe im Untersuchungsraum. Ängstlich schaut sie Marc an.
»Wird Cherie wieder ganz gesund?«
»Ich denke schon. Innere Verletzungen hat sie jedenfalls nicht. Ich würde jetzt gerne eine Röntgenaufnahme vom Kopf machen, um einen Schädelbruch auszuschließen, und dann muss ich noch ihre Platzwunde versorgen. Dafür bekommt Cherie eine Narkose, damit sie keine Schmerzen hat.«
»Das klingt ja nach einer richtigen Operation!«
»Nein, es ist nur ein kleiner Eingriff. Allerdings braucht sie danach eine Infusion, damit sie das Narkosemittel schneller wieder loswird. Außerdem hat sie dann schon einige Zeit nichts gefressen und getrunken. Wir müssen sie also ein bisschen stärken. Und dann sollte sie über Nacht hierbleiben, nur zur Vorsicht, falls es ihr schlechter gehen sollte.«
»Natürlich, das ist bestimmt besser so. Aber sagen Sie, Herr Doktor, Cherie wirkt noch sehr schwach. Ist das normal? «
»Mit der Infusion wird sie schnell wieder zu Kräften kommen, keine Sorge. Außerdem hat sie wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung. War sie nach dem Unfall bewusstlos?«
»Ja, aber nicht lange – vielleicht ein oder zwei Minuten. Danach war sie noch sehr benommen, aber bei Bewusstsein.«
»Wie ich schon sagte – das deutet auf eine Gehirnerschütterung hin.«
»Sagen Sie, Herr Dr. Wagner, können Sie schon sagen, wie teuer die gesamte Behandlung wird?«
»Nicht auf den Cent genau, aber ich schätze, es wird so an die 400 Euro kosten.«
Claudia Serwe seufzt.
»Kann ich das vielleicht im nächsten Monat bezahlen? Ich bin momentan ein bisschen knapp bei Kasse.«
Marc lächelt.
»Wissen Sie was – Cherie ist ja immerhin die Lebensretterin von unserem Herkules. Zahlen Sie einfach, was Sie können, das ist dann schon in Ordnung.«