»Danke, das ist nett. Aber es ist mir sehr unangenehm, dass ich Sie momentan nicht so bezahlen kann, wie es Ihnen eigentlich zusteht.«
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Wie gesagt – es ist völlig in Ordnung.«
»Trotzdem! Ich wünschte, ich könnte diesen Kurierfahrer drankriegen, der hat den ganzen Unfall ja überhaupt verursacht. Aber der ist natürlich sofort abgehauen.«
»Vielleicht hat er gar nichts davon mitbekommen?«
»Nein, das kann nicht sein. Ich bin noch hinter ihm hergelaufen und habe gerufen. Der hat uns immerhin fast überfahren – und das auf dem Bürgersteig! Er hat einmal kurz über seine Schulter geschaut und dann ordentlich in die Pedale getreten.«
»Das ist natürlich eine echte Schweinerei. Arme Cherie! Aber sie wird bestimmt wieder ganz die Alte.«
Als Cherie wieder aus der Narkose aufwacht, sitze ich neben ihr in der Pflegebox. Sie guckt mich aus matten Augen ängstlich an.
»Wo sind wir?«
»Du bist immer noch in Marcs Praxis. Aber es ist alles gut gelaufen. Bald springst du wieder fröhlich herum.«
»Ich bin so müde und schlapp. Momentan möchte ich eigentlich nur schlafen.«
»Dann lasse ich dich jetzt besser mal in Ruhe. Soll ich später nochmal wiederkommen?«
»Gerne.«
Ich wende mich zum Gehen, Marc hat extra die Zwingertür offen gelassen.
»Herkules?«
»Ja?«
»Vielen Dank! Du hast mir sehr geholfen.«
Ich merke, dass mein Herz wieder zu rasen beginnt. Ich habe ihr sehr geholfen! Sie mag mich! Bestimmt! Wie auf Wolken schwebe ich aus dem Beobachtungsraum wieder zurück in den Empfangsbereich.
Marc und Carolin stehen am Tresen und sind über irgendwelche Papiere gebeugt. Frau Warnke ist noch immer nicht da, deswegen hat Carolin beschlossen, heute ein wenig auszuhelfen. Sehr nett, mein Frauchen! Eine ältere Dame mit ihrem Wellensittich und ein Mädchen mit einem Hamster warten noch, ansonsten ist es einigermaßen ruhig – eben Mittagspause.
Ich setze mich neben den Tresen, als die Tür zur Praxis aufgeht und ein Geruch hereinweht, der mich sofort elektrisiert. O Schreck, die Verrückte! Diesmal ganz sicher! Keine drei Sekunden später steht Sabine neben Marc.
»Hallo, Marc. Du solltest mich eigentlich anrufen. Aber wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann eben der Berg zum Propheten.«
Berg? Prophet? Ich sag’s ja: Die Alte ist völlig verrückt. Nur gut, dass Luisa in sicherer Entfernung in der Schule ist. Marc schaut Sabine an, als ob er eine Erscheinung habe.
»Ich … äh … hallo, Sabine, was machst du denn hier?«
»Hat man dir etwa nichts erzählt?«
»Nein, was denn?«
Sabine schüttelt den Kopf.
»Na, das bestätigt ja alle Befürchtungen, die ich im Hinblick auf deine neue Freundin habe.«
Carolin schnappt nach Luft, aber bevor sie etwas sagen kann, greift Marc Sabine am Handgelenk und zieht sie hinter sich in den Behandlungsraum. Ich husche möglichst unauffällig hinterher. Das verspricht sehr interessant zu werden …
»Sag mal, spinnst du, hier einfach so aufzukreuzen? Ich arbeite, schon vergessen?«
»Wie könnte ich? Vom aufstrebenden Veterinärmediziner mit wissenschaftlicher Zukunft zum Inhaber einer Kleintierpraxis«, erwidert Sabine spöttisch.
»Ja, ja, während du auf dem besten Wege zur Miss Lufthansa bist, schon klar. Also, was willst du?«
Jetzt lächelt Sabine.
»Tut mir leid. Auf alle Fälle nicht mit dir streiten. Ich dachte, wir vergessen das Telefonat von neulich und versuchen es nochmal wie erwachsene Menschen.«
»Von mir aus gerne.«
In diesem Moment öffnet Carolin die Tür und kommt dazu. Was Sabine nicht weiter stört.
»Marc, vielleicht ist in der Vergangenheit nicht alles optimal gelaufen. Ach was, ganz sicher nicht. Und das war auch meine Schuld. Aber als mir Luisa jetzt erzählt hat, dass diese Carolin bei dir eingezogen ist, da hat es mir einen Stich ins Herz gegeben. Und ehrlich gesagt – diese Frau, das ist doch nicht dein Ernst! Kein Format. Aber ich will nicht selbstgefällig sein. Vielleicht war das alles ein Fehler, die letzten Jahre. Auch meinerseits.«
Carolin bleibt der Mund offen stehen, und auch Marc sieht mehr als verblüfft aus. Er räuspert sich.
»Äh, also, das kommt sehr überraschend. Ich … äh …«
»Du musst jetzt nichts sagen. Einfach darüber nachdenken. « Sie haucht ihm einen Kuss auf die Wange und rauscht raus.
Zurückbleiben Carolin und Marc, die sich ansehen und erst einmal beide nichts sagen. Dann hat Carolin offensichtlich ihre Sprache wiedergefunden.
»WAS FÄLLT DIESER FRAU EIN! Das ist ja unglaublich! Und du stehst daneben wie ein Idiot, hörst, wie sie mich beleidigt, und sagst kein Wort.«
»Ja, aber das ging so schnell – ich konnte überhaupt nicht reagieren!«, verteidigt sich Marc.
»Quatsch – soll ich dir etwas sagen? Du WOLLTEST nicht reagieren! Schön den Schwanz eingezogen und dir ein Küsschen geben lassen. Ich fasse es nicht! Du … du … WICHT!«
Auch Carolin verlässt geräuschvoll das Zimmer. Wow – so habe ich sie noch nie erlebt. Zurückbleibt ein Marc, der ziemlich betrübt aussieht. Dann schüttelt er den Kopf und guckt mich an.
»Da siehst du es, Herkules: Weiber! Das passiert, wenn du dich mit ihnen einlässt. Also besser Finger weg! Auch von dieser Cherie! Das ist ein guter Rat unter Männern, mein Freund.«
ELF
Also ich erklär’s dir nochmal genau: Ich klingele und gehe schnell weg, du behältst die Rose im Maul und bleibst sitzen, bis sie die Tür aufmacht. Und wenn sie dann hoffentlich begeistert ist, komme ich als Überraschung wieder um die Ecke. Verstanden, Kumpel?«
Sagen wir mal so: Ich hab’s gehört. Verstanden habe ich es nicht. Wieso soll es Carolin besänftigen, wenn ich mit einer Rose im Maul vor der Tür sitze? Auf mich ist sie doch gar nicht sauer. Aber wenn die Nummer hier zur schnellen Versöhnung der beiden beiträgt, dann meinetwegen. An mir soll’s nicht scheitern.
Ich setze mich also hin, Marc hält mir die Rose vor die Nase, und ich schnappe zu. Wenigstens hat er vorher die Dornen abgemacht, sehr umsichtig. Dann drückt er die Klingel zur Werkstatt und verschwindet über die drei Stufen in Richtung Haustür. Kurz darauf öffnet Carolin und starrt mich an. Ist das jetzt die Begeisterung, die sich Marc erhofft hat?
»Was machst du denn hier, Herkules? Und was soll die alberne Nummer mit der Rose?«
Na gut, vielleicht kann sie ihre Freude einfach nicht so zeigen. Sie nimmt mir die Blume ab, dann geht sie an mir vorbei in den Hausflur und beginnt laut zu rufen.
»Marc, was soll das? Wir sind hier doch nicht im Zirkus. Wenn du mir etwas sagen willst, dann versteck dich bitte nicht hinter meinem Dackel.«
Marc kommt die Stufen wieder herunter.
»Hallo, Schatz!«
O je, er klingt kläglich. Jetzt tut er mir wirklich leid. Komm schon, Carolin! Ich habe zwar nicht verstanden, worum euer Streit eigentlich ging, aber kannst du Marc nicht einfach verzeihen? Vielleicht ist er auch gar nicht schuld an woranauch-immer. Mein Instinkt sagt mir nämlich, dass das ganze Schlamassel auch irgendetwas mit Nina zu tun haben könnte. Und der Tatsache, dass sie sich Sabine gegenüber als Caro ausgegeben hat. Aber das kann ich hier leider nicht zum Besten geben, sonst hätte ich es längst getan.
Wortlos stehen Carolin und Marc sich gegenüber, dann nimmt Marc sie in seine Arme und gibt ihr einen sanften Kuss auf die Lippen.
»Es tut mir echt leid. Ich habe doof reagiert, aber das lag nur daran, dass ich so perplex war – das musst du mir einfach glauben. Bitte!« Marcs Stimme klingt flehentlich.